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"Liberalisierung des Strommarktes wird nicht ganz ohne Arbeitsplatzabbau abgehen"

Kößler: Am Telefon begrüße ich Ernst Schwanhold, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im deutschen Bundestag, dort zuständig für Wirtschaft und Technologie. Einen schönen guten Morgen!

    Schwanhold: Guten Morgen.

    Kößler: Herr Schwanhold, da ist ja gestern ein ganzes Bündel an Themen angesprochen worden. Der Stromwettbewerb ist dabei nur ein Thema, und gar nicht mal das entscheidende. Fangen wir bei der Atomkraft an. Bis wann will man sich in der Frage des Ausstiegs geeinigt haben? Worauf hat sich die Koalitionsrunde definitiv verständigt?

    Schwanhold: Die Koalitionsrunde hat sich darauf verständigt, in diesem Jahr Klarheit zu haben. Es gibt ja intensive Gespräche zwischen dem Wirtschaftsminister und der betroffenen Wirtschaft, um im Konsens und kostenfrei einen Ausstieg hinzukriegen. Wenn dieses nicht zum Konsens führt, muss mit einem Gesetz reagiert werden, wobei die Bedingungen möglichst im Konsens dann nicht mehr erfüllt werden, aber das kostenfreie für den Steuerzahler bleibt natürlich bestehen.

    Kößler: Das heißt, es muss eine Lösung sein, die auf jeden Fall ohne Entschädigung laufen wird?

    Schwanhold: Das muss eine Lösung sein, die ohne Entschädigung laufen wird. Dieses ist ja auch im Koalitionsvertrag so festgelegt worden.

    Kößler: Thema Transrapid. Die Grünen wenden sich gegen eine halbherzige Lösung des eingleisigen Baus, wie das Franz Müntefering noch bekanntgegeben hat. Hat diese Scheinlösung überhaupt noch Zukunft?

    Schwanhold: Zunächst einmal glaube ich, dass die Technik Zukunft hat. Wenn das ein wirklich tragendes Argument ist, dann muss die beteiligte Wirtschaft endlich ihren Anteil auch bringen, um diesem technischen System eine Strecke zu geben, die sowohl den Betrieb dokumentiert als auch betriebswirtschaftlich in Ordnung ist. Der Bund hat mit 6,1 Milliarden D-Mark ja eine erhebliche Vorleistung erbracht. Nach den Äußerungen, die ich von den beteiligten Unternehmen höre, muss man befürchten, dass die Strecke keine Zukunft hat.

    Kößler: Die Grünen wollen, sie müssen mehr grünes Profil zeigen in der Koalition. Herr Schwanhold, wird die SPD bei Atomausstieg und Transrapid mehr auf den Partner eingehen?

    Schwanhold: Grünes Profil einerseits und Gesamtergebnisse, die in volkswirtschaftlichem Sinne und in gesellschaftlichem Sinne verantwortbar sind andererseits. Dieses steht aber nicht gegeneinander. Nur das darf nicht zu Lasten des Partners gehen. Ich will ausdrücklich sagen, wir waren uns weitgehend einig, dass zum Beispiel beim Transrapid diese Technik ein Exportschlager werden könnte, und das ist im volkswirtschaftlichen Sinne und im Sinne von Arbeitsplätzen ein ausgesprochen interessantes Projekt.

    Kößler: Halten Sie es für ausgeschlossen, dass diese beiden Themen zu möglichen Bruchstellen der Koalition werden könnten?

    Schwanhold: Das erwarte ich nicht, dass es zu Bruchstellen innerhalb der Koalition führt.

    Kößler: Hat die SPD also Verständnis für das Profilierungsbedürfnis der Grünen bei diesen urgrünen Themen?

    Schwanhold: Man hat immer die Verantwortung, wenn man sich auf eine Partnerschaft auf Zeit in der Politik einlässt, dass beide Partner auch jeweils ihre politischen Themen in den Vordergrund hineinrücken können. Dabei darf allerdings die Kompromissfähigkeit am Ende nicht leiden. Das sehe ich aber auch nicht tatsächlich gefährdet.

    Kößler: Die Atmosphäre ist als gespannt beschrieben worden in den letzten Tagen. Wie würden Sie denn das Klima gestern im Koalitionsausschuss beschreiben?

    Schwanhold: Ich war gestern nicht dabei. Ich kann also zum gestrigen Abend nichts sagen. Es gibt schwierige Themen. Außerdem gibt es außerordentlich ungewöhnlich schwierige Probleme, die wir zu lösen haben, und es wäre geradezu verwunderlich, wenn es dort nicht auch zu unterschiedlichen Auffassungen käme, die sich annähern müssten. Das sind ja alles keine Themen, die man mal eben im Vorübergehen erledigt. Insofern spüre ich ernsthafte Diskussionen und an der einen oder anderen Stelle auch die Notwendigkeit, noch aufeinander zuzugehen.

    Kößler: Stichwort Liberalisierung des Strommarktes. Herr Schwanhold, müssen kommunale Energieversorger geschützt werden?

    Schwanhold: Nein. Kommunale Energieversorger müssen nicht generell geschützt werden, weil sie durchaus wettbewerbsfähig im Wettbewerb bestehen können. Es gibt kommunale Energieversorger, die Investitionen getätigt haben weit vor dem Energiewirtschaftsrecht, die heute keinen Bestand mehr haben. Dort drohen "stranded investments". Diesen muss eine Zukunft verschafft werden und ihnen muss die Möglichkeit verschafft werden, zum Beispiel den Stadtwerken Duisburg, sich an den neuen Wettbewerb anzupassen, ohne dass sie dabei in Konkurs gehen. Ein zweiter Punkt, der wichtig ist: Wir müssen dezentrale Energieversorgung und Energieproduktion in diesem Land aufrecht erhalten, zum Beispiel durch Kraftwärmekopplung in kleineren, verbrauchernahen Anlagen. Dafür müssen wir den Rahmen schaffen, aber nicht den Wettbewerb verhindern.

    Kößler: Das heißt, freier Wettbewerb und Umweltziel lassen sich miteinander vereinbaren?

    Schwanhold: Ja, das ist meine große Hoffnung, und ich sehe dafür auch durchaus Ansatzpunkte. Es ist ja eine Vereinbarung zu Gunsten einer Verbände-Vereinbarung gestern Abend verabredet worden. Die wird man sich im Lichte der Ziele und der genau getroffenen Absprachen anschauen. Ich gehe davon aus, dass die Verbände nun auch wissen, welche Erwartungen an die Verbände-Vereinbarung von seiten der Politik geknüpft werden.

    Kößler: Es sind ja viele Zahlen ins Gespräch gebracht worden, Herr Schwanhold, auch gestern bei der Demonstration. 30 bis 40.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr, heißt es. Wird die Liberalisierung ohne Arbeitsplatz-Abbau abgehen, gerade bei den städtischen Energieversorgern?

    Schwanhold: Ich gehe davon aus, dass die Liberalisierung nicht ganz ohne Arbeitsplatz-Abbau von statten gehen wird. Ich sehe aber durchaus Chancen, auch in anderen Bereichen zusätzlich Arbeitsplätze aufzubauen. Wie sich das am Ende in plus oder minus gestalten wird, kann ich heute noch nicht vorhersehen. Die Zahlen, die bisher genannt worden sind, erwarte ich nicht. Ich erwarte übrigens, dass sich die Stadtwerke alle im Wettbewerb behaupten werden.

    Kößler: Die Energieverbände fordern ja Fristen für die Umstellung auf die neuen Bedingungen. Warum schafft man keine Zeitfenster für sozialverträglichen Personalabbau?

    Schwanhold: Dieses Zeitfenster ist von der Regierung Kohl/Rexrodt verspielt worden. Alle anderen europäischen Länder schöpfen den Zeitrahmen, den die EU vorgibt, aus, nur die Regierung Kohl/Rexrodt, damals Wirtschaftsminister, meinte, die deutschen Unternehmen könnten sofort in den Wettbewerb hineingeschmissen werden, was zur Folge hat, dass die Franzosen ihren Markt überhaupt noch nicht geöffnet haben und die Deutschen ihren Markt völlig freigeben. Wir arbeiten jetzt an den Folgen dieser damals falschen Entscheidung. Heute aber das Rad zurückzudrehen geht nicht, weil der Wettbewerb weitergegangen ist.

    Kößler: Das heißt doch, Herr Schwanhold, dass die Liberalisierung zu schnell kommt? Die öffentliche Hand, die Unternehmen sind nicht darauf vorbereitet.

    Schwanhold: Es wäre besser gewesen, wenn wir uns mehr Zeit dafür gelassen hätten.

    Kößler: Das war in den "Informationen am Morgen", Ernst Schwanhold, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Haben Sie vielen Dank nach Berlin!