Freitag, 19. April 2024

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Libyen
"Die richtige Arbeit fängt jetzt erst an"

Das am Donnerstag unterzeichnete Friedensabkommen sei "nur ein Etappensieg", sagte der UNO-Sondergesandte Martin Kobler im DLF. Eine Lösung könne nicht über Nacht erzielt werden. Nun gelte es, alle Parteien an Bord zu holen und eine Regierung zu etablieren - auch im Interesse des Kampfes gegen den selbsternannten "Islamischen Staat".

Martin Kobler im Gespräch mit Jochen Spengler | 19.12.2015
    Der UN-Sondergesandte Martin Kobler spricht am 17.12.2015 bei der Unterzeichnung des UN-Friedensplans für Libyen in dem marokkanischen Badeort Skhirat.
    Der UNO-Sondergesandte Martin Kobler bei der Unterzeichnung des Friedensplans für Libyen. (picture alliance / dpa / Iason Athanasiadis)
    "Ich kann nicht akzeptieren, dass es für Probleme keine Lösung gibt", sagte der Diplomat Martin Kobler im Deutschlandfunk. Zudem sei er ein Verfechter des Dialogs und der Gewaltlosigkeit. Deshalb habe er während der Verhandlungen auch nie aufgeben wollen. Der nächste Schritt sei für ihn, diejenigen, die sich nicht an den Gesprächen in Marokko beteiligt hätten, an den Verhandlungstisch zu holen. Das wolle er in den kommenden Tagen versuchen.
    Der UNO-Sondergesandte betonte, das große Konsensthema sei der Kampf gegen den Terror des IS gewesen. Vor allem die Nachbarstaaten drängten darauf, den Einfluss der Terrormiliz zurückzudrängen. "Wenn der Islamische Staat aus Libyen nach Süden vordringt und die Reihen schließt mit Boko Haram, das wäre katastrophal", so Kobler.
    Vorgehen gegen den IS: "Das muss ein libyscher Kampf sein"

    Der IS sei noch zu stoppen, allerdings nur militärisch. "Und das muss ein libyscher Kampf sein, das geht nicht mit ausländischen Kräften." Westliche Hilfe anzufordern, wäre nach Ansicht Koblers die Entscheidung einer legitimen libyschen Regierung. Wenn diese eingesetzt wäre, könne auch das Waffenembargo gegen das nordafrikanische Land aufgehoben werden. "Und man braucht Waffen gegen den IS."
    Kobler begrüßte auch die Resolution des UNO-Sicherheitsrates zum Konflikt in Syrien. "Ich bin begeistert, dass das geklappt hat gestern", so der Diplomat. Es sei ein gutes Zeichen, dass direkt nach dem Etappensieg in Libyen auch eine Einigung zu Syrien erreicht worden sei: "Der Islamische Staat wird sich in Libyen tendenziell ausdehnen, je stärker der Druck in Syrien ist. Und dem gilt es, einen Riegel vorzuschieben."

    Das Interview mit Martin Kobler in voller Länge:
    Jochen Spengler: Seit dem Sturz des Diktators Gaddafi vor vier Jahren ist Libyen im Chaos der Milizen versunken. Es herrscht Bürgerkrieg, es konkurrieren zwei Regierungen und zwei Parlamente um die Macht, die einen im Westen in Tripolis, die anderen im Osten des Landes in Tobruk, und dazwischen nutzt die Terrormiliz IS das Chaos aus und gewinnt immer mehr an Einfluss.
    Vorgestern nun, nach über einem Jahr zäher Verhandlungen, haben die Konfliktparteien in Libyen einen Friedensplan unterzeichnet, der vorsieht, eine Einheitsregierung und einen Präsidentschaftsrat zu bilden. Vermittelt wurde dieser Plan von den Vereinten Nationen. Und am Telefon in Tunis ist nun jener Mann, der zuletzt damit beauftragt war, der deutsche Diplomat und UNO-Sondergesandte Martin Kobler. Guten Morgen, Herr Kobler!
    Martin Kobler: Ja, guten Morgen, Herr Spengler!
    "Botschaft an alle Konfliktparteien, die Waffen ruhen zu lassen"
    Spengler: Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch, dass Sie die Streithähne überhaupt dazu gebracht haben, etwas zu unterschreiben! Wie lautete denn Ihr Erfolgsrezept?
    Kobler: Nun, mein Erfolgsrezept lautet: Ich kann nicht akzeptieren, dass es für Probleme keine Lösung gibt. Es gibt viele, die sagen, das ist eine sehr komplexe Situation, und das verführt einfach zu Passivität. Ich glaube, jedes Problem auf der Welt und auch in Libyen hat eine Lösung, und ich bin Verfechter des Dialogs, der Gewaltlosigkeit. Und das ist eine ganz konstante Botschaft an alle Konfliktparteien, die Waffen ruhen zu lassen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und das hatte Erfolg vorgestern.
    Spengler: Was war das Schwierigste, würden Sie sagen?
    Kobler: Nun, das Schwierigste war im Vorfeld, noch am selben Tag. Die Unterzeichnungszeremonie war ja schon angesetzt. Eine Partei hat das ganze Paket dann wieder aufgemacht und das führte dann zu einer zweistündigen Verzögerung und das wäre auch fast gekippt.
    Der marokkanische Außenminister und ich sind dann, ja, in so eine Art kleinen Raum gegangen zusammen mit denen, die hier noch Nachbesserungsvorschläge hatten, die Gunst der Stunde, dass die Weltgemeinschaft hier schaute und die Kameras schon auf das Konferenzzentrum gerichtet waren, diese Gunst der Stunde zu nutzen, um hier noch Verbesserungen zu erzielen. Wir haben dann eine gemeinsame Lösung gefunden, aber das hat zwei Stunden dann noch gedauert.
    2,4 Millionen Vertriebene in Libyen: "Das ist eine Schande"
    Spengler: Waren Sie eigentlich persönlich jemals in der Situation, dass Sie sagen, nein, ich schmeiß das jetzt hin, das hat ja keinen Sinn mehr?
    Kobler: Nein, nie. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, für die Leute da zu sein. Es sind weniger die Interessen derer, die sie vertreten. Im Prinzip bin ich ein humanitärer Arbeiter. Die humanitäre Situation ist furchtbar, es gibt keine Medikamente mehr oder die Medikamente gehen so langsam aus in den Krankenhäusern, Bengasi ist in Schutt und Asche, es gibt 2,4 Millionen intern Vertriebene bei einer Bevölkerung von sechs Millionen.
    Das sind Dinge, die sind inakzeptabel, das ist eine Schande und das ist auch meine Motivation, hier weiterzumachen. Ich habe nie, war nie in der Situation, dass ich gesagt habe, ich schmeiße es hin.
    Spengler: Sie haben am Anfang gesagt, Sie vertreten Gewaltfreiheit, die Waffen sollen schweigen. Schweigen die Waffen denn im Augenblick eigentlich?
    Kobler: Nein, wir haben Kämpfe in Adschabija, das ist eine Stadt am Golf von Sirte. Das ist ... Jeden Tag gibt es Gewalt, Entführungen, Kämpfe, und wie Sie gesagt haben, das ist ... Allein in Tripolis gibt es 20 Milizen, die die Stadt beherrschen. Und die Lösung ist auch nicht über Nacht hier zu erreichen und das Abkommen vorgestern, das war eigentlich nur ein Etappensieg. Vielen Dank, dass Sie uns gratuliert haben hier, aber die richtige Arbeit, die fängt jetzt erst an.
    Abkommen in Libyen: "Es sind nicht alle an Bord"
    Spengler: Ja, man hat so den Eindruck, wenn man die Agenturnachrichten liest: Da heißt es nämlich, dass eine Seite schon wieder bezweifelt, dass dieser Plan, der unterschrieben worden ist vorgestern, dass der mit der Verfassung in Übereinstimmung ist. Also, die Frage stellt sich: Wie nachhaltig ist diese Einigung, was sind die Unterschriften wert?
    Kobler: Ja, in der Tat, ich meine, die Versammlung in Marokko, das war eine sehr beeindruckende Versammlung von über 250 Menschen. Es gibt ja zwei rivalisierende Regierungen oder es gab und es gibt immer noch zwei rivalisierende Regierungen, die eine in Tobruk und die andere in Tripolis. Und wir haben immer versucht, dieses Abkommen in diesen Parlamenten zur Abstimmung zu bringen, und das war seit September nicht möglich.
    Sodass man jetzt mit den Mehrheiten gegangen ist, Zivilgesellschaft, aber auch Mehrheiten vor allem des Tobruk-Parlamentes. Und die waren in der Tat in Marokko im Konferenzzentrum und haben das unterschrieben, der sogenannte libysche politische Dialog. Es ist natürlich aber – Sie haben völlig recht – eine Frage nun der Nachhaltigkeit, es sind nicht alle an Bord.
    Und das ist meine Hauptbotschaft: Ich möchte jetzt in den nächsten Tagen und Wochen versuchen, die, die nicht in Skhirat waren, das ist unsere Zielgruppe jetzt, die an den Tisch zu holen und sie wirklich auf das Abkommen hier einzuschwören. Weil, die Probleme sind gewaltig, das ist nicht nur jetzt die wirklich schlimme humanitäre Situation, die Flüchtlinge, die intern Vertriebenen, das ist vor allem der Kampf gegen den Islamischen Staat.
    Spengler: Ja, das heißt, die, die da unterzeichnet haben, die haben noch gar nicht die Macht, den Plan umzusetzen, Sie brauchen noch mehr im Boot?
    Kobler: Nun, in der Tat ist die Regierung erst mal auf dem Papier. Aber sie ist als Kernregierung etabliert, der sogenannte Präsidentschaftsrat, der jetzt eine richtige Regierung, ein Kabinett bilden wird. Aber diese Regierung wird erst mal nicht in Tripolis sein, und das ist ein großes Problem. Am Ende des Tages muss diese Regierung nach Tripolis, das erfordert Verhandlungen und natürlich auch mit den Milizen in Tripolis. Denn sie müssen es tolerieren, dass diese Regierung dort einzieht.
    "Jetzt war die Stunde der Aktion"
    Spengler: Dann gibt es noch den mächtigen Armeechef der Regierung in Tobruk, der ist gegen das Abkommen, vielleicht auch weil er sein Amt aufgeben müsste. Wird er das tun?
    Kobler: Nun ja, ich habe den ja kurz vor der Unterzeichnung des Abkommens, einen Tag vorher, vor drei Tagen gesehen, in al-Marsch, seinem Hauptquartier im Osten des Landes. Und er hat schon klargemacht, dass er gerne nachverhandeln möchte und dass die Unterzeichnung hinausgezögert werden sollte. Aber ich glaube dann, wir sind dann auch vor die Presse gegangen, dass er dann schon auf der Linie war, dass die Realität es schon erforderte, dass das Abkommen unterzeichnet wird.
    Es sind ja nicht nur die Libyer, das sind die Nachbarstaaten vor allem, in Tunis, in Algerien, die Nachbarstaaten, die auch drängen, dass der Einfluss des Islamischen Staates zurückgedrängt werden muss, weil das katastrophale Auswirkungen auf gesamt Nordafrika haben wird. Das ist Ägypten, das ist Tunesien, das ist Algerien, aber vor allem im Süden, die südlichen Nachbarn, Niger und Tschad, wenn man sieht, was dort ist, Boko Haram, und wenn der Islamische* Staat hier aus Libyen nach Süden vordringt und dann auch die Reihen schließt mit Boko Haram, das wäre katastrophal und wird ganz schwierig sein, zurückzudrängen. Deswegen, jetzt war die Stunde der Aktion und jetzt musste man das machen, das war vor allem der Trupp der Nachbarstaaten.
    Spengler: Ist denn der Islamische Staat, den Sie nun schon mehrfach erwähnt haben, noch zu stoppen?
    Kobler: Ja, der Islamische Staat ist ... Ich habe zwar gesagt, ich bin kein Anhänger von Gewalt, aber wir reden nicht mit dem Islamischen Staat, mit Ansar al-Scharia und anderen Al-Kaida-Organisationen, das erfordert wirklich eine militärische Lösung. Und ja, es ist zu stoppen, das ist ganz wichtig. Der Islamische Staat ist in den Westen ja vorgerückt, er bedroht jetzt die Ölhäfen im Norden am Golf von Sirte, er versucht, nach Süden vorzugehen, und das kann nur militärisch gestoppt werden.
    Aber noch mal, das muss ein libyscher Kampf sein. Das geht jetzt nicht mit ausländischen Kräften, deswegen ist es wichtig, eine libysche Regierung zu haben, die einen libyschen Kampf gegen den Islamischen Staat organisiert. Dann, wenn sie dann entscheiden, sich an die internationale Gemeinschaft zu wenden, dann kann sie das tun, aber die Libyer müssen sich hier organisieren.
    Kampf gegen den Terrorismus ist das Konsensthema
    Spengler: Also, das ist der erste Schritt, Libyen muss sich einigen, die libyschen Kräfte müssen sich einigen gegen den Islamischen Staat. In einem zweiten Schritt würden Sie nicht ausschließen, dass der Westen, dass die internationale Gemeinschaft militärisch helfen muss gegen den IS?
    Kobler: Nun, das ist völlig eine Entscheidung der libyschen Regierung, so etwas anzufordern, wenn sie das nötig findet.
    Spengler: Aber es könnte sein?
    Kobler: Ja, ich habe noch nicht mit der neuen Regierung darüber gesprochen. Aber das ganz große Konsensthema in den letzten Wochen – und das habe ich gemerkt bei allen, auch bei denen, die dagegen sind, auch bei dem General, den Sie angesprochen haben –, das ist der Kampf gegen den Islamischen Staat, der Kampf gegen den Terrorismus, der wirklich alle bedroht. Das ist das Konsensthema.
    Jetzt sagen manche, man muss schnell unterzeichnen, andere sind noch nicht an Bord, wir müssen da noch ein bisschen warten, aber der Kampf gegen den Islamischen Staat, das wird von allen – Zivilgesellschaft, Parlamentariern, aber auch dem General im Osten – betont.
    Und vergessen Sie nicht, wir haben ja ein Waffenembargo gegen Libyen. Und mit einer legitimen Regierung kann auch dieses Waffenembargo aufgehoben werden. Und das ist ganz wichtig, natürlich braucht man Waffen gegen den Islamischen Staat, wenn man sie militärisch bekämpfen will.
    "Politisches und militärisches Vakuum in Libyen"
    Spengler: Herr Kobler, Sie sind schon so viele Jahre Diplomat im Nahen Osten, was sagen Sie zur zweiten großen Einigung dieser Tage, der Sicherheitsresolution zu Syrien gestern Abend?
    Kobler: Da bin ich natürlich begeistert, dass das geklappt hat gestern. Und mein Kollege Staffan de Mistura, mit dem ich auch lange zusammengearbeitet habe, aber alle, die da um den Tisch saßen gestern in New York, verdienen wirklich ganz großen Applaus. Das ist ein gutes Zeichen, dass an einem Tag wir einen Etappensieg zumindest in Libyen erreicht haben und am nächsten diese Syrien ...
    Spengler: Hängt das eigentlich irgendwie miteinander zusammen? Also die Fortschritte in Libyen und dann gestern die Fortschritte in New York?
    Kobler: Nun, ich glaube auch, dass das Thema Islamischer Staat hier eine Rolle spielt, denn je größer der militärische Druck natürlich auf Syrien ist gegen den Islamischen Staat, umso mehr gibt es Wanderungsbewegungen nach Libyen. Und hier haben wir in Libyen ein politisches und militärisches Vakuum, das so nicht weitergehen kann. Das heißt, der Islamische Staat wird sich in Libyen tendenziell ausdehnen, je stärker der Druck in Syrien ist. Und dem gilt es, einen Riegel vorzuschieben.
    Spengler: Das war Martin Kobler, der UNO-Sondergesandte für Libyen, deutscher Diplomat. Herr Kobler, herzlichen Dank, dass Sie sich heute Morgen Zeit für uns genommen haben.
    Kobler: Ja, ganz vielen Dank und schönen Samstag!
    Spengler: Ja, und weiter viel Erfolg!
    Kobler: Danke!
    *Im Interview sprach Kobler an zwei Stellen vom "lybischen" Staat. Gemeint war jedoch der Islamische Staat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.