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Libyen
Hauptstadt Tripolis versinkt im Chaos

Die Zahl der Opfer bei den Kämpfen um die libysche Hauptstadt Tripolis steigt weiter an. Fast täglich kommt es zu Gefechten. Nun gehen die Menschen auf die Straße, um gegen die Gewalt zu demonstrieren - und gegen Außenmächte, die sich in Libyen einmischen.

Von Björn Blaschke | 18.04.2019
Kämpfer halten Waffen in den Händen
Kämpfer einer bewaffneten Gruppe, die der von den Vereinten Nationen unterstützten Regierung des National Accord (GNA) von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch angehören (picture alliance / dpa)
Fast 150 Tote innerhalb von zwei Wochen. Mehr als 600 Verletzte. In der libyschen Hauptstadt kommt es täglich zu Gefechten.
Auf der einen Seite Milizen, die zu General Haftar stehen. Erst hatte Haftar nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi, 2011 nach und nach seine Gegner in Ost- und in Süd-Libyen besiegt. Jetzt sagte er den Milizen den Kampf an, die auf der anderen Seite stehen; in West-Libyen das Sagen haben. Sie unterstützen - teilweise - Fayez al-Sarraj.
Der von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Regierungschef Libyens hat seinen Sitz in der west-libyschen Hauptstadt Tripolis. Haftar will Sarraj stürzen und so die Macht in ganz Libyen übernehmen.
Zwischen den Milizen von Warlord Haftar und denen des Regierungschefs Fayez al-Sarraj: Hunderttausende Zivilisten, mehr als 18.000 von ihnen sind bereits vor den Kämpfen geflohen. Auch Nadjia Sogousy, Hausfrau und Mutter von vier Töchtern. Die Frau mit dem freundlichen runden Gesicht hat mit einem libyschen Mitarbeiter des ARD-Studios Kairo in Tripolis geredet.
"Ich bin eine Vertriebene. Geschoss-Splitter haben mein Haus getroffen. Danach bin ich geflohen. Jetzt wohne ich bei Verwandten. Das libysche Volk lebt in Angst und Schrecken; nur Horror."
Familien, die zwischen den Fronten wohnen
Im Horror: Solidarität. Der junge Geschäftsmann Marwan Fawzi und ein paar seiner Freunde helfen Menschen, wie Nadjia, wann immer es geht.
"Wir erhalten Hilferufe von Familien, die durch die Kämpfe vom Rest der Welt abgeschnitten sind. In den meisten Fällen können wir nicht zu diesen Familien gelangen. Wir können nur versuchen, sie zu beruhigen, und wir empfehlen ihnen, in Deckung zu gehen; Abstand von Fenstern und Türen zu halten. Manchmal riskieren wir es, abgeschnittene Familien aus umkämpften Gebieten herauszuholen."
Marwan sprach ebenfalls mit dem libyschen Mitarbeiter des ARD-Studios Kairo in Tripolis.
"Innerhalb und außerhalb der Stadt Tripolis ist die Lage tragisch. Da gibt es Familien, die zwischen den Fronten wohnen, Feuergefechte und Schießereien zu hören. Panik greift um sich, sie erfasst alle."
"Die Gewalt hat schreckliche Folgen, besonders für die Zivilisten; sie sind in jedem Krieg Verlierer."
"Ja, es herrscht Bürgerkrieg"
2011 stürzten die Libyer Muammar al-Gaddafi. Seither herrscht Chaos. Die 54-jährige Nadjia Sogousy sieht als Opfer vor allem die Jugend. Sie verrohe angesichts der Gewalt; viele junge Männer griffen selbst zur Waffe.
"Bei Gott, es ist bedauerlich, dass wir die libysche Jungend seit 2011 verlieren. Es ist eine Tragödie, die Jugend zu verlieren. Aber Gott wird hoffentlich dem Blutvergießen ein Ende bereiten, die Probleme mildern und die Menschen zusammenbringen."
Danach sieht es bisher nicht aus. Bisher vergießen die Milizionäre täglich aufs Neue Blut.
"Ja, es herrscht Bürgerkrieg. Und keine Partei kämpft für die Interessen der Libyer. Wenn sie am Ende die Ämter verteilen, sorgt sich jeder nur um sich; will sein Interesse und die Interessen seiner Angehörigen durchsetzen. Ja, es herrscht Bürgerkrieg."
Aber: Fast täglich gehen jetzt auch in Tripolis Menschen auf die Straße, um gegen diesen Bürgerkrieg zu demonstrieren - und gegen Außenmächte, die sich in Libyen einmischen.