Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Libyen
Prozess gegen Gaddafi-Söhne beginnt

In Libyen beginnt heute ein Prozess gegen Angehörige des Gaddafi-Regimes - darunter zwei seiner Söhne. Sie müssen sich mit 30 anderen Angeklagten wegen Korruption und Kriegsverbrechen verantworten. Der Prozess gilt auch als Barometer für die Entwicklung Libyens zu einem demokratischen Rechtsstaat.

Von Anna Osius | 14.04.2014
    Die Anklage hat viele Punkte: Bildung bewaffneter Gruppen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Störung der Stabilität des Landes. Libyen rechnet ab mit den Angehörigen des alten Gaddafi-Regimes - 36 Männer sitzen ab heute auf der Anklagebank. Darunter auch zwei Söhne des langjährigen Machthabers Muammar al Gaddafi: Seif al Islam und al Saadi al Gaddafi.
    Letzterer wandte sich vor wenigen Wochen per Videobotschaft aus dem Gefängnis an das libysche Volk und bat um Verzeihung: "Ich möchte mich beim libyschen Volk und den Brüdern der libyschen Regierung entschuldigen. Denn ich habe mit dem, was ich getan habe, die Stabilität und Sicherheit des Landes gefährdet. Das war falsch, ich hätte das nicht tun sollen."
    Glanz des alten Regimes ist vergangen
    Ein Geständnis vor laufender Kamera? Oder ein versteckter Versuch, um Gnade zu bitten? In blauer Gefängniskleidung, den Blick starr in die Kamera gerichtet, sitzt al Saadi da - in dem kargen Raum, die Hände fast bewegungslos auf den Knien. Nichts ist geblieben vom Glanz des alten Regimes, vom Pomp eines Führers, seinem Vater, der sich latent an der Grenze zum Größenwahn bewegte.
    Auch al Saadi war für seinen ausschweifenden Lebensstil bekannt, interessierte sich eigentlich mehr für Fußball als für Politik. Dennoch, es gehe ihm gut im Gefängnis, betont der 40-Jährige: "Ich bin in guter Verfassung. Im Gefängnis werde ich sehr gut behandelt, bekomme zu essen und ärztliche Versorgung rund um die Uhr."
    Ob die Botschaft al Saadis aus dem Gefängnis erzwungen wurde oder freiwillig kam, ist unklar. Der Gaddafi-Sohn weiß: Ihm droht die Todesstrafe. Er hatte während des Aufstands gegen seinen Vater im Jahr 2011 eine Söldnerbrigade befehligt. Nach der Tötung seines Vaters floh er in den Niger. Das afrikanische Nachbarland lieferte ihn jedoch an die libysche Justiz aus.
    Gaddafi-Sohn ruft zur Versöhnung auf
    In einer ihrer Zellen sitzt sein Bruder, Seif al Islam. Er ist der politischere und grausamere von beiden, heißt es. Er wurde immer gehandelt als möglicher Nachfolger Gaddafis. Seif al Islam hat seine Verhaftung wahrscheinlich nur überlebt, weil er gemäßigten Rebellen in die Hände fiel, die sich weigerten, ihn in die Hauptstadt Tripolis zu bringen. Dort hätten die militanten Untergrundkämpfer mit einem Gaddafi wohl kurzen Prozess gemacht.
    Sein Bruder al Saadi ruft jetzt aus dem Gefängnis zur Versöhnung auf. Das Land müsse wieder geeint werden, sagt er: "Ich fordere alle bewaffneten Kräfte auf, ihre Waffen niederzulegen. Nur die Regierung darf Soldaten befehligen. Die Menschen sollten für eine Versöhnung des Landes einstehen."
    Der Gaddafi-Sohn spricht damit einen wunden Punkt an: Denn seit dem Sturz seines Vaters versinkt das Land im Chaos. Ist es die vorsichtige Erinnerung an bessere Zeiten, die er mit dieser Botschaft zu wecken versucht? Die Hoffnung, dass sich Libyen vielleicht doch noch zurückbesinnt auf seine alte Herrscherfamilie? Immerhin: Der Außenminister Libyens erklärte neulich überzeugt, die beste Staatsform für sein Land sei nur eine: die Monarchie.
    Libyen wird immer mehr zu gescheitertem Staat
    Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Gaddafi-Söhne ungeschoren davon kommen, ist gering. Die Milizen, die damals den Diktator getötet und das Regime gestürzt haben, kontrollieren immer noch große Teile des Landes. Libyen ist zutiefst gespalten - und wird immer mehr zu einem gescheiteren Staat.
    "Die Situation ist katastrophal", sagt John Pack, Politologe der Cambridge University. "Die Milizen zeigen immer wieder, dass sie die libysche Regierung unterminieren. Das bedeutet einen Grundkonflikt zwischen bewaffneten Untergrundkämpfern und der schwachen libyschen Regierung. Und auch die ist wieder gespalten: Nicht der Regierungschef kontrolliert die Truppen, sondern der Parlamentschef. Und der ist Islamist. Wir beobachten momentan Kämpfe auch zwischen den Milizen: Islamisten gegen gemäßigte. Die Gefahr eines regionalen Krieges, der den Osten und Westen Libyens weiter voneinander trennt, ist groß."
    Fast alles in Libyen verzögert sich
    Es ist eine Entwicklung, der die libysche Übergangsregierung nahezu hilflos zusehen muss. Sie ist das schwächste Glied in Libyens bröckelnden Strukturen. Erst vor wenigen Wochen setzte das libysche Parlament überraschend den Regierungschef Ali Seidan ab. Verteidigungsminister Abdalla al Thanni übernahm die Amtsgeschäfte vorübergehend.
    Eigentlich wollten die Abgeordneten binnen 15 Tagen einen neuen Regierungschef wählen, doch die Wahl verzögert sich. Wie so ziemlich alles in Libyen: Das Land hat es in den vergangenen drei Jahren weder geschafft, eine Verfassung zu deklarieren, noch richtige Parlamentswahlen abzuhalten. Lediglich ein sogenannter Allgemeiner Nationalkongress wurde vor zwei Jahren gewählt, übernahm die Rolle eines vorläufigen Parlaments und bestimmte die Interimsregierung. Diese drohte erst vor wenigen Tagen erneut mit Rücktritt, falls das Parlament ihre Machtbefugnisse weiterhin einschränken sollte.
    Ein flaches Motorboot mit mehreren Menschen an Bord fährt am Hafen übers Wasser, im Hintergrund der Kai und ein Fischerboot.
    Die libysche Küstenwache erwartet die Ankunft des Öltankers, den die USA für sie aufgebracht hatten (picture alliance / dpa / Sabri Elmhedwi)
    Blamage im Kampf um Ölrechte
    Hintergrund der jüngsten Regierungskrise war eine beispiellose Blamage der libyschen Regierung im Streit um die Öl-Verkaufsrechte des Landes. Milizen kontrollieren den Osten Libyens und damit einen wichtigen Teil der Ölförderung, Pipelines und Verladehäfen. Im März war ein Tanker unter nordkoreanischer Flagge heimlich aus dem Hafen von Al Sidra ausgelaufen. An Bord: Erdöl im Wert von 30 Millionen Dollar. Das Geschäft hatten die Milizen gemacht.
    Schließlich waren es - mal wieder, möchte man sagen - die USA, die einschritten: Amerikanische Spezialkräfte machten den Tanker im Mittelmeer ausfindig, enterten das Schiff und brachten es samt seiner wertvollen Ladung zurück nach Libyen.
    Der Justizminister versucht verzweifelt, zu beschwichtigen: "Die Milizengruppen sind nicht alle böse", sagt Salah al Marghani. "Manche wollen tatsächlich, dass sich Libyen weiterentwickelt. Wir versuchen, die auszumerzen, die gegen uns kämpfen, und mit den Progressiven zusammenzuarbeiten."
    Ölblockade gelockert
    Immerhin - eine Einigung konnte kürzlich erzielt werden: Die seit acht Monaten dauernde Ölblockade der Milizen wurde gelockert, zwei Ölterminals freigegeben. Durch die Blockade der Ölförderung im Osten des Landes hatte das einst reiche Libyen bislang Verluste von mehr als zehn Milliarden US-Dollar.
    Doch die Gewalt im Land geht unvermindert weiter. In Libyen sind Unmengen an Waffen im Umlauf, weil das Gaddafi-Regime riesige Munitionslager hinterließ und die internationale Gemeinschaft mit der Entschärfung und Vernichtung nicht hinterher kommt. Diese Waffen sind jetzt im Einsatz, wenn Libyer gegen Libyer kämpfen - und das Land immer tiefer ins Chaos stürzen.
    Aus Angst vor Anschlägen fliegen mehrere internationale Fluggesellschaften, darunter auch die Lufthansa, den Flughafen der Hauptstadt Tripolis nicht mehr an - ein weiteres Signal, wie weit Libyen von sicheren staatlichen Strukturen entfernt ist.