Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Licht und Schatten

Am vergangenen Freitag hatte die spanische Justiz Untersuchungsrichter Baltasar Garzón von seinem Amt am Nationalen Gerichtshof suspendiert. Der Richter muss sich nicht nur wegen seiner Untersuchungen des Franco-Regimes rechtfertigen, ihm wird auch vorgeworfen, in einem Korruptionsverfahren Anwälte im Gespräch mit ihren Mandanten abgehört zu haben.

Von Hans-Günter Kellner | 17.05.2010
    Tosender Beifall für Baltasar Garzón, als er am Freitag – vorläufig - zum letzten Mal im Dienstwagen den Nationalen Gerichtshof verließ. Rund Tausend Spanier, junge wie alte, waren vor das Gericht gezogen, um ihm seine Unterstützung zu zeigen. Dieser ältere Mann mit einem langen grauen Bart erklärt:

    "Nach Francos Tod kämpfte ich für Freiheit und Demokratie. Aber wir waren damals großzügig. Wir haben die Faschisten nicht ins Gefängnis gesteckt. Jetzt wollen sie nicht zulassen, dass wir die 113.000 in den Straßengräben Verscharrten ordentlich bestatten. Stellen Sie sich einmal vor, in Frankreich oder Deutschland wären die Straßengräben voller Tote. In Lateinamerika und Ruanda suchen wir nach den Opfern, aber im eigenen Land nicht. Ich demonstriere hier für Menschenwürde und Demokratie."

    Kein schlechtes Wort hört man an diesem Abend über Baltasar Garzón. Dabei wird leicht vergessen, dass sich der Richter nicht nur wegen seiner Untersuchungen des Franco-Regimes rechtfertigen soll. Ihm wird auch vorgeworfen, in einem Korruptionsverfahren gegen ein Firmennetzwerk und Mitglieder der Volkspartei Anwälte im Gespräch mit ihren Mandanten abgehört zu haben. Für Teodoro Mota von der spanischen Strafverteidigervereinigung ALA ein schwerwiegender Vorwurf:

    "Gespräche zwischen Anwalt und Mandant dürfen im Gefängnis nur abgehört werden, wenn es sich um Terrorismusfälle handelt. In allen anderen Fällen nicht. Das Recht auf Verteidigung und das Berufsgeheimnis von Rechtsanwälten würden damit verletzt. Da Garzón das als Untersuchungsrichter wissen muss, hätte er eine solche Entscheidung gegen besseres Wissen getroffen. Das wäre eine Straftat."

    Das illegale Abhören sei am Nationalen Gerichtshof kein Einzelfall, sagt der Rechtsanwalt. Zu oft würden in mündlichen Verhandlungen Beweismittel zurückgewiesen oder Verfügungen der Ermittler annulliert. Jüngstes Beispiel ist für Mota die Schließung einer baskischen Zeitung durch einen Untersuchungsrichter, die später in der mündlichen Verhandlung vom vorsitzenden Richter als schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit als illegal kritisiert wurde. Die spanischen Strafrechtsverteidiger fordern deshalb, die Kompetenzen der Ermittler enger zu definieren:

    "Wir denken, es ist nicht gut, wenn so wenige Richter an einem Sondergericht wie dem Nationalen Gerichtshof so viel Macht haben. Das Gericht mit seinen spektakulären Fällen wie Terrorismus oder Korruption ist nicht nur wichtig für die Strafverfolgung, sondern auch für die Politik im Land. Nach unserer Ansicht ist der Gerichtshof außer Kontrolle. Aus seinen bisherigen Erfahrungen dachte Garzón, er könne jetzt auch Rechtsanwälte ausspionieren. Solche Dinge erleben wir am Nationalen Gerichtshof aber schon seit 30 Jahren."

    Und noch einen Vorwurf gibt es gegen Untersuchungsrichter Garzón: Er soll als Leiter eines juristischen Kolloquiums in den USA von der spanischen Großbank Santander 300.000 Euro erhalten – und dafür Ermittlungen gegen deren Besitzer eingestellt haben. So wird Garzón nun Rechtsbeugung in zwei Fällen sowie Begünstigung im Amt vorgeworfen. Nur in einem dieser Fälle – wegen unterstellter Rechtsbeugung bei den geplanten Untersuchungen gegen das Franco-Regime - wurde bisher formal Anklage gegen den ihn erhoben. Für diesen Fall erhält Garzón aber auch von den Strafrechtsanwälten Anerkennung:

    "Bei Garzón gibt es Licht und Schatten. Was jetzt mit ihm wegen der juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit geschieht, wäre jedem anderen Richter auch passiert, der auf Grundlage des Internationalen Rechts die Verbrechen des Franco-Regimes untersucht hätte. Das ist ein für die Mächtigen unangenehmer Fall. Garzón war da sehr mutig, aber er hat im Grunde nur seine Pflicht getan. Er wollte Straftaten untersuchen, die bei ihm angezeigt worden sind."

    Garzón hat kurz vor seiner Suspendierung eine Versetzung als Berater an den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag beantragt – zunächst auf sieben Monate begrenzt. Darüber hat die spanische Justizverwaltung zwar noch nicht entschieden. Seine Anhänger wussten jedoch schon am Freitag, welche Aufgaben er dort wahrnehmen könnte:

    "Unser Ziel bleibt, dass das Franco-Regime auch juristisch aufgearbeitet wird. Wie auch in anderen Ländern die Verbrechen aufgeklärt worden sind. Garzón geht jetzt an den Internationalen Gerichtshof. Er hat eine Liste mit mehr als 100.000 Verschwundenen, Tausenden von Erschossenen und geraubten Kindern. Er hat alle Mittel, um von dort aus seine Untersuchungen fortzusetzen."