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Liebe mit Hindernissen

Deutschland hat 2007 eine umstrittene Hürde für den Nachzug von Ehepartnern aus Nicht-EU-Ländern geschaffen: Die Große Koalition aus CDU und SPD führte einen Sprachtest ein, der bereits vor der Einreise bestanden werden musste. Viele Abgeordnete aber wollen diesen Test seitdem wieder abschaffen, auch weil sie fürchten, dass EU-Recht verletzt wird.

Von Jens Rosbach |
    Heike Gentsch ist eine schlanke, schwarzhaarige Sängerin. Sie lebt in einer kleinen Berliner Wohnung, in der überall Räucherstäbchen, Klangstäbchen und Klangschalen verteilt sind. Die 44-Jährige wartet sehnsüchtig auf ihren Ehemann Manish Patni. Dieser lebt rund 6000 Kilometer von ihr entfernt - in Indien - und darf seine Frau nicht besuchen. Geschweige denn zu ihr ziehen.

    "Ich bin verheiratet, bin ganz klar gebunden an einen Menschen, das habe ich ganz bewusst entschieden – und lebe doch komplett allein!"

    Deutschland hat 2007 eine umstrittene Hürde aufgebaut für den Nachzug von Ehepartnern aus Nicht-EU-Ländern. Damals hat noch die Große Koalition aus CDU und SPD einen Sprachtest eingeführt – einen Test, der bereits vor der Einreise - im Heimatland - bestanden werden muss. Grünen-Politiker Memet Kilic:

    "Sprachfähigkeit zu einer Voraussetzung zur Familienzusammenführung zu machen, widerspricht Artikel 6 des Grundgesetzes: Schutz der Familie – so sieht es mit einem Rechtsstaat aus."

    Die schwarz-gelbe Bundesregierung will jedoch an der Deutschprüfung festhalten. Innenstaatssekretär Ole Schröder, CDU:

    "Letztendlich muss man sich dazu bekennen: Möchte ich diese vorausgelagerte Integration – oder akzeptiere ich Parallelgesellschaften? Das ist die entscheidende Frage."

    Allerdings gibt es inzwischen selbst in der Berliner Regierungskoalition juristische Bedenken. Serkan Tören, integrationspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion:

    "Es gibt die Möglichkeit, dass der Europäische Gerichtshof dort in eine bestimmte Richtung entscheiden könnte – also brauchen wir jetzt langsam politische Antworten darauf, damit eben nicht plötzlich wir vor vollendeten Tatsachen stehen."

    Rückblick - März 2010: Die Berliner Sängerin und Buddhistin Heike Gentsch pilgert durch Indien. Bei einem Aufenthalt in Delhi verirrt sie sich.

    "Ich war irgendwo einfach verzweifelt. An mir hingen da an der einen Seite tausend Bettler oder fünf oder zwanzig, an der anderen Seite mehrere Kinder, mehrere Händler, mehrere Rikschafahrer – und ich dachte, ich … jetzt … Weltuntergang. Und dann habe ich gebetet. Und habe gesagt, ich bitte um einen Engel, der mir sagt, wo es hier lang geht (lacht). Und dann stand da mein danach folgender Partner vor mir."

    Die Touristin erblickt einen kräftigen, etwa 30-jährigen Inder in T-Shirt und Jackett. Schnell verlieben sich die beiden. Kurz darauf fliegt die Berlinerin erneut auf den Subkontinent, schließlich lädt sie ihren Freund nach Deutschland ein. Doch Manish Patni erhält kein Visum von der deutschen Botschaft - ohne Begründung.

    "Es war ein Schock. Das war wirklich ein Schock. Bin total in Tränen ausgebrochen und mein Freund war auch vollkommen außer sich und es war ganz schwer."

    So jettet Gentsch, die auch als Musikpädagogin und Therapeutin arbeitet, wiederum zu ihrem Freund. Sie heiraten vor Ort. Doch selbst als Ehemann darf der Inder nicht einfach mit nach Deutschland kommen – erst einmal muss er den vorgeschriebenen Sprachtest bestehen. Also fährt er von seiner Heimatprovinz 700 Kilometer weit nach Delhi, um Deutsch zu lernen – und zwar innerhalb von fünf Wochen.

    "Die Menschen müssen es dann beim Goethe-Institut machen. Was generell nicht schlecht ist, weil Goethe-Institut ist gut, ist renommiert – aber es ist das teuerste Institut. Und in Indien, die Menschen, die irgendwie vielleicht - wenn es hoch kommt – umgerechnet 300 Euro im Monat verdienen, wenn überhaupt - also das heißt auch, ich bin gezwungen, das alles zu zahlen. Wie sollen die das machen?"

    "Die Intention war, dass derjenige, der nach Deutschland kommt, sich zumindest mit einfachsten Worten verständigen können muss. Wenn eine Frau beispielsweise aus der Türkei nach Deutschland kommt, dass die zumindest in der Lage ist, beispielsweise einen Krankenwagen zu rufen. Das ist etwas, dass was der Frau selbst auch zu Gute kommt, das ist für die Integration in unserem Land von großer Bedeutung."

    Ole Schröder, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, spricht von einer Integrationshilfe für die Migranten. Doch die Betroffenen sehen das anders. So protestiert der Verband binationaler Familien und Partnerschaften gegen die Zuwanderungsbarriere. Bereits kurz nach Einführung der Regelung vor vier Jahren schimpfte Safter Cinar, der damalige Sprecher des Türkischen Bundes, über den Vorab-Test:

    "Das finden wir grundsätzlich falsch, zumal nach dem Zuzug nach Deutschland es ohnehin verpflichtende Deutschkurse gibt."

    Kritische Stimmen auch im Bundestag. So hält Memet Kilic, Sprecher für Migrations- und Integrationspolitik der Bündnis-Grünen-Fraktion, die vorgeschaltete Deutschprüfung für diskriminierend. Denn bei Weitem nicht alle Zuwanderer müssen diese Sprachtests ablegen: Für Zuwanderer aus Ländern, für die eine generelle Visafreiheit gilt, gibt es diesen Deutschzwang nicht. Diese Migranten brauchen erst hierzulande Sprachkenntnisse nachzuweisen – und zwar in Form eines einfachen Alltagsgesprächs. Kilic, der in der Türkei geboren wurde und von Beruf Rechtsanwalt ist, kritisiert:

    "Die Menschen aus Neuseeland oder USA oder Israel oder Südkorea, die sind von dieser Sprachprüfung weiterhin befreit. Aus meiner Sicht ist es eine Doppelmoral: Die Bundesregierung will lediglich den Zuzug von Ehegatten aus ärmeren Regionen – und aus bestimmten Ländern, die der Regierung unangenehm sind, verhindern."

    Die schwarz-gelbe Bundesregierung begründet die Visafreiheit für ausgewählte Staaten mit besonderen wirtschaftlichen oder politischen Beziehungen. Innenstaatssekretär Ole Schröder macht auch keinen Hehl daraus, dass die Vorabsprachprüfung durchaus auf bestimmte Länder abzielt – auf Länder, in denen es noch Zwangsehen gibt. Wie in der Türkei.

    "Wir haben Fälle, dass Frauen bewusst durch den Sprachtest durchfallen, weil sie sagen, dass ist die einzige Möglichkeit, um nicht nach Deutschland zu müssen, um nicht zwangsverheiratet zu werden – auch solche Fälle gibt es."

    Der CDU-Politiker kann allerdings für seine Behauptung keine Statistik vorlegen. Grund für die Bundestagsopposition, Schröders Aussage zu hinterfragen. So bezweifelt die Abgeordnete der Linken, Sevim Dagdelen, dass durch den Sprachtest Frauen verachtende Praktiken verhindert werden könnten.

    "Das vorgegebene Motiv war die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen. Und das war scheinheilig. Denn durch diese Maßnahme wurde bis heute kein einziger Fall von Zwangsverheiratung verhindert. Es fehlt jeglicher Beweis seitens der Bundesregierung, dass diese Maßnahme irgendeine Zwangsverheiratung verhindert hätte."

    Dagdelen ist migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die türkischstämmige Politikerin kämpft immer wieder mit Anfragen, Anträgen und Parlamentsreden gegen die Nachzugshürden, die Schwarz-Rot 2007 beschlossen hat. Die linke Bundestagsabgeordnete nimmt jetzt die schwarz-gelbe Regierungskoalition aufs Korn.

    "Sie wollen die Notlagen von Frauen dafür nutzen, um Ihre hässliche Abschottungspolitik zu kaschieren. Denn Sie wollen immer noch Familienzusammenführungen in Deutschland verhindern!"

    Die Berliner Sängerin Heike Gentsch hat vorgesorgt. Sie ist gewarnt worden, dass ihre Ehe mit dem Inder von den deutschen Behörden zwar nichts als Zwangs- aber als Scheinehe gewertet werden könnte.

    "Wir haben dann alle unsere Skype-Protokolle gesammelt, unsere E-Mails gesammelt, wir haben das alles ausgedruckt, alle meine Telefonrechnungen gesammelt. Fotos gibt es ja eh, die haben wir ja gemacht, ohne die als Beweismaterial zu machen. Wenn man Spaß hat miteinander, dann macht man eben Fotos. Und haben eben die ganzen Beweismaterialien gesammelt, dass wir jetzt wirklich ne Liebesbeziehung haben. Aber was es mit einem macht ist, wenn auch ein sensibler Mensch ist, das haut einen rein, das ist wirklich wie … das ist alles wie Ohrfeigen, muss ich sagen."

    Weiteres Problem: Gentschs Ehepartner scheitert im vergangenen Jahr an der Sprachprüfung. Zweieinhalb Monate später wiederholt er den Test - diesmal erfolgreich. Daraufhin muss das Paar zahlreiche weitere Dokumente einreichen – wie Geburtsurkunden und Heiratsunterlagen, außerdem die Meldebescheinigung, den Mietvertrag und den Einkommensnachweis der deutschen Ehefrau. Derzeit prüft das deutsche Konsulat in Mumbai die Unterlagen. Seit mehr als eineinhalb Jahren darf der Inder seine Frau in Berlin nicht besuchen.

    "Es kann Beziehungen zerstören – und ich merke das auch. Weil diese dauernde Warterei, dieses dauernde Getrenntsein – das finde ich ne Zumutung."

    Laut offizieller Statistik wurden im ersten Halbjahr 2011 weltweit rund 16.000 deutsche Visa erteilt für den Ehegattennachzug. Verhindert der umstrittene Sprachtest, dass weitere binationale Paare zusammenfinden – Liebespaare? Nach Angaben der Bundesregierung bestehen - über alle Nationen hinweg - rund 64 Prozent der ausländischen Ehegatten die Deutschprüfung. So eine Statistik für das Jahr 2009. Oppositionspolitiker halten die Quote für viel zu niedrig – weil es bei der Familienzusammenführung schließlich um ein Grundrecht ginge, so ihre Begründung. Die Kritiker bemängeln zudem, dass die Behörden nicht erfassen, wie oft jemand den Test wiederholt beziehungsweise ob die Prüfung von vornherein Betroffene abschreckt.

    "Deshalb haben wir, die Grünen, einen Gesetzentwurf bereits eingereicht, womit wir diese vorgeschaltete Sprachprüfung abschaffen wollen. Und aber an der Regelung festhalten, dass die Betroffenen in Deutschland verpflichtend einen Deutschkurs besuchen müssen."

    Nicht nur die Fraktion von Memet Kilic hat im Bundestag einen Antrag eingereicht, um die Nachzugshürde zu beseitigen. Auch die Linkspartei hat einen Gesetzentwurf formuliert. Neuerdings will auch die SPD aktiv werden. Die Sozialdemokraten hatten zwar 2007, zu Zeiten der Großen Koalition, den Sprachtest mit beschlossen. Jetzt allerdings wollen sie ihn wieder abschaffen. Begründung: Die Deutschprüfung verhindere keine Zwangsehen. Andererseits seien zahlreiche Fälle dokumentiert, wonach freiwillig geschlossene, binationale Ehen in Deutschland nicht gelebt werden könnten. So steht es in einem Entwurf für einen Gesetzesantrag, über den die SPD-Bundestagsfraktion seit mehr als zweieinhalb Monaten berät.

    Der Grund für die Verzögerung: Einige SPD-geführte Bundesländer, wie Berlin und Brandenburg, sind gegen die Abschaffung des Sprachtests. Man habe keine Kapazitäten zu kontrollieren, ob die Zuwanderer nach ihrer Einreise zu einem Deutschtest erscheinen, begründet etwa die brandenburgische Landesregierung ihren Widerstand. Doch auch im Bundestag ist gegen CDU/CSU und FDP keine Mehrheit für die Abschaffung des Sprachtests in Sicht. Die Opposition hofft deshalb auf juristischen Druck – und zwar aus Luxemburg und Brüssel:

    "Neulich hat ja auch die Europäische Kommission bei einem Verfahren gegen Holland richtig zum Ausdruck gebracht, dass diese vorgeschaltete Sprachprüfung nicht rechtsmäßig wäre. Das weiß die Bundesregierung. Aber Deutschland neigt in der Regel dazu, die Urteile vom Europäischen Gerichtshof nicht zu berücksichtigen, wenn die unangenehm sind."

    Die EU-Kommission hat im vergangenen Mai erklärt, dass eine Vorabprüfung der niederländischen Sprache und der niederländischen Gesellschaftsverhältnisse gegen eine EU-Richtlinie verstößt: gegen die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie. Anlass war eine Klage aus den Niederlanden vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. In dem Verfahren hatte der Gerichtshof die Brüsseler Kommission um eine Stellungnahme gebeten. Aufgrund der kritischen Erklärung gab die niederländische Regierung nach – sie wollte offenbar einem Urteil zuvorkommen. Nun verlangt Amsterdam beim Ehegatten-Nachzug keinen Vorabsprachtest mehr. Innenstaatssekretär Ole Schröder sieht aber in der beanstandeten niederländischen Praxis keine Parallelen zu Deutschland.

    "Die Kommission hat in keiner Weise zum deutschen Recht diesbezüglich Stellung genommen. Der niederländische Fall ist unabhängig vom deutschen zu sehen."

    Diese juristische Interpretation der Bundesregierung ist jedoch umstritten - selbst innerhalb der schwarz-gelben Koalition.

    "Die Niederlande sind nun mal auch Mitglied der EU und insofern kann man sich da nicht darauf berufen, dass das ein anderes Land wäre."

    Serkan Tören ist FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Innenausschusses. Der türkischstämmige Politiker macht sich Sorgen, dass der Europäische Gerichtshof auch die deutsche Hürde für einen Familiennachzug aufheben könnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gestiegen – aufgrund eines Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts. Das Gericht erklärte vor einem Monat, dass eine Klage gegen den deutschen Sprachtest dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden muss. Hintergrund war die Beschwerde einer Kamerunerin. Ihr Fall landete allerdings nicht in Luxemburg - und es gab auch kein deutsches Urteil. Denn das Auswärtige Amt erteilte der Klägerin plötzlich - ohne bestandenen Sprachtest - ein Visum. Als Begründung für den Sinneswandel führte das Außenministerium jedoch nicht die Furcht vor einem Luxemburger Grundsatzurteil, sondern eine deutsche Altfallregelung an. Serkan Tören, der von Beruf Anwalt ist, hält die gesamte Rechtspraxis für fragwürdig. Deshalb will der Liberale vorsorgen für den Fall, dass der Europäische Gerichtshof den deutschen Pflichttest kippt. Sein Alternativvorschlag: ein freiwilliger Sprachtest im Herkunftsland.

    "Man könnte das vielleicht verbinden mit bestimmten Bonusregelungen, wer eben sehr schnell diese Sprachkurse freiwillig vor Ort besucht, dass der in den Genuss von bestimmten Sachen kommt. Bei Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder wenn wir an die Niederlassungserlaubnis herangehen, dass man da daran anknüpft."

    Der Integrations- und Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion will einen Brief an den Bundesinnenminister formulieren, in dem er die Überarbeitung der Visaregeln vor allem für die Türkei fordert. Tören möchte, dass davon türkische Unternehmer wie auch türkische Ehepartner profitieren. Denn seiner Ansicht nach widerspricht der deutsche Vorabtest eventuell nicht nur der EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie, sondern auch einem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei: dem sogenannten Assoziationsabkommen. Dieses besagt unter anderem, dass die Einreise ausländischer Arbeitnehmer nicht erschwert werden darf. Laut dem FDP-Politiker könnte eine weitere deutsche Regelung dem Assoziationsabkommen widersprechen. Es handelt sich um eine Strafrechtsänderung, die die schwarz-gelbe Koalition im vergangenen März beschlossen hat.

    "Wir haben die Ehebestandszeit, also die Mindestzeit einer Ehe, bis man halt einen eigenen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, von zwei auf drei Jahren erhöht. Das haben wir getan, weil wir davon ausgehen, dass man dadurch eben Scheinehen besser bekämpfen kann. Weil die dann eben länger andauern müssen und in diesem Zeitraum wir das besser überprüfen können. Aber in Bezug auf türkische Arbeitnehmer ist das wiederum eine Verschärfung, sodass ich auch davon ausgehe, dass diese Regelung beispielsweise ebenfalls nicht gilt."

    "Ich muss Ihnen ganz offen und ehrlich sagen: Ich empfinde diese Politik als ungerecht!"

    Trotz vielfältiger Kritik - die Bundesregierung hält an den Visaregeln für Ehegatten fest. Das sorgt mittlerweile auch auf zwischenstaatlicher Ebene für Unmut. Im September weilte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül zu Besuch in Deutschland. Im Vorfeld klagte er im ZDF über den Pflicht-Deutschtest:

    "Ich denke, dass dies den Menschenrechten widerspricht und dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie."

    Die Bundesregierung sieht allerdings weiterhin keinen Reformbedarf – und riskiert somit, dass der Europäische Gerichtshof beim nächsten Streitfall die deutsche Visapraxis als rechtswidrig einstufen könnte. In ähnlichen Fällen wurde Deutschland bereits zum Handeln gezwungen – durch ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission. Das Verfahren wurde im vergangenen Juni eingeleitet und verlangt, dass Deutschland unter anderem den Nachzug homosexueller Lebenspartner aus dem Ausland erleichtert. Konkret geht es um Homosexuelle, die zu einem EU-Bürger ziehen wollen, der in Deutschland lebt. Ole Schröder, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, verspricht eine Änderung der sogenannten Freizügigkeitsregeln – sieht aber keinen Etappensieg für die EU-Kommission.

    "Die Kommission hat das von uns verlangt und wir tun das jetzt. Insofern ist das ein völlig normaler Vorgang."

    Zum Interview erschien der Staatssekretär in Begleitung eines Fachbeamten aus dem Bundesinnenministerium. Immer wieder musste Ole Schröder das Gespräch unterbrechen, damit sein Mitarbeiter zur korrekten Beantwortung der Fragen in den jeweiligen Gesetzestexten nachschlagen konnte. Aus gutem Grund, denn das Ausländerrecht ist hoch kompliziert. Vor allem das Aufenthaltsgesetz mit seinen 107 Paragrafen.

    "Ausländergesetz ist bewusst und systematisch dschungelhaft gestaltet. Diese Gesetzgebung hat keine richtige Systematik. Man will (es) bewusst den Anwendern schwer machen. Anwälte sollen nichts verstehen. Die Gerichte sollen nichts verstehen. Ausländerbehörden sollen nichts verstehen."

    Bilanziert - enttäuscht - Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Memet Kilic. Auch wenn die Bundesregierung das naturgemäß anders sieht.

    "So operiert man auf dem Gebiet, damit auch die Betroffenen sich politisch nicht artikulieren können. Das ist eine vollkommene Absicht, seit Jahren."

    Heike Gentsch, die Sängerin aus Berlin, muss weiterhin auf ihren indischen Ehepartner warten. Da sich das komplizierte Verfahren zur Familienzusammenführung hinzieht und ihr Mann so lange nicht das Heimatland seiner Frau besuchen darf, wird Gentsch bald zum fünften Mal nach Delhi fliegen.

    "Ich vermute wohl, ich werde Weihnachten in Indien verbringen und Jahreswechsel. Weil sonst habe ich wirklich Angst, dass wir auf dem Wege komplett unsere Beziehung verlieren."