Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lieber BAföG statt Absetzbarkeit

Die Kosten für Ausbildung und Erststudium sollen steuerlich absetzbar sein, das hat der Bundesfinanzhof entschieden. Eine nachträgliche Steuerersparnis sei keine Alternative zu einer besseren Ausbildungsförderung, sagt der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring und fordert lieber BAföG für alle.

Kai Gehring im Gespräch mit Manfred Götzke | 19.08.2011
    Manfred Götzke: Ein Studium mit Geld-zurück-Garantie wäre das nicht schön? Das oberste deutsche Finanzgericht hat eine solche Geld-zurück-Garantie jetzt tatsächlich theoretisch ermöglicht, es hat in einem Urteil entschieden, dass Studienkosten, also Studiengebühren, Geld für den Laptop et cetera nach dem Studium steuerlich abgesetzt werden können. Und weil so ein Studium ja schon mal 30-, 40.000 Euro kosten kann, ist das ein ganz schöner Batzen Geld. Aber ist das auch eine sinnvolle Form der Bildungsförderung? Darüber möchte ich jetzt mit Kai Gehring sprechen, er ist bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Herr Gehring, auch an Sie erst mal die Frage: Freuen Sie sich mit den Studierenden und Absolventen über das Urteil?

    Kai Gehring: Es ist ein spannendes Urteil, was Anlass sein kann, das Steuersystem bildungsfreundlicher zu gestalten, weil Ausbildung und Studium wichtige Zukunftsinvestitionen sind, die staatlich besser gefördert werden sollten. Diese Förderung sollte unserer Meinung nach aber eben nicht über das Steuerrecht geschehen, sondern muss direkt während der Ausbildung oder während des Studiums erfolgen.

    Götzke: Das geschieht ja schon durch das BAföG.

    Gehring: Das geschieht durch das BAföG, aber jetzt würde ja eine ganz neue Philosophie eingeführt, wenn das Urteil so umgesetzt wird und wir eine steuerliche Absetzbarkeit einführen. Und das würde ja bedeuten, je mehr jemand direkt nach dem Studium verdient, desto höher fällt seine Förderung aus, und das wäre aus unserer Sicht ungerecht. Eine gerechte Ausbildungsförderung muss doch danach ausgerichtet sein, wie bedürftig jemand zum Zeitpunkt des Studiums ist, genau das ist ja die BAföG-Philosophie und nur so kann eine staatliche Studienförderung auch dazu führen, mehr Studienberechtigte aus bildungsfernen Schichten an die Hochschulen zu bekommen. Also zugespitzt: Eine finanzielle Unterstützung brauchen junge Leute, wenn sie als Azubis oder Studis jeden Euro zweimal umdrehen müssen, und deshalb zielt eigentlich der Richterspruch des Bundesfinanzhofs in die falsche Richtung aus grüner Sicht.

    Götzke: Aber wenn man Studienkosten tatsächlich absetzen könnte, könnte das doch eben auch Abiturienten aus finanzschwachen Familien zu einem Studium bewegen, weil die dann wissen, ich kann meine Kosten fürs Studium danach wieder absetzen, ich bekomme das Geld wieder rein.

    Gehring: Man profitiert aber nur dann davon, wenn man tatsächlich ein hohes oder sehr gutes Einkommen dann hinterher auch tatsächlich hat. Nach dem Urteil würde man ja mehr netto nach dem Studium erhalten, wenn man zum Beispiel als Pilot oder Arzt überdurchschnittlich gut verdient. Und es wäre schon ein bisschen grotesk oder auch weltfremd, weil ich glaube, dass viele einfach davon abgeschreckt sind, ein Studium aufzunehmen, weil sie nicht wissen, wie sie es dann tatsächlich finanzieren sollen. Ich glaube, nachgelagert vom Fiskus was zurückzukriegen, ist da nicht so der große Anreiz oder die finanzielle Planungssicherheit, die viele junge Leute brauchen.

    Götzke: Letztlich sagen Sie aber, diese zusätzliche Förderung für Studierende, für Absolventen, die ist falsch, die wollen Sie nicht?

    Gehring: Na, wer Bildung besser finanzieren möchte, muss sich starkmachen für eine direkte Förderung, die bei Studis und Azubis landet und nicht bei Gutverdienern danach. Eine nachträgliche Steuerersparnis ist keine Alternative zu einer besseren Ausbildungsförderung, und problematisch am Gerichtsurteil ist ja auch, dass es einen engen Berufsbezug geben muss. Das heißt, Sozialwissenschaftler, die auch dann in untypischen Berufen landen, die haben es dann schwerer mit der Absetzbarkeit, oder ganze Fächergruppen werden dann ungleich behandelt, und das wäre auch absurd, wenn man sagt, Medizinstudium absetzbar, Soziologie nicht. Und deshalb müssen Schäuble und Schavan da jetzt wirklich eine kluge Lösung vorlegen und am besten ein Konzept, wie man das BAföG deutlich ausbaut, anstatt jetzt ungerechte Einzelfallentscheidungen, mehr Bürokratie und Steuerausfälle für Bund, Länder und Gemeinden zu verursachen. Wir brauchen eine Lösung, die Studis und Azubis besser fördert – für eine solche Lösung gäbe es dann auch grünes Licht von den Grünen, aber eine nachträgliche Erstattung vom Fiskus macht nicht so viel Sinn.

    Götzke: Sollte die Regierung das Urteil also einfach ignorieren?

    Gehring: Nein, nicht ignorieren, sondern eben so umsetzen, dieses Urteil, dass sie ein besseres Konzept für eine direkte Studien- und Ausbildungsförderung vorlegen, also das BAföG modernisieren, mehr Leute reinholen in die Studienförderung, das wäre gerechter und besser, als einigen wenigen dann nachträglich hier eine Erstattung vom Fiskus zuteil werden zu lassen. Also besser fördern während des Studiums als dann hinterher die Steuergutschrift, das wäre aus unserer Sicht die richtige Lösung.

    Götzke: Sie wollen also das BAföG ausweiten, in welchem Umfang?

    Gehring: So, dass wir einfach mehr junge Menschen gewinnen, die zu den klassischen Bildungsaufsteigern gehören, also solche, die aus Familien mit geringem oder auch mit mittlerem Einkommen stammen. Es ist ja so, dass wir auch ein Mittelschichtsloch im BAföG haben. Unser Reformvorschlag geht so, dass wir ein Zweisäulenmodell wollen, einen Sockel für alle Studis in gleicher Höhe und dann eben eine zweite Säule als starke soziale Komponente, wo auch die Bedürftigkeit dann eine Rolle spielt, weil ich glaube, dass wir gerade auch zu Zeiten des Fachkräfte- und Akademikermangels kein Talent und kein Potenzial vergeuden dürfen, sondern für möglichst viele junge Menschen den Weg auf den Campus ebnen müssen. Und das schaffen wir mit einer besseren Förderung während des Studiums und eben nicht mit der Gutschrift oder Absetzbarkeit danach.

    Götzke: Sie haben ja gerade diese Milliardenausfälle, die möglicherweise aufkämen, wenn man diese Steuergutschrift hätte, kritisiert, BAföG für alle ist aber auch nicht gerade billig.

    Gehring: Nein, das wäre auch nicht gerade billig, wir haben aber jetzt auch das Problem, dass dieses Urteil des Bundesfinanzhofs ja erst mal überhaupt gar nicht klar bezifferbar ist, das Bundesfinanzministerium wird das gerade prüfen und rechnen. Die grundsätzliche Systematik halten wir aber für falsch, dass eben über das Steuersystem und Steuerrecht zu machen. Eine BAföG-Erhöhung und damit auch breitere Wege auf den Campus, das rechnet sich aber auf jeden Fall, sei es dieses Zweisäulenmodell der Grünen oder ein Ausbau des BAföG, kostet natürlich mehr Geld, aber es rentiert sich umso mehr, weil das natürlich den Fachkräfte- und Akademikermangel verringert und ein Studium immer noch die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist. Und deshalb ist das eine gute Zukunftsinvestition.

    Götzke: Herr Gehring, vielen Dank für das Interview!

    Gehring: Ich danke Ihnen, wiederhören!

    Götzke: BAföG für alle statt Absetzbarkeit von Studienkosten fordert Kai Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.