Archiv


"Lieber würde ich regieren"

Nach Aussage des Parteivorsitzenden der Grünen, Reinhard Bütikofer, sieht seine Partei optimistisch in die Zukunft. Man werde "bei allen anstehenden Wahlen zulegen können". Die große Koalition schaffe hingegen nur Probleme, "indem sie aus ziemlich entgegengesetzten Konzepten einen großen Kuddelmuddel veranstaltet". Es gebe kein Thema, bei dem sich SPD und Union einig wären, fügte Bütikofer hinzu.

Moderatio: Peter Lange |
    Peter Lange: Keine Regierungspartei mehr, nirgendwo, sondern eine lupenreine Oppositionspartei. Die Grünen müssen sich neu finden, vielleicht sogar neu erfinden. Auch sie gehen diese Woche in Klausur, traditionsgemäß nach Wörlitz. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich vorzustellen, dass die Stimmung nicht überbordend gut sein wird. Alles zurück auf Anfang? Aber ohne die Galionsfigur Joschka Fischer, der nun auch sein letztes Parteiamt aufgegeben hat. Aber vielleicht überraschen uns die Grünen ja auch. Opposition macht auch frei - aber wofür? Am Telefon ist Reinhard Bütikofer, einer der beiden Parteivorsitzenden der Grünen. Herr Bütikofer, welche Variante trifft denn zu?

    Reinhard Bütikofer: Ich wollte mich eigentlich entschuldigen, dass ich nicht so schlecht drauf bin, wie es nach Ihrer Anmoderation zu erwarten wäre.

    Lange: Also Opposition macht Sie frei, frei von allen Zwängen, schafft neue Möglichkeiten, ein Neuanfang, in dem ein Zauber wohnt?

    Bütikofer: Na ja, man soll's nicht romantisch sehen. Lieber würde ich regieren, weil die Probleme, die die große Koalition uns schafft, indem sie aus ziemlich entgegengesetzten Konzepten einen großen Kuddelmuddel veranstaltet, die kann ja jeder besichtigen. Da gibt es ja praktisch kein Thema, bei dem die sich einig wären. Ich glaube, eine klare Richtung wäre schon wichtig, zum Beispiel in der Energiepolitik. Aber wir sind nun mal in der Opposition und deswegen wollen wir in der Tat diese Zeit nutzen. Wir gehen optimistisch in das Jahr. Wir glauben, dass wir dieses Jahr bei allen Wahlen, die anstehen, zulegen können und zeigen können, dass grüne Ideen wachsen, dass grüne Unterstützung wächst. Da gibt es eine Reihe von Themen, mit denen wir uns nun schon lange rumgeschlagen haben, auf die andere jetzt gerade kommen. Und deswegen glaube ich auch, wir können aus der Opposition raus so was wie eine gewisse Richtungsweisung durchaus beitragen.

    Lange: Also das hätte ich jetzt natürlich an Ihrer Stelle auch so ähnlich gesagt. Aber die FDP hat jetzt ...

    Bütikofer: Deswegen muss es nicht falsch sein, Herr Lange, ..

    Lange: Nein, nein.

    Bütikofer: .. wenn wir beide uns einig wären ...

    Lange: Keine Frage. Die FDP hat aber mit dem radikalen Umbau des Sozialstaats ihr Generalthema; die Linkspartei mit dem Schutz des Sozialstaats das ihre. Was ist denn das Generalthema der Grünen, was jetzt nicht schon in irgendeiner Weise von der großen Koalition vereinnahmt wird?

    Bütikofer: Nun, das ist ja offensichtlich, das weiß ja jeder in Deutschland. Das wissen auch Sie, auch wenn Sie so fragen. Das Generalthema der Grünen heißt, die Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft zusammenbringen mit der sozialen Verantwortung für heute und mit...

    Lange: Das sagen die anderen auch.

    Bütikofer: ... der individuellen Freiheit. Na ja also, jetzt tun Sie mal nicht so, als hätte irgendjemand in den letzten Jahren die ökologischen Themen vertreten, wenn nicht die Grünen, wenn es darauf ankam - ich erinnere mich an viele Auseinandersetzungen mit der SPD, etwa um Emissionshandel oder um Klimapolitik und so weiter, in denen es am Ende nur die Grünen waren, die diese Themen ernsthaft vertreten haben. Und wenn man sieht, wie das, was früher so als "weiche" Themen abgetan worden ist, als Randthemen behandelt worden ist - Klimapolitik, Umweltpolitik -, wie das jetzt zum Kern von Innovationspolitik, von Wirtschafts- und Industriepolitik wird, wie unsere grüne Strategie des Weg-vom-Öl inzwischen zum Generalnenner für eine nationale Kraftanstrengung wird, dann muss man sich da doch jetzt nicht ins Eck stellen und schämen.

    Lange: Das nicht, aber wird Ihnen damit nicht ein wichtiges Thema genommen?

    Bütikofer: Na eben gerade haben Sie gesagt, wir hätten keins; jetzt sagen Sie, es wird uns weggenommen. Tatsache ist, dass wir in diesen Themen das Original sind, genauso wie in Fragen der Bürgerrechtspolitik oder in Fragen der Kinderpolitik. Jetzt reden alle davon, dass man aus Deutschland ein kinderfreundliches Land machen muss. Aber das ist ein Thema, mit dem wir als Grüne schon lange vorangehen. Und ich glaube, so kurzsichtig sind die Leute nicht. Da bin ich ganz ruhig und optimistisch. So kurzsichtig sind die Leute nicht, dass sie vergessen, wer da die Fingerzeige gibt.

    Lange: Aber immer nur zu sagen: Das hätten wir auch gewollt, wir haben es nur nicht gedurft - das wird nicht reichen.

    Bütikofer: Habe ich auch gar nicht gesagt. Deswegen trifft der Hinweis ja nicht. Worauf es mir ankommt und was unsere Rolle ist, ist weiter zu gehen, ist vorauszumarschieren, ist neue Perspektiven aufzumachen. Und in der Tat nicht nur das zu wiederholen, was inzwischen - Gott sei Dank - andere nachsagen. Aber genau da ist ja genug Bedarf. Wenn Sie mal ein paar Themen konkret nehmen, vielleicht wird es viel nachvollziehbarer für die Hörer, wenn man konkret wird: Es geht zum Beispiel um die Frage, wie man in der Arbeitsmarktpolitik jetzt ein Beschäftigungsangebot schafft für niedrig Qualifizierte, ohne dabei Arbeitnehmerrechte völlig zu schleifen, wie es die Union und die FDP mit ihren neoliberalen Auswüchsen betreiben oder auf der anderen Seite ein Riesensubventionstatbestand zu schaffen, bei dem aber am Schluss für die Arbeitnehmer nichts rauskommt.

    Lange: Aber gerade bei ...

    Bütikofer: Nun will die Union Kombilöhne. Und da sagen wir: Da gibt es ein viel besseres Modell, nämlich dass man eine Progression schafft bei den Sozialversicherungsbeiträgen, so dass der, der wenig verdient, auch wenig Beiträge zahlt und sein Arbeitgeber auch wenig Beiträge zahlt, dass die Sozialversicherungsbeiträge aus Steuern ein Stück weit übernommen werden und auf die Art und Weise es sich wieder lohnt, in solche Jobs zu investieren. Das ist ein ganz konkreter Vorschlag, wo wir, glaube ich, den Takt angeben.

    Lange: Aber gerade bei dem Thema Arbeitsmarktpolitik, da zeigt sich doch, dass in dieser großen Koalition immer auch gleich die Opposition mitgeliefert wird. Erschwert Ihnen das das Geschäft?

    Bütikofer: Na ja, kann sein, kann nicht sein. Die Frage ist: Wenn die kein vernünftiges Konzept zustande bringen, dann bringt es das Land nicht vorwärts. Dann kann ich als Oppositionspartei vielleicht darüber glücklich sein, weil ich sage: Jetzt kann ich mich profilieren. Mir wäre es ja eigentlich, ging es ja eigentlich nicht nur darum, parteipolitisch zu denken, sondern dass wirklich die Probleme gelöst werden. Ich glaube, so wie es die große Koalition im Moment diskutiert, findet sie bis jetzt keinen Ausweg. Gerade in dem Problem, was ich angesprochen habe. Der Herr Wulff macht jetzt seine Extratouren in Niedersachsen mit einem ziemlich absurden Kombilohn-Modell; der Herr Böhr aus Rheinland-Pfalz - der schon welche erlebt hat - sagt: Das bringt alles nichts. Da wird kein Stück draus. Und deswegen, glaube ich, kommt es auf eine Oppositionspartei an, die da einen Kurs auch durchhalten kann. Wir haben seit Jahren gesagt, die Senkung der Lohnnebenkosten ist notwendig. Das zu konzentrieren auf die niedrig Qualifizierten, darum geht es jetzt eigentlich. Und ich glaube, das sehen auch viele, die von der Wirtschaft was verstehen, von den Fachleuten sehen das so, und deswegen setze ich mich da gern und fröhlich mit unseren stimmigen Konzepten mit dem Kuddelmuddel der großen Koalition auseinander.

    Lange: Herr Bütikofer, langfristig geht es für Sie und Ihre Partei ja auch darum: Mit wem kann man überhaupt mal wieder koalieren? Da sagt nun ihr hessischer Landesvorsitzender, die Grünen müssten sich auch jetzt zu Union und FDP öffnen. Was halten Sie davon?

    Bütikofer: Da hat der Matthias Berninger Recht. Aber auf der einen Seite hat er das Rad zum x-ten Mal erfunden. Was er da sagt ist nichts anderes als was der Parteitag letztes Jahr schon beschlossen hat. Dass wir in einer Situation, in der die SPD so schwach ist, wie sie derzeit ist, nicht mehr einfach nur darauf setzen können, Rot-Grün oder Opposition, sondern schon auch gucken müssen: Gibt es andere Konstellationen? Und Berninger hat ja nicht nur von einer gesprochen, sondern von verschiedenen Konstellationen gesprochen. Und dabei muss man allerdings eines festhalten: Das ist nur die erste Hälfte des ersten Schrittes, diese Überlegung. Dann kommt als Wichtiges und Entscheidendes die Frage: Wie geht es inhaltlich zusammen? Weil ich will ja nicht nur in der Regierung sitzen, sondern ich will Zukunft gestalten. Und wenn ich mir angucke, wie rückwärts gewandt in der Atompolitik etwa die Union sich gerade aufstellt, wo ein Ministerpräsident nach dem anderen jetzt Laufzeiten verlängern will, neue AKWs bauen will und so weiter, Unsinn nach Unsinn, dann ist das natürlich keine Voraussetzung für so ein Bündnis.

    Lange: Joschka Fischer hat nun sein letztes Parteiamt niedergelegt. Er gehört nicht mehr dem Parteirat an. Wie müssen wir uns denn seine künftige Rolle vorstellen? Als lebendes, aber schweigendes Denkmal seiner selbst, wie weiland Helmut Kohl in seiner letzten Zeit im Bundestag?

    Bütikofer: Ah, ich glaube, da tun Sie dem Joschka Fischer jetzt Unrecht, wenn Sie ihn mit Helmut Kohl vergleichen. Es sind auch ganz unterschiedliche Landsleute. Ich glaube,...

    Lange: Beteiligt er sich noch an internen Debatten?

    Bütikofer: Das kann niemand, das kann doch niemand überraschen, dass Joschka Fischer jetzt aus dem Parteirat zurücktritt. Er hat schon im Herbst gesagt, er geht aus der ersten Reihe zurück, und das macht er konsequent. Und ich glaube, trotzdem werden Sie Joschka Fischer auch in Zukunft als politische Person erleben können.