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Liebesmahle, scharlachrot

Der erste Roman und dann gleich ein Briefroman, im Zeitalter der Handys, Faxe und e-mails. Feridun Zaimoglu, dem Chronisten der "Deutschländer", der türkischstämmigen jungen Deutschen, ist mitunter und vielleicht zu recht unterstellt worden, seine Sprache speise sich auch aus der Wortgewalt der christlich-abendländischen Literatur. Sein Rückgriff auf die Tradition des Briefromans hat zunächst einen näherliegenden Grund. Hierzu Feridun Zaimoglu:

Joachim Büthe |
    "Ein Freund hat mir sogar netterweise mit auf den Weg gegeben, ich könnte das aufklärerische Moment des Briefwechsels bemühen. Aber im Grunde genommen ist es einfacher. Die erste Generation, die Gastarbeiter der ersten Stunde, die kamen hier her nach Deutschland. Es waren neugierige Menschen, neugierig war auch die Verwandtschaft, die sie in der Türkei gelassen hatten. Die Familienzusammenführung kam ja erst später. Und dann wurden tausende und abertausende Briefe, damals noch in die Heimat, kann man guten Gewissens sagen, in die Türkei geschickt, zu den Verlobten, zu den Ehemännern, zu den Vätern und Müttern. Die deutsche Post hat sogar eine Suchstelle eingerichtet für die abenteuerlich adressierten Briefe aus der Türkei."

    Seitdem hat sich einiges verkehrt. Serdar, der sich in die Türkei geflüchtet hat, wird dort nicht, wie seine heimkehrenden Vorfahren, von seinen Leiden erlöst. Er verliert sogar, vielleicht etwas plakativ, seine Manneskraft. Serdar, der Möchtegern-Dichter, "Abiturkümmel" in der Zaimogluschen Terminologie, prüft sich selbst im brieflichen Dialog mit seinem alter ego Hakan, dem Kanakster von der Straße. Es ist eine paradoxe Form der Standortbestimmung, die diese beiden betreiben. Denn eigentlich hat sie keinen Ort. Dazu Zaimoglu:

    "Es ist selbstverständlich, dass weder Serdar noch Hakan, dass ihnen nicht der billige Erwerb einer Heimat vorschwebt. Dafür sind sie zu sehr mit ihren Dummheiten und ihren Selbstbildnissen beschäftigt. Ich glaube, es ist in diesem Zusammenhang eine ungeheure - oder so ist es beabsichtigt - zwischen den Zeilen auch eine Demontage all des Identitäts- und Heimatgeklimpers auf der Klaviatur der multikulturellen Konformisten."

    Selbstbildnisse entwirft man und Dummheiten macht man in der Liebe. "Liebesmale, scharlachrot" ist ein schöner, sinnlicher Buchtitel. Sie sind nicht nur ein Bild für die Leiden, mit denen man in Liebesdingen geschlagen wird. Sie sind auch die stolz getragenen Male des Triumphes, der Ausweis des feurigen Liebhabers, der die Frauen in ungeahnte Ekstasen treibt. Serdar und Hakan sind eher Getriebene, deren Männlichkeitsbild der Realität nicht mehr entspricht. Sie stellen sich dumm an, und die große Liebe bleibt ihnen versagt. Eine doppelte l'amour fou, könnte man sagen, wäre dieser Begriff nicht kulturell zu kontaminiert. Zaimoglu:

    "L'amour fou ist wieder ein Motiv aus der Hochliteratur. Ich komme aber jetzt in diesem Buch vor allem mit dem Talmi-Sex der Unterschichten. L'amour fou ist mir zu brav. Es ist noch schlimmer. Es ist mit all dem Schmutz und dem Dreck behaftet. Natürlich sind es zwei Phantomjäger, zwei Kamikaze in Sachen Liebe. Natürlich haben wir es sowohl bei Hakan als auch bei Serdar, zwei männlichen Protagonisten, mit zwei verwitterten Liebesgalanen zu tun, die knöcheltief in den Abwässern ihrer Sentimente stehen. Wenn man sich das genau anguckt: Es ist eine verrückte, es ist eine unanständige, es ist eine zum Teil dreckige, es ist eine ordinäre und dann aber auch zum Teil hochanständige Art zu lieben."

    Wie kommt der Anstand in diesen dreckig grundierten Gemischtwarenladen der Gefühle? Er ist vorhanden, man kann den beiden Helden seine Sympathie nur schwer versagen, aber er ist nicht leicht zu fassen. Vielleicht liegt er in der spielerischen Illusionslosigkeit innerhalb ihres halsbrecherischen, illusionären Treibens. Hakan und Serdar sind aus den unterschiedlichsten kulturellen, medialen und sozialen Einflüssen zusammengesetzt. Das geht nicht gut. Aber es macht nichts. Hierzu Zaimoglu:

    "Serdar wird demaskiert, und er wird originell demaskiert. Und dann sagt er sich, es ist nicht seine Sache, sich die ganze Zeit als der Dichter der Verfasser von japanischen Haikus zu stilisieren. Er weiß selbst, dass diese Gedichte zum Stirnklatschen debil sind, dass sie nichts taugen. Und dann kommt noch etwas: die Selbstironie. Diese Leute halten das ja nicht lange durch. Es sind keine seriösen Werktätigen an der eigenen Persönlichkeitsbildung."

    Insofern fallen Hakan und Serdar durch das Raster der gängigen multikulturellen Diskurse. Die Frage, was das Eigene und das Fremde ist, wo man sich positioniert, hat sich ihnen nie gestellt Dina, verliebt in Serdar, ist die einzige Intellektuelle des Romans. Sie nimmt Serdars Gedichte ernst und landet folgerichtig im Land der pseudopoetischen Faselei. Doch dort wohnen Hakan und Serdar ganz gewiss nicht. Schon eher im Reich zwischen Burleske und Arabeske, das sich bereits in den Anreden ihrer Briefe produktiv entfaltet. Hierzu Zaimoglu:

    "Die große Anrede, das ist ja sowohl die höfisch-höfliche, geradezu höfische Anrede, wechselt sich ab mit Schmähungen der übelsten Natur. Die ja auch der Tatsache verschuldet ist, dass Kanak-Youngster oder türkisch-kurdischstämmige Deutsche der zweiten, dritten Generation, auch auf der Straße, wo auch immer, statt sich um den Hals zu fallen, sich gegenseitig ordentlich schmähen. Nur originell muss es sein."

    Serdar und Hakan schmähen sich und irren sich und suchen die große Liebe. Unter anderem. Sie probieren Rollen aus und halten sich mit ästhetischer Stilisierung zusammen. So gut es geht. Der Verdacht ist schon aufgekommen, Feridun Zaimoglu habe den Wechsel von eher dokumentarischer Literatur zum Roman mit schleichen-der Entpolitisierung bezahlt. Ich glaube das nicht. Zur politi-schen Aufklärung gehört die Selbstaufklärung. Insofern gehört "Liebesmale, scharlachrot" tatsächlich in die aufklärerische Tra-dition des Briefromans. Auch wenn man noch nicht genau weiß, was es sein wird. Man wird von Hakan, Serdar und ihresgleichen noch einiges zu hören bekommen. Und von Zaimoglu sicher auch. Feridun Zaimoglu:

    "Es war Körper, es war Zunge und so formte sich ein Slang zusammen, der keinen in sich geschlossenen Sprachkorpus darstellte. Insofern sind Serdar und Hakan auch Kanakster, egal wie sie sich stilisieren. Wenn man ihre Sprachmächtigkeit anguckt. Beide sind Wildfänge, und beide springen vom Dialekt zu Hochdeutsch, vom Hochdeutschen wieder auf irgendeine tingeltangelige Bemerkung. Sie sind im Grunde genommen, was ihre Sprachmächtigkeit betrifft, Paradepferde im Schweinsgalopp.