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Liebich: Patriot-Raketen nützen in der Türkei überhaupt nichts

Durch ein Bundeswehr-Mandat mit Patriot-Raketenabwehrstaffeln würde der Bürgerkrieg in Syrien nicht beendet, sagt der Linken-Politker Stefan Liebich. Der Türkei gehe es in erster Linie nicht um Assad, sondern um die Vormachtstellung in der Region.

Stefan Liebich im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.12.2012
    Christiane Kaess: Der Bundestag entscheidet heute über den Einsatz von bis zu 400 deutschen Soldaten in der Türkei. Die deutschen Kräfte sollen dem NATO-Partner helfen, sich gegen eventuelle Angriffe aus Syrien zu verteidigen. Das Mandat umfasst zwei Patriot-Raketenabwehrstaffeln sowie die Überwachung des türkischen Luftraumes mit Awacs-Aufklärungsflugzeugen. Eine breite Zustimmung der Abgeordneten gilt als sicher.
    Am Telefon ist jetzt Stefan Liebich von der Linken, er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Liebich!

    Stefan Liebich: Schönen guten Morgen!

    Kaess: Herr Liebich, Die Linke will nicht zustimmen. Sie hat Bedenken, deutsche Soldaten könnten mitten in den Konflikt hineingezogen werden. Warum konnten diese Bedenken denn im Vorfeld nicht ausgeräumt werden?

    Liebich: Ja wir halten diesen Einsatz insgesamt für Unsinn. Wie eben schon in Bundestag entscheidet über Patriot-Mandat (MP3) Ihrem Beitrag deutlich wurde, nützen die Patriot-Raketen überhaupt nichts gegen das, was dort an der türkisch-syrischen Grenze passiert ist. Was nämlich passiert ist – und das war tatsächlich schlimm – ist, dass Granaten von syrischer Seite als Teil der Bürgerkriegsauseinandersetzung in Syrien über die Grenze in die Türkei geflogen sind. Das hat der Weltsicherheitsrat auch verurteilt. Was nicht passiert ist und was aus meiner Sicht und, ich glaube, aus der Sicht von niemandem nicht droht ist, dass Präsident Assad die Türkei angreift, und nur dafür würde diese ganze Maßnahme Sinn machen.

    Kaess: Aber potenziell ist das möglich, denn das haben wir auch gerade im Beitrag gehört: Syrien verfügt sehr wohl über Kurz- und Mittelstreckenraketen.

    Liebich: Das ist wahr und es sicherlich auch wahr – auch darüber wird ja diskutiert -, dass in Syrien weitere schreckliche Waffen existieren. Nur: Es gibt überhaupt kein Anzeichen dafür, dass die außerhalb des Bürgerkrieges in Syrien eingesetzt werden sollen. Dafür gibt es kein Signal, dafür gibt es keinen Beleg, und deswegen ist die Sorge, die hier formuliert wird, schon klar, dass es sich um eine größere Eskalation in einem Krisengebiet handelt, aus der sich aus meiner Sicht die Bundesregierung und die Bundeswehr und die deutschen Soldaten raushalten sollten.

    Kaess: Warum glauben Sie denn dann hat die Türkei um Patriots gebeten?

    Liebich: Ich bin mir gar nicht sicher, ob die Türkei in Wirklichkeit Patriots haben wollte. Was die Türkei aus meiner Sicht wollte, ist ihre innenpolitisch wichtige Vormachtstellung in der Region unterstützt zu bekommen. Man konnte ja sehen, nachdem dann die Türkei den Brief geschrieben hat, dass türkische AKP-Politiker sehr klar gesagt haben, das sei ja wohl richtig, aber nun müsse die Türkei hier die Hoheit über die Patriot-Einsätze übernehmen. Das hat die NATO natürlich abgelehnt. Aber daran konnte man schön sehen: Es geht ihnen gar nicht in erster Linie um Assad, es geht ihnen um ihre Vormachtstellung in der Region.

    Kaess: Aber, Herr Liebich, Sie haben es selber gerade schon angesprochen: es sind mehrmals Dörfer an der Grenze in der Türkei getroffen worden. Fühlt sich die Türkei denn nicht zurecht bedroht?

    Liebich: Das mag sein, dass sich einige türkische Politiker bedroht fühlen, aber das kann ja nicht das Kriterium für einen Militäreinsatz der Bundeswehr sein, das Gefühl einer Bedrohung abzuwehren. Was passiert ist, ist tatsächlich ein Granatbeschuss, der über die Grenze ging, und wie ich es sagte, im UN-Sicherheitsrat ist darüber diskutiert worden, dieser Granatbeschuss ist verurteilt worden. Aber im UN-Sicherheitsrat ist eben nicht eine Bedrohung oder gar ein Bruch des Weltfriedens konstatiert worden, der dann zu einer Entscheidung über einen internationalen Militäreinsatz hätte führen können. Alles das ist nicht passiert. Ich glaube, es geht hier um türkische Innenpolitik, und dazu muss sich die Bundeswehr nicht zum Werkzeug machen lassen.

    Kaess: Aber, Herr Liebich, da möchte ich gerade noch mal nachfragen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat darauf hingewiesen, die Patriots dienten auch dazu, einen möglichen Angriff auf die Türkei mit chemischen Kampfmitteln abzuwehren. Ist das nicht verständlich, dass dies das Sicherheitsbedürfnis der Türkei jetzt stärkt, wenn dort Patriots stationiert werden?

    Liebich: Ich glaube, wir werden hier an der Nase herumgeführt. Herr de Maizière sagt das deshalb, weil der Granatbeschuss, der der Anlass war, gar nicht mit Patriots beantwortet werden kann, weil die Patriots sich gegen Flugzeuge und Drohnen einsetzen lassen, nicht aber gegen Granaten. Deshalb muss ein neuer Grund her und dann wird jetzt von Chemiewaffen geredet, und da fühlen wir uns doch alle an Auseinandersetzungen in vergangenen Kriegen erinnert. Wir können uns alle noch erinnern, wie Colin Powell im UN-Sicherheitsrat war und über Biowaffen gesprochen hat, und das hat sich dann viele Jahre später als Lüge herausgestellt. Ich glaube nicht, dass man sich auf so etwas einlassen sollte. Das ist aus meiner Sicht eine Argumentation, die in Deutschland die nicht vorhandene Zustimmung herbeireden soll. Es ist ja so, dass 59 Prozent der Deutschen gegen diesen Einsatz sind. Ich halte diese Argumente für falsch.

    Kaess: Aber, Herr Liebich, dass deutsche Soldaten mitten in diesen Konflikt hineingezogen werden könnten, wie wollen Sie denn diese Sorge überhaupt begründen, wenn Sie jetzt gerade alles so herunterspielen?

    Liebich: Na ja, jetzt sind sie ja da, und was man hätte tun sollen als Deutschland ist, für Vermittlung sorgen. Diese Vermittlungsrolle hat Deutschland jetzt verspielt. Wir sind Teil einer Militärauseinandersetzung, einer potenziellen Militärauseinandersetzung geworden. Natürlich hoffe ich, dass die nicht zustande kommt, aber wenn Herr de Maizière auf der einen Seite über Chemiewaffen redet, auf der anderen Seite der Bundeswehrverband aber nachvollziehbarerweise beklagt, dass, wenn das so ist, man aber auch die Truppen dort hinschicken müsste, die auf ABC-Einsätze vorbereitet sind – genau das passiert nämlich nicht -, dann begibt sich die Regierung hier in eigene Widersprüche. Ich hoffe, dass es nicht zu einer Eskalation kommt. Ich hoffe, dass der Bürgerkrieg in Syrien, der ganz schrecklich ist und der von Präsident Assad eröffnet wurde, zu einem Ende kommt. Ich glaube aber, dass dieser Bundeswehreinsatz dazu nicht beiträgt – im Gegenteil.

    Kaess: Der Einsatz, Herr Liebich, der Raketen kann ja nur innerhalb der NATO-Strukturen befohlen werden. Wie könnte es denn dann überhaupt durch die Patriots zu einem bilateralen Konflikt zwischen der Türkei und Syrien kommen?

    Liebich: Ja ich habe schon einen Schreck bekommen, als die Türkei relativ klar (die Regierungspartei AKP) sagte, sie wollten die Hoheit darüber haben. Das hat die NATO nicht zugelassen. Aber stellen Sie sich jetzt mal vor, durch irgendwelche unbedachten Aktionen innerhalb des syrisch-türkischen Grenzgebietes kommt es dann tatsächlich zu einem Beschuss, und dann wird reagiert, und dann schauen Sie sich die Nachbarländer an, die alle in Syrien involviert sind, schauen Sie, welche Länder die Waffen dorthin verkaufen, um dort ihren Einfluss in der Region wahrzunehmen. Das kann alles sehr schnell gehen und ich glaube, dass wir jetzt hier die Lunte verkürzt haben, und deshalb hätte man das nicht machen sollen.

    Kaess: Schauen wir noch mal auf die Tatsache, dass es hier um einen NATO-Partner geht. Welche Alternative hätte man denn überhaupt zum Beistand eines NATO-Partners in diesem Fall?

    Liebich: Ja das Recht eines NATO-Partners ist es schon, um Unterstützung zu bitten. Aber es ist nicht unsere Pflicht, dieser Unterstützung nachzukommen, wenn keine objektive Bedrohung vorliegt, und die liegt nicht vor. Was vorliegt ist ein Bedrohungsgefühl. Da hätte man dem türkischen Partner sagen müssen, dass wir gemeinsam mit der Türkei und allen, die daran vielleicht ein Interesse haben, vermittelnd in dem Syrien-Konflikt einwirken. Die Türkei tut das ja gar nicht, die Türkei eskaliert ja auch innerhalb des Konflikts in Syrien. Die Türkei hat ja jetzt auch schon durch ihr Parlament sich genehmigen lassen, dass sie nach Syrien einmarschieren könnten. Und ich finde, wenn ein Partner in einem Bündnis so agiert, dann muss man auch sagen können, nein, Freunde, dabei wollen wir euch nicht helfen.

    Kaess: Stefan Liebich war das von der Linken. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Liebich.

    Liebich: Sehr gerne, einen schönen Tag Ihnen.

    Kaess: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.