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Limbach: Rivalität zum Englischen überwinden

Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, setzt sich dafür ein, dass jeder Bürger eine Fremdsprache so intensiv wie seine Muttersprache lernt und sich gleichzeitig mit der Geschichte und der Kultur des Landes auseinandersetzt. Durch ihr Konzept einer "persönlichen Adoptivsprache" soll die Vernetzung zwischen den einzelnen EU-Staaten enger werden.

Moderation: Sandra Schulz | 15.02.2008
    Sandra Schulz: "Früher war alles einfacher" - ein Satz, den man bestreiten kann und bestreiten sollte, wenn man sich nicht den Vorwurf des Kulturpessimismus gefallen lassen will. Wenn man allerdings auf die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union blickt, dann kann man nicht anders: Man muss zustimmen. Denn mit Deutsch, Französisch, Niederländisch und Italienisch gab es bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor gut 50 Jahren gerade mal vier Amtssprachen. 23 gibt es inzwischen in der Europäischen Union. Seit Anfang 2007 gibt es sogar einen EU-Kommissar, der für die Förderung der Mehrsprachigkeit zuständig ist. Heute findet in Brüssel ein Ministertreffen zum Thema statt und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Jutta Limbach, der Präsidentin des Goethe-Instituts. Frau Limbach, guten Morgen!

    Jutta Limbach: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: In einem Papier, das Sie als Autorin mit verfasst haben, empfehlen Sie, jeder Bürger solle sich eine persönliche Adoptivsprache aneignen. Was ist damit gemeint?

    Limbach: Damit ist das Lernen einer zweiten Fremdsprache gemeint, die man so intensiv lernt wie die Muttersprache, wo man sich also auch mit der Kultur des Landes, seiner Geschichte vertraut macht. und von diesem intensiven und vertieften Lernen einer Sprache versprechen wir uns auch eine neue Persönlichkeitsentwicklung.

    Schulz: Und wie soll das gehen?

    Limbach: Der Mensch soll offener werden, um zunächst das Ziel zu sehen. Er soll ein Gefühl auch für die Zugehörigkeit zu Europa entwickeln. Und wie soll das gehen? Das soll eine weitgehend freie Entscheidung sein. Man soll sie aus persönlichen Beweggründen wählen können. Es kann die Sprache des Nachbarlandes sein. Es kann aber auch die Sprache eines Landes sein, das in einer anderen Region liegt. Das ist weitgehend natürlich dem Belieben des Einzelnen überlassen oder den Schulen und den Gemeinden, die hier mit etwas dazu tun können, dass sich zwischen den Orten verschiedener EU-Mitglieder Verbindungen kultureller Art und sprachlicher Art vor allem ergeben.

    Schulz: Wie viele Sprachen sollte ich als gute Europäerin können?

    Limbach: "Plus 2" ist die Formel. Das heißt Muttersprache und zwei Fremdsprachen - davon eine, die internationale Verkehrssprache ist. Das ist heute weitgehend das Englische, das aber als Basic English eigentlich beinahe so eine Art Kulturtechnik geworden ist. Aber mit der persönlichen Adoptivsprache, da verbinden wir ein intensiveres Sprachstudium. Da soll es um mehr gehen als um eine kulturelle Technik.

    Schulz: Der Vorschlag "Plus 2" zielt ja unter anderem auch darauf ab, Englisch nicht allzu mächtig werden zu lassen. Warum eigentlich nicht?

    Limbach: Ich möchte betonen, dass es uns darum geht, die Rivalität zum Englischen zu überwinden. Unsere Einsicht ist die - und schließlich war auch ein Brite mit in unserer Runde -, dass Einsprachigkeit Einfältigkeit fördert. Wir alle wissen, dass jede neue Sprache nicht nur eine neue Seele mit sich bringt, sondern auch eine neue Welt eröffnet. Wenn wir europäisch zusammenwachsen wollen, dann müssen wir in der Lage sein, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, und das schaffen wir mit einer schlichten internationalen Verkehrssprache allein wirklich nicht.

    Schulz: Also, wenn Einsprachigkeit Einfältigkeit bringt, dann bringt Zweisprachigkeit Zweifaltigkeit. Wäre es nicht besser, sich auf eine Fremdsprache zu konzentrieren und die dann auch tatsächlich vernünftig zu lernen?

    Limbach: Das ist ja unser Ziel, aber nichts wird Sie hindern, auch die gängige internationale Verkehrssprache, die gegenwärtig die Englische ist, mitzulernen, auf dass man sich, wenn man in anderen Bereichen, in anderen Ländern tätig ist, sich auch schnell verständigen kann. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: Das ist eine Alternativität, die im Grunde genommen auch bereichert. Ich muss mich sehr schnell irgendwo zurechtfinden können. Ich muss mich aber auch einer anderen, einer fremden Kultur öffnen können.

    Schulz: Es grassiert ja hierzulande auch die Angst vor der Ausbreitung von Anglizismen. Ist diese Angst eigentlich berechtigt?

    Limbach: Diese Angst ist beinahe so alt wie unsere Sprache. Vor 100 oder mehr Jahren haben wir uns vor dem Französischen gefürchtet und jetzt sind es die Anglizismen, die in der Tat eine große Rolle spielen. Aber wenn Sie die großen Tageszeitungen lesen, selbst die Zeitungen einer Region, können Sie darüber nicht klagen. Die deutsche Hochsprache wird nicht nur von unseren Dichtern und Denkern, sondern auch noch in der Journalistik in einer Art und Weise geschrieben, dass mir um die deutsche Sprache überhaupt nicht bange ist.

    Schulz: Dass wir Begriffe aus anderen Sprachen aufnehmen, ist ja eine Sache. Es geht ja auch in die andere Richtung. Sie haben vor eineinhalb Jahren ein Buch herausgegeben über deutsche Begriffe, die auch in Fremdsprachen eine Rolle spielen. Was sind da Beispiele, die am besten ein Schlaglicht auf die Bedeutung von Deutsch werfen?

    Limbach: Es sind häufig Worte der Innerlichkeit und der Gemütlichkeit, die im Ausland eine Rolle spielen. "Gemütlichkeit" ist eines dieser Worte. Aber die deutsche Kunst, aus verschiedenen Wörtern neue Begriffe zusammenzusetzen, ist es, die unsere Sprache auszeichnet und die vielfältig zum Auswandern von Worten führt - beispielsweise "Gratwanderung", "Fingerspitzengefühl", "Zeitraffer", "Zeitlupe". Alles das sind Worte, die uns heute selbstverständlich über die Lippen gehen, die aber erst einmal zusammengestellt werden mussten, um ein neues Phänomen, eine neue Denkweise zu bezeichnen.

    Schulz: Das Wort "Buchhalter" habe ich auch gefunden als ausgewandertes Wort. Im Russischen wird es wohl auch benutzt. Mit welchen Argumenten über die Buchhalterei hinaus wirbt man denn fürs Deutschlernen im Ausland?

    Limbach: Wir werben zum einen natürlich mit der deutschen Kultur. Man muss neugierig machen nicht nur auf Goethe und Schiller und Grass, sondern auf die vielen Schriftsteller. Wir werben mit dem deutschen Theater, das gegenwärtig wirklich Weltbedeutung hat ob seiner Experimentierfreudigkeit und Gesellschaftskritik. Wir werben mit dem deutschen Film, der seit Langem im Grunde genommen sich durch neue Wege auszeichnet. Aber wir werben auch mit den beruflichen Möglichkeiten, die die Kenntnis der deutschen Sprache eröffnet.

    Schulz: Die Europäische Union gibt für alle Institutionen zusammengerechnet pro Jahr rund eine Milliarde Euro dafür aus zu dolmetschen und zu übersetzen. Das ist ein Prozent des Gesamthaushaltes der Europäischen Union. Ist dieser Aufwand gerechtfertigt? Wäre mit einer Verkehrssprache nicht alles einfacher?

    Limbach: Das wäre sicherlich simpler und es wäre kostensparender, aber das kann kein Argument sein, wenn es um ein so wichtiges Element der Kultur geht.

    Schulz: Jutta Limbach, die Präsidentin des Goethe-Instituts. Frau Limbach, vielen Dank Ihnen für diese Einschätzungen.

    Limbach: Auf Wiederhören, Frau Schulz.