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Linke Sammlungsbewegung
"Aufstehen" kommt nicht vom Fleck

Nicht Partei, sondern Bewegung - das linke Sammlungsprojekt "Aufstehen" mit Sahra Wagenknecht als Galionsfigur hat im vergangenen Herbst viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Inzwischen ist es still darum geworden. Die Anfangseuphorie droht bei vielen Mitgliedern zu verfliegen.

Von Wolf-Sören Treusch | 03.01.2019
    Sahra Wagenknecht, Initiatorin der linken Sammlungsbewegung "Aufstehen" in Nahaufnahme von der Seite.
    Sahra Wagenknecht, Initiatorin der politischen Bewegung "Aufstehen" (PA/dpa/Britta Pedersen)
    Ohne große Vorrede steigt Rainer Balcerowiak in die Diskussion ein.
    "Ich will auf das zurückkommen, was wir letztes Mal eigentlich gemacht haben: Wir haben nämlich Themen gesammelt."
    16 Männer, vier Frauen, die meisten älter als 50, sind in den Keller einer Gaststätte in Berlin-Moabit gekommen. Der Raum ist überhitzt, die Lüftung laut. Rainer Balcerowiak, Journalist und Schriftsteller, leitet eine von vierzehn Berliner Ortsgruppen der Sammlungsbewegung "Aufstehen".

    "Den Markenkern hier im Kiez müssen wir uns erst noch erarbeiten. Wir haben heute unser zweites Treffen. Es bahnt sich aber an, dass die Frage von Armut und speziell die Frage von Wohnungen, also Vertreibung durch explodierende Mieten, Umwandlung in Eigentumswohnungen und Ähnliches, dass diese Frage sich zu einem gewissen Schwerpunkt herauskristallisieren wird. Eine zweite Aktionsform wären so Flashmobs, also so Aufläufe bei Wohnungsbesichtigungen."
    Austausch und Kennenlernen
    Am liebsten würde er in Kleingruppen konkrete Aktionen im Stadtviertel besprechen. Den meisten im Raum geht das jedoch zu schnell. Viele sind neu dabei, wollen sich erst einmal mit Gleichgesinnten austauschen, kennenlernen. Wie zum Beispiel Lukas, Studierender im Bauingenieurwesen, und Jörn, ehemaliger Betriebsrat.
    Lukas: "Mein Grund, warum ich hier bin, ist eigentlich, dass ich sehe, wie sich die Politik in letzter Zeit sehr stark verändert, der Rechtspopulismus und verschiedene Dinge, wo ich nicht gern tatenlos zusehen möchte und nichts machen möchte."
    Jörn: "Wie sieht es aus mit ehemaligen SPD-lern? Sind sie endgültig in der Versenkung verschwunden? Das war ja damals auch die Riesenschwierigkeit bei der WASG, also die Leute sind zu zig- und Hunderttausenden ausgetreten aus der SPD, aber sie sind auch vollkommen in der Versenkung verschwunden. Und das ist ein Riesenmanko heute in der linken Politik. Und da bin ich halt am gucken: Gibt es da was?"
    Kein klares politisches Profil
    Eine Antwort darauf wird Jörn an diesem Abend nicht erhalten. Die Diskussion im Berliner Kneipenkeller spiegelt wider, wie es um die Sammlungsbewegung "Aufstehen" insgesamt bestellt ist. Sie kommt nicht recht vom Fleck. Inhaltlich ist es der Bewegung bisher nicht gelungen, ein klar erkennbares politisches Profil zu entwickeln. Rainer Balcerowiak hat über "Aufstehen" ein Buch geschrieben. Zum Thema soziale Gerechtigkeit erkennt er programmatische Ansätze in der bundesdeutschen Reformpolitik der 1970er-Jahre.
    "Da habe ich noch mal genauer mir die kurze Phase der sozialliberalen Koalition Brandt-Scheel angeguckt. Die haben in dieser kurzen Zeit Sachen auf den Weg gebracht und umgesetzt: Wenn man heute jemandem erzählen würde, dass das von der SPD inspirierte Gesetze waren, würden sie einen alle für einen Spinner halten. Kostenfreies BAföG als Rechtsanspruch zum Beispiel individuell. Es gibt vieles, was ich jetzt da nennen könnte. Also das ist für mich der Markenkern von 'Aufstehen'."
    Ortswechsel: Verlagsgebäude des Neuen Deutschland im ehemaligen Ostteil Berlins, vierter Stock. Hier arbeitet Horst Kahrs, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der parteinahen Stiftung der Linken.
    "Der Markenkern besteht vielleicht darin, zu behaupten: Es gibt in diesem Land viel Unzufriedenheit und viele Ängste und diese Ängste und diese Unzufriedenheit wollen wir nicht den Gaulands und Weidels dieses Landes überlassen."
    Zu wenig Spontaneität
    Der Sozialwissenschaftler sieht ‚Aufstehen’ als linke Sammlungsbewegung, die vor allem ein Ziel hat: die Wähler und Wählerinnen der AfD zurückzugewinnen. Doch er beobachtet auch: Die Anfangseuphorie könnte bald verflogen sein.
    "Bei 'Aufstehen' gibt es einerseits ganz viele Leute, die motiviert sind, sich politisch einzumischen, etwas bewegen wollen und versuchen, vor Ort auf die Straße zu gehen und finden: Es geht zu langsam voran, es müsste jetzt viel mehr und spontaner passieren, da kommt halt nichts, sondern man wird vertröstet auf einen Kongress im Frühsommer. Und das könnte ein ganz entscheidender Punkt sein, wo der Elan, der am Anfang mal da war, und das große Interesse erlahmt und man sagt: Na, das war auch nur ein Stein, der ins Wasser geworfen wurde, ein paar Wellen geschlagen hat und dann doch untergegangen ist wie alle anderen Steine auch."
    'Aufstehen' bald Partei?
    Auf der Website der Bewegung haben sich mittlerweile 167.000 Menschen registriert. ‚Aufstehen’ will die Politik zurück zu den Menschen bringen und die Menschen zurück in die Politik. Heißt es im Gründungsaufruf. Doch noch fehlt die Organisationsstruktur. Meint Horst Kahrs.
    "Wenn man dieses Anliegen wirklich ernsthaft verfolgen wollen würde und es Anzeichen dafür gibt, dass man es erfolgreich verfolgen kann, dann wird man ein neues Label oder eine neue Partei oder eine neue Wahl-Plattform brauchen. Weil: Nur dann wählen die Leute wieder etwas anderes, weil es was Neues ist."
    Rainer Balcerowiak: "Richtig ist, dass alle Erfahrungen, politischen Erfahrungen, nicht nur in Deutschland, zeigen, dass man irgendwann um die Frage der Wählbarkeit von sozialen Bewegungen nicht herum kommen wird."
    ‚Aufstehen’-Aktivist Rainer Balcerowiak ist überzeugt: Irgendwann wird sich die Linken-Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, entscheiden müssen, ob sie eine neue linke Partei will oder nicht.
    "Ob ich persönlich so einer Partei beitreten würde? Ich könnte es mir vorstellen."
    Vorerst aber setzt er sich weiter für ‚Aufstehen’ ein.
    Sichtbarkeit nach außen
    "Ich bin schon dafür, dass sich die ‚Aufstehen’-Gruppen – weil sonst kann man sich das Ganze schenken meines Erachtens – darauf konzentrieren, wirklich nach außen sichtbar und wirksam zu werden."
    Am Ende ihres zweiten Treffens beschließt die Ortsgruppe Berlin-Moabit, Infoflyer vor der Shopping-Mall im Kiez zu verteilen. Und einer wirbt dafür, im Januar am legendären Gedenkmarsch zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilzunehmen. Rainer Balcerowiak winkt ab.
    "Aber wenn ich nicht teilnehme, hat es keine politischen Gründe, das ich das ablehne, wobei ich von ganz stark museal geprägten Ereignissen, also damit habe ich eigentlich relativ wenig zu tun."