Donnerstag, 25. April 2024

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Linke Sammlungsbewegung "Aufstehen"
"Wir sind nicht Teil des Establishments"

Der Fraktions-Vizevorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Fabio de Masi, hat Kritik an der neuen Sammlungsbewegung "Aufstehen" zurückgewiesen. Es gehe nicht darum, Populismus zu betreiben, sondern "Menschen zurück zur Demokratie zu bringen", sagte er im Deutschlandfunk.

Fabio de Masi im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.09.2018
    Der Spitzenkandidat der Linken in Hamburg, Fabio De Masi, spricht am 01.09.2017 auf einer Bühne in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt/dpa | Verwendung weltweit
    Der stellvertretende Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag Fabio de Masi (dpa / Daniel Reinhardt)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir hätten gerne mit Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine an dieser Stelle über ihr Vorhaben gesprochen. Beide wollten aber vor der Pressekonferenz heute in Berlin keine Stellung nehmen; so die Begründung für ihre Absage. Umso mehr freut es uns, dass wir jetzt sprechen können mit Fabio de Masi, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen.
    Fabio de Masi: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr de Masi, der linke Kulturminister in Thüringen und Chef der Staatskanzlei, Benjamin Hoff, der hat gesagt: "Wir gegen die Politik da oben, das sei ein Trend in der politischen Debatte. Auch Ihre Sammlungsbewegung bediene diesen Trend", so Benjamin Hoff – so wie es die AfD auch macht, könnte man hinzufügen. Müssen Sie sich nicht den Schuh anziehen, Sie betreiben Populismus pur?
    de Masi: Nein, überhaupt nicht, und ich finde, da liegt er auch offensichtlich falsch. Denn dann wäre die Bewegung um Bernie Sanders in den USA die einzige, die es vermocht hätte, Donald Trump zu verhindern, mit der AfD gleichzusetzen, denn auch die haben gesagt, wir gegen die da oben. Die haben zum Beispiel eine staatliche Krankenversicherung in den USA gefordert. Die gibt es ja in Deutschland. Auch dafür hat man ihnen Populismus pur unterstellt. Solche Diskussionen interessieren mich wirklich nicht. Wir haben eine Vermögensverteilung in Deutschland, wo die 45 Reichsten so viel besitzen wie die Hälfte der Bevölkerung, 40 Millionen Menschen. Das hat mit Leistungsgerechtigkeit nichts mehr zu tun. Das wird auch von führenden internationalen Ökonomen kritisiert. Und wenn man dann sagt, wir haben ein Problem mit der sozialen Spaltung in Deutschland, oder, wenn Sie so wollen, mit denen da oben, dann ist das einfach richtig.
    "Schatz, den wir da gehoben haben"
    Heckmann: Aber bleiben wir noch mal bei dieser Figur "Wir gegen die Politik da oben". Ich dachte ja bis jetzt immer, dass Sammlungsbewegungen sich von unten nach oben gründen. Hier ist es jetzt umgekehrt: Eine Vertreterin des Establishments macht sich zur Anführerin einer Bewegung, die vorgeblich gegen das Establishment agiert. Haben Sie sich das nicht doch von Donald Trump ein bisschen abgeguckt?
    de Masi: Nein! Denn erstens steht ja Sahra Wagenknecht nicht im Zentrum des Establishments, sondern sie und ich und andere vertreten seit vielen Jahren Positionen, die keine Mehrheit im Bundestag haben – zum Beispiel das Verbot von Parteispenden von Unternehmen -, weil wir etwa sagen, es ist in einer Demokratie so, dass jede Stimme gleich viel wert sein muss, und die Stimmer der Deutschen Bank oder der Allianz Versicherung darf nicht mehr sein, weil sie etwa an Parteien spenden – übrigens nach der Rentenprivatisierung damals auch an SPD und Grüne. Das zu beklagen, das zu kritisieren, das sind Positionen, die Sahra Wagenknecht und ich vertreten, und damit sind wir nicht Teil des Establishments.
    Es ist aber so, dass überall – das war ja auch bei Bernie Sanders so, das war auch bei Jeremy Corbyn so oder bei Jean Luc Melenchon in Frankreich – es natürlich bei Bewegungen auch immer Menschen braucht, die andere Menschen zum Mitmachen bewegen und inspirieren. Wichtig ist nur, dass diese Bewegung keine Bewegung allein um Sahra Wagenknecht bleibt, sondern dieser fast 100.000 Menschen, diesen Schatz, den wir da gehoben haben, dass die sich wieder einbringen in die Politik. Und die Zahlen, die uns vorliegen, zeigen, eine überwiegende Mehrheit dieser Leute gehört überhaupt keiner Partei an, und das ist ein großer Erfolg, denn das war unser Ziel, Menschen zurück zur Demokratie zu bringen, damit wir gemeinsam um diese Demokratie kämpfen.
    Heckmann: Das Problem ist, dass Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht nicht zwingend für die Zusammenführung von Linken stehen – sage nicht ich, sondern sagt Linken-Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
    de Masi: Nun, es ist so: Früher hat man Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine immer die Spaltung der Linken vorgeworfen. Jetzt wollen sie sammeln – ist irgendwie auch nicht recht. Das ist mir relativ egal. Entscheidend ist ja, dass wir wieder eine Politik etablieren bei SPD, bei Grünen, die es überhaupt erlaubt, Mehrheiten zu gewinnen.
    Heckmann: Aber auf diese Art und Weise? Ich meine, die Angriffe von Sahra Wagenknecht auf SPD und Grüne sind ja nach wie vor Legion.
    de Masi: Es ist doch so, dass wir an der SPD und an Grünen verzweifeln, weil es macht ja keinen Sinn, Mehrheiten zu schaffen, für Rot-Rot-Grün etwa, wenn man keine grundsätzlich andere Politik verfolgt.
    "Wenn etwas schiefläuft, muss man diese Politik korrigieren"
    Heckmann: Das gilt anders herum sicherlich auch, dass die beiden Parteien an den Linken verzweifeln.
    de Masi: Das mag so sein. Nur wir sind natürlich der Überzeugung, dass eine Politik für eine sichere und lebensstandardsichernde Rente, eine Politik für mehr öffentliche Investitionen, für Steuergerechtigkeit und gegen Aufrüstung und Kriegseinsätze in aller Welt mehrheitsfähig ist. Das zeigen ja auch Umfragen in der Bevölkerung. Andere Positionen sind offenbar nicht mehrheitsfähig, denn sonst würden ja SPD und Grüne gemeinsam über eine satte Mehrheit im Bundestag verfügen. Das tun sie offenbar nicht. Das heißt, entscheiden tun das die Wählerinnen und Wähler, und immer mehr haben sich auch von diesen Parteien abgewendet.
    Deswegen ist es ja unsere Pflicht zu sagen, wenn etwas schiefläuft in Deutschland, dass man diese Politik korrigieren muss. Sahra Wagenknecht oder mir oder auch Sozialdemokraten, die an ihrer eigenen Partei verzweifeln, vorzuwerfen, dass sie das kritisieren, wäre die Aufgabe jeder Demokratie. Es ist doch richtig gewesen, dass Oskar Lafontaine zum Beispiel Ende der 90er-Jahre gesagt hat, dieser Weg, den Gerhard Schröder mit der Agenda 2010, mit Hartz IV, mit Leiharbeit, mit Befristungen später eingeschlagen hat, dass dieser Weg die SPD schwächen wird. Das sehen wir heute. Insofern war es ihm ja gerade an der SPD gelegen. Entscheidend sind nicht so sehr für uns Parteien, Parteien sind kein Selbstzweck, sondern entscheidend ist für uns, dass sich wieder eine soziale Politik in Deutschland durchsetzt.
    Heckmann: Aber eine Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen nach wie vor prinzipiell auszuschließen, wie wollen Sie denn da eine linke Mehrheit generieren?
    de Masi: Wir schließen ja überhaupt keine Zusammenarbeit prinzipiell aus. Auch Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben das nie getan. Oskar Lafontaine war einer der ersten, der, als er damals erneut im Saarland für Die Linke kandidierte, der SPD eine Zusammenarbeit angeboten hat. Wir haben immer wieder gesagt, wir können sofort ohne eine formelle Regierungsvereinbarung, ohne ein Ministeramt Rot-Rot-Grün – es gab ja noch eine Mehrheit im Bundestag in der letzten Legislaturperiode – nutzen, nicht nur etwa bei der Homo-Ehe, was sinnvoll war, sondern auch bei der Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen oder bei der Leiharbeit und anderen Themen. Das wurde ausgeschlagen und es ist so, dass es natürlich kein Selbstzweck ist, mit SPD und Grünen eine Zusammenarbeit anzustreben, wenn man dann nicht auch über die Inhalte redet.
    Für uns, für #Aufstehen, stehen die Inhalte im Mittelpunkt. Es geht auch nicht nur um Rot-Rot-Grün, es geht auch nicht nur um Parteien, sondern wir wollen, dass wieder Inhalte im Mittelpunkt stehen. Willy Brandt hat einmal gesagt: Wenn der Preis für eine sozialdemokratische Mehrheit ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein, dann ist dieser Preis zu hoch.
    Heckmann: Das werden die Sozialdemokraten völlig anders sehen, denn die definieren sich natürlich weiterhin als Sozialdemokraten. Herr de Masi, Sahra Wagenknecht hat auch gesagt, diese Sammlungsbewegung, die heute gestartet wird, die Grenze sich in der Asylpolitik sowohl von der AfD ab als auch von einer grenzenlosen Willkommenskultur. Fischen Sie im Trüben?
    de Masi: Nein, wir fischen nicht im Trüben. Es gibt in der Flüchtlingspolitik einen ganz klaren Konsens, der übrigens auch in dem Aufruf der Sammlungsbewegung #Aufstehen beschrieben ist. Der heißt, wir wollen ein Asylrecht garantieren, das all jenen Schutz bietet, die verfolgt werden, vor politischer Verfolgung, aber auch etwas tut für diejenigen, die vor Kriegen oder Klimakatastrophen fliehen.
    Heckmann: Frau Wagenknecht schlägt trotzdem immer wieder Töne an, die als nationalistisch wahrgenommen werden von ihren Kritikern.
    de Masi: Nein, das sehe ich nicht so, sondern es geht einfach schlichtweg darum, dass eine große Mehrheit der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind – das sind ja über 60 Millionen -, für die ist es natürlich nicht eine Perspektive, alle nach Europa zu kommen. Die meisten schaffen es ja gar nicht.
    "Debatte um grenzenlose Willkommenskultur ist verlogen"
    Heckmann: Das sagt, glaube ich, auch niemand.
    de Masi: Sie hätten auch keine Perspektive, und darum geht es, dort auch mehr Hilfe vor Ort zu leisten. Natürlich müssen wir aber für die Menschen, die hier sind, gute Integration gewährleisten. Nichts anderes sagt Sahra Wagenknecht. Insofern ist auch diese Debatte meines Erachtens um die grenzenlose Willkommenskultur sowieso etwas verlogen, denn wir haben ja keine Willkommenskultur, sondern Menschen, die hier sind, werden ins Industriegebiet abgeschoben, ohne Perspektive. Wir holen uns ein paar qualifizierte Fachkräfte, aber wir tun ja nicht wirklich etwas für Integration, damit Menschen auch eine Perspektive haben. Insofern treten natürlich auch soziale Probleme auf und die müssen wir lösen.
    Heckmann: Sahra Wagenknecht hat sich ja auch gegen das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, wo Sie es gerade erwähnen, ausgesprochen. Sie hat gesagt, Deutschland soll seine eigenen Fachkräfte ausbilden. Kritiker sagen, sie spielt Flüchtlinge gegen Sozialschwache aus.
    de Masi: Wenn dieser Vorwurf zutreffend wäre, dann wäre auch der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Organisation, die Flüchtlinge gegen Einheimische ausspielt, denn auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich besorgt gezeigt und hat gesagt, wir können hier …
    Heckmann: … besorgt, aber nicht gegen ein Einwanderungsgesetz.
    de Masi: Doch. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat das Einwanderungsgesetz in dieser Fassung kritisiert und hat gesagt, wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern es wird zu wenig getan, um die Menschen hier in Deutschland auszubilden. Natürlich ist es überhaupt nicht human, anderen Ländern, zum Beispiel Entwicklungsländern ihre Fachkräfte gezielt abzuwerben. Das hat mit Solidarität überhaupt nichts zu tun.
    Heckmann: Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben in den letzten Monaten, in den letzten Jahren immer wieder betont, die Mehrheit komme im Bundestag nicht zur Geltung. Letzte Frage an Sie, Herr de Masi: Ist das nicht die gleiche Argumentation wie bei AfD und Co. und unterhöhlt das nicht den Parlamentarismus?
    de Masi: Nein, denn die AfD und Co. wollen ja Löhne und Renten weiter kürzen und spielen die Schwachen gegen die Schwächsten aus.
    Heckmann: Aber zu behaupten, dass die Mehrheit nicht zum Tragen kommt im Bundestag, das ist doch schon harter Tobak.
    de Masi: Nein, denn es gibt eindeutige Umfragen, die zum Beispiel sagen, eine Mehrheit war gegen Kriegseinsätze von Afghanistan über Syrien, war gegen die Zerstörung der Rentenformel, ist für mehr Steuergerechtigkeit, und diese Mehrheiten bilden sich …
    Heckmann: Aber wir sind uns einig, dass die Politik nicht nach Umfragen gestaltet wird, sondern nach Wahlen, die alle vier Jahre stattfinden.
    de Masi: Natürlich. Aber wenn eine Politik gemacht wird – Demokratie ist ja mehr, als alle vier Jahre einfach nur ein Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen -, wenn eine Politik gemacht wird, die die Menschen von den Wahlurnen wegtreibt, weil sie sagen, im Prinzip haben wir gar keine Wahl mehr, und gehen dann nicht mehr zur Wahl, hat das mit Demokratie meines Erachtens sehr wenig zu tun.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.