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Linken-Chef Riexinger
"Wir sind nicht zu haben für kleine Korrekturen"

Eine Regierungsbeteiligung seiner Partei auf Bundesebene ist für den Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, vorstellbar, aber an Bedingungen geknüpft - zum Beispiel drastische Änderungen der Steuerpolitik. "Wir sind für eine Politik zu haben, die für Millionen von Menschen eine Verbesserung mit sich bringen würde."

Bernd Riexinger im Gespräch mit Mario Dobovisek | 10.06.2017
    Der Parteivorsitzende der Linken: Bernd Riexinger
    Bernd Riexinger: "Wir haben gesagt, alle, die unter 7.100 Euro im Monat verdienen, würden bei uns mehr rausbekommen. Eine Verkäuferin würde eben 130 Euro im Monat mehr bekommen." (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei. Guten Morgen, Herr Riexinger!
    Bernd Riexinger: Guten Morgen!
    Dobovisek: Will die Linkspartei nach den Bundestagswahlen im September mitregieren?
    Riexinger: Ja, wir haben gesagt, wenn die Bedingungen stimmen, wenn die Renten wieder steigen, wenn es eine gerechte Steuerpolitik gibt, wenn mehr investiert wird in Bildung, Erziehung und Gesundheit und wenn die prekäre Arbeit bekämpft wird, höhere Löhne als Perspektive da sind und Friedenspolitik gemacht wird, dann sind wir dabei. Wir sind nicht zu haben für kleine Korrekturen, sondern wir sind für eine Politik zu haben, die wirklich einen Politikwechsel darstellt und für Millionen von Menschen eine Verbesserung mit sich bringen würde.
    Dobovisek: Und für diese Verbesserung, für diesen Politikwechsel, wie Sie sagen, sieht Ihre Parteikollegin Sahra Wagenknecht keine Chance. Das haben wir gerade gehört. Sehen Sie das anders?
    Riexinger: Ich glaube, das müssen wir offenhalten. Wir haben immer gesagt, wir machen eine gute Oppositionspolitik. Man braucht auch eine Partei in der Opposition. Wir haben da einiges bewirkt, auch die soziale Frage wieder ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung stellen können, und dann werden wir sehen, wie das Wahlergebnis ausgeht, und vor allen Dingen wird es stark drauf ankommen, wie wird sich die SPD in den nächsten Wochen und Monaten positionieren ...
    Dobovisek: Aber auch wie die Linkspartei sich positionieren wird.
    Riexinger: Ich glaube nicht. Wir haben uns die Mühe gemacht, ein sehr gut ausgearbeitetes Programm hier zu diskutieren und zu verabschieden. Wir haben ein Rentenkonzept vorgelegt, auch gesagt, wie man es finanzieren kann. Wir haben ein Steuerkonzept vorgelegt, ein Konzept für eine solidarische Gesundheitsversicherung.
    "Alle, die unter 7.100 Euro im Monat verdienen, würden bei uns mehr rausbekommen"
    Dobovisek: Ein Steuerkonzept mit einer Reichensteuer mit bis zu 75 Prozent, die in Frankreich ja nachweislich auch nicht funktioniert hat.
    Riexinger: Na ja, wir haben 75 Prozent für Menschen, die über eine Million Jahreseinkommen haben.
    Dobovisek: Und 60 Prozent bei 260.000 Euro Jahreseinkommen.
    Riexinger: Genau. 260.000 Euro. Das betrifft eine ganz kleine Gruppe der Gesellschaft, die in den letzten Jahren steuerlich sehr stark verschont wurde, während untere und mittlere Einkommen die ganzen Belastungen tragen müssen. Ich glaube, dass wir ein gutes Konzept haben. Wir haben gesagt, alle, die unter 7.100 Euro im Monat verdienen, würden bei uns mehr rausbekommen. Eine Verkäuferin würde eben 130 Euro im Monat mehr bekommen.
    Dobovisek: Also Sie sagen, es liege mehr an der SPD als an der Linkspartei. Jetzt hören wir, was SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagt: Die Linke sei noch weit von der Regierungsfähigkeit entfernt. Die SPD werde nur in eine Koalition gehen, in der alle klar zur EU, zur NATO und zur internationalen Verantwortung Deutschlands stehen. Er legt in unserem Interview der Woche noch einmal nach. Hören wir, was er sagt:
    Thomas Oppermann: Die Linken sind immer noch eine Protestpartei, eine linkspopulistische Protestpartei. Sie wissen, dass sie hinterher nicht in die Verlegenheit kommen, ihre Versprechen umsetzen zu müssen. Viele in der Linken sind nicht darauf aus, Europa zu stärken. Sahra Wagenknecht zum Beispiel schont in ganz auffälliger Weise Donald Trump, weil sie in Wirklichkeit auch eine nationalistische Wirtschaftspolitik betreiben will. Sie kritisiert auch den Freihandel, auf dem unser Wohlstand aufgebaut ist. Das sind alles Punkte, wo ich nicht sehen kann, dass wir am Ende vernünftige Kompromisse erzielen können. Keine Partei im deutschen Bundestag, die Grünen nicht, die FDP nicht, auch die Union nicht.
    Dobovisek: … sagt Thomas Oppermann von der SPD in unserem Interview der Woche, das wir morgen ab 11:05 Uhr in ganzer Länge senden. Herr Riexinger, ist die Linkspartei nicht regierungsfähig?
    Riexinger: Wir regieren ja in drei Ländern mit. Ich glaube, das ist wirklich eine faule Ausrede.
    Dobovisek: Aber nicht im Bund.
    Riexinger: Na ja, wir haben bisher deswegen nicht mitregiert, weil die SPD sich lieber um die Vizekanzlerschaft beworben hat. Es gab ja in der Vergangenheit eine rot-rot-grüne Mehrheit. Das lag nicht an uns, dass diese nicht umgesetzt wurde. Ich glaube, das ist das ganze Dilemma der SPD: Sie macht vorher Ausschließeritis mit übrigens ganz falschen Behauptungen und wundert sich dann…
    Dobovisek: Was ist denn falsch?
    Riexinger: … wenn die Menschen ihr nicht glauben, dass sie eine Politik der sozialen Gerechtigkeit machen will. Die SPD kann nicht glaubwürdig darstellen, dass sie mit der FDP praktisch eine Gerechtigkeitsrente herstellen will. Das ist völlig unmöglich. Die FDP will die Reichen bei der Steuer begünstigen und will das Arbeitsrecht verschlechtern.
    Dobovisek: Aber bleiben wir doch beim Thema Außenpolitik, Verteidigungspolitik, EU, NATO, internationale Verantwortung. Die Linke lehnt Kampfeinsätze der Bundeswehr ab. In einem Parteiantrag heißt es jetzt sogar, dass Auslandseinsätze generell abgelehnt werden sollten, also auch unterstützende Missionen wie die am Horn von Afrika gegen Piraten oder im Kampf gegen den IS in Syrien. Wie wollen Sie mit einer solchen Position jemals mit Realpolitikern anderer Parteien zusammenarbeiten?
    Riexinger: Na ja, die SPD und die Grünen müssten ja erkennen, dass die Auslands- und Kampfeinsätze der Bundeswehr in der Vergangenheit gescheitert sind.
    "Wir müssen Friedenspolitik machen"
    Dobovisek: Ist das so?
    Riexinger: Es ist so. Wir haben 15 Jahre Krieg gegen den Terror in Afghanistan geführt, und der Terror ist heute größer. Diese ganze Auslandsmission ist völlig gescheitert. Es sind viele Menschen gestorben, die Länder stehen schlecht da. Die ganze Militärpolitik im Nahen Osten, wir sehen heute, hat den Islamischen Staat hervorgebracht, hat ganze Staaten filetiert. Man muss doch die Realität zur Kenntnis nehmen, und ich glaube, dass die Einschätzung der Linken über die Militärpolitik der letzten Jahre viel zutreffender war als die Einschätzung der anderen Parteien."
    Dobovisek: Die Linkspolitik hätte ja eigene Vorschläge machen können in einer zum Beispiel Mitregierung mit der SPD. Die USA unter Donald Trump ziehen sich – das beobachten wir – immer weiter zurück. Die EU plant jetzt sogar ein eigenes Militärbudget und eine eigene Militärstrategie, und Deutschland soll sich raushalten?
    Riexinger: Na ja, diese Reaktion ist ja ganz falsch. Also wenn Herr Oppermann der Linken vorwirft, sie würde Trump nicht kritisieren: gerade das kritisieren wir an Herrn Trump. Wir kritisieren seine völlig gefährliche Außenpolitik und sagen, dass die Reaktion der Europäischen Union darauf nicht sein kann, jetzt auch aufzurüsten, immer noch mehr Geld in Panzer und Tornados zu investieren, sondern wir müssen Friedenspolitik machen, und wir haben Vorschläge gemacht für eine neue Friedenspolitik, die im Übrigen zum Teil sogar hier und da befolgt wurden. Also ich glaube nicht, dass wir in dieser Frage wirklich schlecht aufgestellt sind, und es wäre sogar eine Chance für SPD und Grüne, ihre Politik der letzten Jahre, die gescheitert ist, wieder zu korrigieren und zur Außenpolitik von Willy Brand zurückzukehren, der völlig zu Recht gesagt hat, von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.
    Dobovisek: Sie haben jetzt mehrmals gesagt, dass die anderen sich jeweils bewegen müssen. Wer wie Sie einen Politikwechsel will, muss auch irgendwann einmal selber die Zähne zusammenbeißen und aus der Ecke der Protestpartei herauskommen. Ist die Linke dazu bereit?
    Riexinger: Ja, natürlich. Wir wissen auch, dass wir unser Programm nicht zu 100 Prozent durchsetzen können, aber man macht ja jetzt erst mal Wahlkampf für seine eigenen politischen Positionen. Wir sind eben nicht die SPD und sind auch nicht die Grünen, sondern wir haben politische Positionen, eine klare Vorstellung, wie Gerechtigkeits- und Friedenspolitik aussehen soll, und für diese Positionen stellen wir uns zur Wahl. Wir machen aber keine Ausschließeritis gegenüber SPD und Grünen, sondern wir sagen, Frau Merkel muss abgewählt werden, und wir stehen dafür gerade, dass es einen Politikwechsel geben muss, der tatsächlich zu einem sozial gerechteren Land führen muss.
    Dobovisek: Positionen, Ideologien, die Alten wollen nicht, die Jungen dürfen nicht – ist die Bündnisfrage sozusagen auch eine Generationenfrage in beiden Parteien, in der Linkspartei und auch in der SPD?
    Riexinger: Nein, ich glaube, dass es in erster Linie eine politische Frage ist. Ich glaube, wir sind vor der Situation, dass Merkel den Eindruck erweckt, auf sie wird es sowieso wieder hinauslaufen, vier weitere Jahre Merkel. Das hieße eben, dass es in vielen Bereichen keine wirkliche Lösung der Probleme gibt, auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt, in vielen anderen Bereichen, und die SPD hat den guten Hype mit Schulz. Sie war auf einmal auf Augenhöhe mit Frau Merkel und hat es dann vergeigt, und dieser Hype von Schulz ist ausgelöst worden mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis in der Bevölkerung. Viele Menschen sagen, bei uns geht es nicht gerecht zu, und sie haben darauf gewartet, dass die SPD hier einen Bruch mit der Politik der letzten Jahre macht. Dann ist leider nichts mehr gekommen, und dann hat die SPD angefangen, um die FDP herumzuschwänzeln und hat dadurch die Glaubwürdigkeit verloren, und die Glaubwürdigkeit zu verlieren, ist eben keine gute Voraussetzung, um Frau Merkel bei den nächsten Wahlen wirklich in die Oppositionsrolle zu drängen.
    Dobovisek: Fassen wir all das zusammen, was Sie mir und unseren Hörern gerade erzählt haben: Wenn morgen die Linkspartei das Wahlprogramm beschließt, gehen Sie in einen Oppositionswahlkampf.
    Riexinger: Nein, wir machen beides
    Dobovisek: Das geht nicht.
    Riexinger: Wir müssen für unsere politische Positionen ... die sind sehr gut ausgearbeitet, und wir sind bereit, in die Opposition zu gehen, wir sind aber auch bereit, in die Regierung zu gehen, wenn die Bedingungen dafür stimmen und die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
    Dobovisek: Linksparteichef Bernd Riexinger bei uns im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Riexinger: Ich bedanke mich auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.