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Linken-Politikerin fordert "vom Acker bis auf den Teller ein Zertifizierungssystem"

Der agrarpolitischen Sprecherin der Linken fehlt eine lückenlose Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion im vorliegenden Aktionsplan von Landwirtschaftministerin Ilse Aigner (CSU) - und eine Risikobewertung von Lebensmitteln.

19.01.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Gestern verständigten sich die Landwirtschaftsminister von Bund und Ländern auf neue Regeln zur Kontrolle der Futtermittel, angesichts des Dioxin-Skandals. 14 Punkte enthält der Katalog, unter anderem strenge Zulassungsregeln, Meldepflicht der Untersuchungsergebnisse, Haftpflicht für die Mittelhersteller. Heute gibt Ilse Aigner, zuständig für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, eine Regierungserklärung im Bundestag ab. Gestern Abend hatte mein Kollege Jürgen Liminski die Gelegenheit, mit Kirsten Tackmann zu sprechen, sie ist die agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, und er hat sie zunächst gefragt, was ihr in diesem Katalog fehlt.

    Kirsten Tackmann: Was mir vor allen Dingen fehlt, ist, dass auch noch mal tiefer an die Ursachen herangegangen wird, weil wir haben ja zum Beispiel das Problem, dass eine Fehlhandlung am Anfang der Kette die gesamte Kette in Schwierigkeiten bringt, also bei der Produktion von Lebensmitteln, und hier hätte ich mir schon gewünscht, dass man vom Acker bis auf den Teller ein Zertifizierungssystem beschließt, das nach gesetzlichen Vorgaben funktionieren muss. Das hätte ich schon erwartet. Und was mir auch fehlt ist die Frage der Risikobewertung, weil wir kennen völlig neue Risiken, es werden sehr viele Stoffe eingesetzt, die kommen aus der ganzen Welt. Also insofern denke ich, an ein paar Stellen kann man sicherlich auch noch weiter diskutieren.

    Jürgen Liminski: Die Zahl der erlaubten Zutaten, von denen Sie auch gerade sprachen, bei Futtermitteln geht in die Hunderte. Wie kann man das lückenlos kontrollieren?

    Tackmann: Ich glaube nicht, dass man das, so wie es jetzt geregelt ist, kontrollieren kann. Es wird immer dann lockere Überschreitungen geben. Ich denke, man muss das einschränken, das hat die Ministerin ja auch angekündigt, dass sie eine abschließende Positivliste auf EU-Ebene auch diskutieren will und durchsetzen will. Ich denke, darum kommen wir nicht herum. Die Design-Futtermittel, die werden also aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt, die sind ein riesengroßes Risiko, insbesondere wenn die Stoffe aus der gesamten Welt zusammengefahren werden. Ich denke, da muss man neu drüber nachdenken und das muss man einschränken.

    Liminski: Eine Positivliste und die Kontrollen sollen verschärft werden. Wird die Agrarlobby hier diese neuen Maßnahmen nicht versuchen zu verwässern?

    Tackmann: Ja. Das Wort "Agrarlobby" ist immer so ein bisschen ein Kampfbegriff. Ich denke, dass die Landwirtschaft schon in großen Teilen verstanden hat, dass hier eine Diskussion dringend erforderlich ist. Sie sind ja auch jetzt die betroffenen, sie haben ja gar keine Chance gehabt, sich gegen Dioxin im Futtermittel zu schützen. Insofern begrüße ich, dass da jetzt eine Debatte stattfindet. Ich glaube, dass vielleicht noch nicht alle in der Landwirtschaft verstanden haben, dass dies dringend erforderlich ist, wenn sie sich auf die Verbraucherinnen und Verbraucher ausrichten wollen, aber ich denke, dass es zumindest bei vielen Landwirtinnen und Landwirten, die ich kenne aus meinem Wahlkreis, da eine große Bereitschaft gibt, auch darüber zu diskutieren.

    Liminski: Dioxin, Frau Tackmann, ist nahezu überall, wenn auch nur in Spurenelementen. Was sagt die Expertin? Gibt es ein chemisch reines Essen?

    Tackmann: Chemisch rein gibt es sicherlich nicht, aber das ist auch etwas, was wir, glaube ich, in der Gesellschaft diskutieren müssen. Risiken sind da. Was hier aber das Problem beim Dioxin ist, dass hier sozusagen mit kriminellen Machenschaften das Risiko erhöht wurde, indem Stoffe dem Futtermittel zugemischt wurden, die verboten waren. Das zeigt uns aber gleichzeitig, dass Dioxin eben auch nur erstens ein Indikator für Probleme im Gesamtsystem ist, und zum zweiten, dass wir, glaube ich, sehr viel sorgfältiger darüber nachdenken müssen, mit welchen Stoffen wir in der Natur hantieren, weil Dioxin fällt ja in der Produktion von Pflanzenschutzmitteln, von anderen Dingen mit an als Nebenprodukt und da sind wir viele Jahre sehr sorglos umgegangen und das fällt uns jetzt auf die Füße, und wie langwierig dann die Probleme sind, solche Stoffe aus der Natur wieder zu entfernen, das erleben wir gerade.

    Heckmann: Zu den Ergebnissen des sogenannten Dioxin-Gipfels gestern in Berlin war das die Ansicht von Kirsten Tackmann. Sie ist agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.

    Strengere Dioxin-Kontrollen - Bund und Länder vereinbaren gemeinsames Vorgehen