Jasper Barenberg: An Selbstbewusstsein hat es der Partei Die Linke nicht gemangelt, im Sommer vor zwei Jahren, als PDS und WASG zusammengingen. An Sendungsbewusstsein auch nicht: Wir treten an, die politischen Kräfteverhältnisse hier im Land und in Europa zu verändern – so sprach damals Lothar Bisky, der Parteichef. Und tatsächlich, inzwischen ist Die Linke auch in vier westdeutschen Landtagen vertreten, doch auf den Höhenflug folgte am Tag der Europawahl der Katzenjammer. Anders als eingeplant und erwartet enttäuschte das Ergebnis von 7,5 Prozent, und jetzt rumort es in der Partei. Trotz der Krise stagnieren die Umfragewerte, drei prominente Funktionäre haben Die Linke jüngst verlassen, Kritik wird laut am Führungsstil und Führungskurs von Parteichef Oskar Lafontaine. Außerdem streiten die Flügel um das Programm für die Bundestagswahl. Es soll an diesem Wochenende auf dem Parteitag in Berlin beschlossen werden, auch von Katja Kipping, der stellvertretenden Parteivorsitzenden, die ich jetzt am Telefon begrüße. Einen schönen guten Morgen nach Berlin!
Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!
Barenberg: Frau Kipping, wie sehen Sie denn Die Linke, als radikale Opposition oder als Regierungspartei?
Kipping: Ja, ich glaube, dass dieser Widerspruch ein vermeintlicher ist. Das Entscheidende ist doch, dass man mit der Linken konkret die Gesellschaft verändern will, und ich glaube, das kann man sowohl aus der Opposition als auch aus der Regierung heraus. Um das nur mal an zwei Beispielen zu machen: Also in Berlin ist es der Regierungsbeteiligung der Linken zu verdanken, dass es nun ein Drei-Euro-Ticket für Erwerbslose gibt fürs Theater. Im Bundestag wiederum, wo wir in der Opposition waren, haben wir ganz konkrete Veränderungen bewirkt. Zum Beispiel die Einführung eines Schulstarterpakets für Kinder in Hartz-IV-Familien geht zurück auf ständiges Nachhaken der Linken. Also insofern kann man schon sagen, auch wenn jetzt gerade unsere Umfragewerte stagnieren, Die Linke hat die Politik schon ganz schön verändert und beeinflusst.
Barenberg: Das heißt, Sie legen keinen Wert darauf, zukünftig Bündnisse mit der SPD zu schließen?
Kipping: Die Frage so zu stellen, heißt ja, meine Antwort von vorhin nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich finde, die entscheidende Frage ist immer, in welcher Konstellation kann man mehr an gesellschaftlicher Verbesserung bewirken. Und ich glaube, dass das in so manchem Bundesland, gerade wenn es um Bildungspolitik geht, wenn es um die Chance geht, eine Gemeinschaftsschule einzuführen, dass man da sehr wohl mit der SPD zusammenarbeiten kann. Und auch auf Bundesebene stellen wir uns dem nicht dogmatisch in den Weg. Die Frage ist halt nur, können wir aktuell, wo können wir mehr an Veränderung bewirken.
Barenberg: Aber muss sich Die Linke nicht dann doch am Ende entscheiden? Dietmar Bartsch spricht davon, dass bald eine Regierungsbeteiligung im Bund möglich sein wird, die Kommunistin Sahra Wagenknecht auf der anderen Seite spricht davon, eine andere Wirtschaftsordnung anzustreben und von einem Oppositionsprogramm, das an diesem Wochenende beschlossen werden soll. Was gilt denn nun?
Kipping: Natürlich gilt, dass eine linke Partei eine oppositionelle Grundhaltung hat, das heißt doch aber nicht, dass sie sich gegen eine Form von Politik komplett verweigert. Die Frage, die uns eher umtreibt – und da sind sich Dietmar Bartsch bis Sahra Wagenknecht einig –, ist die Frage, wie ist die SPD aufgestellt, ist sie programmatisch so aufgestellt, dass es eine genügend große Schnittmenge gibt, um auf Bundesebene mit ihnen tatsächlich Veränderungen zu bewirken. Und da kann man nur sagen, jeden sozialpolitischen Fortschritt, für den die SPD in den letzten Jahren gestanden hat, zu diesem Fortschritt wäre sie nicht gekommen, wenn es nicht eine Linke gegeben hat. Also ich meine, die SPD hatte sieben Jahre Zeit in der Regierung, den Mindestlohn einzuführen. Erst als es eine starke Linke gab, ist sie auf die Idee gekommen, dass man ja doch mal was gegen Lohndumping machen kann. Und das ließe sich jetzt in ganz vielen anderen Bereichen auch so fortsetzen, dass nur die Existenz einer Linken als Konkurrenz bei der SPD dazu geführt hat, dass sie in manchen Punkten sich wieder der sozialen Politik annimmt.
Barenberg: Da bleiben wir gleich bei dem Beispiel Mindestlohn. Die Forderung lautete, der Linkspartei, vor einiger Zeit noch 8 Euro, oder erst waren 7,50 Euro, dann waren es 8,50 Euro, jetzt sind Sie bei 10 Euro angekommen. Die Frage ist ja, warum nicht gleich 12 oder 15 Euro?
Kipping: Ziel der Einführung eines Mindestlohnes ist es ja, zu bewirken, dass kein Mensch, der von früh bis abends arbeitet, unterhalb der Armutsgrenze liegt. Und ich find’s schon interessant, wie sehr sich alle damit auseinandersetzen, welchen Mindestlohn wir haben. Und das viel Empörendere ist doch, dass es heutzutage Menschen gibt, die arbeiten gehen von früh bis abends und trotzdem noch Hartz IV beziehen müssen, weil wir inzwischen solche Dumpinglöhne haben. Und was die Höhe des Mindestlohnes anbelangt, na, wissen Sie, also ich meine, man kann mit 8 Euro starten, aber wie die 10 Euro … Nur mal als Vergleich: In Frankreich haben wir unter einem Präsidenten, der nun wahrlich nicht im Verdacht steht, Sympathisant der Linken zu sein, inzwischen einen Mindestlohn von 8,71 Euro, in Luxemburg gibt’s einen Mindestlohn von rund 9,50 Euro. Also man braucht jetzt auch nicht so zu tun, als ob ein Mindeststundenlohn von 10 Euro außerhalb dieser Welt wäre. Das wäre lediglich eine Art von europäischer Normalität, die wir da einführen wollen. Und wie gesagt, zentral war für uns, dass jemand, der 35 Stunden arbeitet, darf doch nicht weniger bekommen als jemand, der sozusagen gepfändet wird.
Barenberg: Die Frage ist ja aber, warum Sie zu so unterschiedlichen Ziffern, zu so unterschiedlichen Berechnungen in kurzer Frist kommen und ob das Ihrer Glaubwürdigkeit nicht abträglich ist.
Kipping: Ja gut, wenn man sich mal anschaut, wie die CDU ihren Kurs korrigiert hat in den letzten Jahren …
Barenberg: Aber ich frage ja Sie, Frau Kipping, warum Sie das bei der Linkspartei so entschieden haben.
Kipping: Nee, ich will nur sagen, es gibt ja immer eine Weiterentwicklung von Positionen innerhalb von Parteien, weil sich auch gesellschaftliche Umstände verändern. Und die 8 Euro Mindestlohn, das war der Einstieg, was wir in dieser Wahlperiode erreichen wollten. Und wir haben gesagt, für die nächste Wahlperiode ist sozusagen unser Ziel, auf einen Mindestlohn von 10 Euro zu kommen.
Barenberg: 10 Euro Mindestlohn, das ist ein Programmpunkt aus dem Wunschkatalog, der an diesem Wochenende beschlossen werden soll. Ein Investitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro ist ein weiterer, ein Hartz-IV-Regelsatz von 500 Euro. Mit wem wollen Sie das eigentlich politisch umsetzen?
Kipping: Also wir wollen das konkret zum einen umsetzen natürlich mit den sozialen Bewegungen und den Bürgerinitiativen, die sich auch dafür stark machen, dass die Kosten der Krise, die ja nun wahrlich nicht die Beschäftigten und nicht die Erwerbslosen und nicht die Rentner verursacht haben, diese Kosten der Krise dürfen jetzt nicht auf Rentner, Erwerbslose und Beschäftigte abgewälzt werden. Und da gibt es inzwischen auch wieder soziale Bewegungen, die sich dafür einsetzen, und mit denen gemeinsam wollen wir uns für dieses Ziel einsetzen. Und zum Zweiten, auf Bundesebene, was das anbelangt, kann ich nur mal sagen, es hat in den letzten Jahren leichte Kurskorrekturen bei SPD und bei den Grünen gegeben, und wir haben jetzt in den letzten Jahren aus der Opposition heraus viele Verbesserungen bewirken können. Wie gesagt, dass es jetzt einen Mindestlohn für einzelne Branchen gibt, dass es nicht zu Rentenkürzungen kommt, dass der Riester-Faktor in der Rente ausgesetzt wird, das sind alles Sachen, dafür mussten wir noch nicht mal in ne Regierung gehen, um die zu erkämpfen.
Barenberg: Katja Kipping, die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, vielen Dank für dieses Gespräch!
Kipping: Einen schönen Tag noch, auf Wiederhören!
Barenberg: Danke!
Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!
Barenberg: Frau Kipping, wie sehen Sie denn Die Linke, als radikale Opposition oder als Regierungspartei?
Kipping: Ja, ich glaube, dass dieser Widerspruch ein vermeintlicher ist. Das Entscheidende ist doch, dass man mit der Linken konkret die Gesellschaft verändern will, und ich glaube, das kann man sowohl aus der Opposition als auch aus der Regierung heraus. Um das nur mal an zwei Beispielen zu machen: Also in Berlin ist es der Regierungsbeteiligung der Linken zu verdanken, dass es nun ein Drei-Euro-Ticket für Erwerbslose gibt fürs Theater. Im Bundestag wiederum, wo wir in der Opposition waren, haben wir ganz konkrete Veränderungen bewirkt. Zum Beispiel die Einführung eines Schulstarterpakets für Kinder in Hartz-IV-Familien geht zurück auf ständiges Nachhaken der Linken. Also insofern kann man schon sagen, auch wenn jetzt gerade unsere Umfragewerte stagnieren, Die Linke hat die Politik schon ganz schön verändert und beeinflusst.
Barenberg: Das heißt, Sie legen keinen Wert darauf, zukünftig Bündnisse mit der SPD zu schließen?
Kipping: Die Frage so zu stellen, heißt ja, meine Antwort von vorhin nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich finde, die entscheidende Frage ist immer, in welcher Konstellation kann man mehr an gesellschaftlicher Verbesserung bewirken. Und ich glaube, dass das in so manchem Bundesland, gerade wenn es um Bildungspolitik geht, wenn es um die Chance geht, eine Gemeinschaftsschule einzuführen, dass man da sehr wohl mit der SPD zusammenarbeiten kann. Und auch auf Bundesebene stellen wir uns dem nicht dogmatisch in den Weg. Die Frage ist halt nur, können wir aktuell, wo können wir mehr an Veränderung bewirken.
Barenberg: Aber muss sich Die Linke nicht dann doch am Ende entscheiden? Dietmar Bartsch spricht davon, dass bald eine Regierungsbeteiligung im Bund möglich sein wird, die Kommunistin Sahra Wagenknecht auf der anderen Seite spricht davon, eine andere Wirtschaftsordnung anzustreben und von einem Oppositionsprogramm, das an diesem Wochenende beschlossen werden soll. Was gilt denn nun?
Kipping: Natürlich gilt, dass eine linke Partei eine oppositionelle Grundhaltung hat, das heißt doch aber nicht, dass sie sich gegen eine Form von Politik komplett verweigert. Die Frage, die uns eher umtreibt – und da sind sich Dietmar Bartsch bis Sahra Wagenknecht einig –, ist die Frage, wie ist die SPD aufgestellt, ist sie programmatisch so aufgestellt, dass es eine genügend große Schnittmenge gibt, um auf Bundesebene mit ihnen tatsächlich Veränderungen zu bewirken. Und da kann man nur sagen, jeden sozialpolitischen Fortschritt, für den die SPD in den letzten Jahren gestanden hat, zu diesem Fortschritt wäre sie nicht gekommen, wenn es nicht eine Linke gegeben hat. Also ich meine, die SPD hatte sieben Jahre Zeit in der Regierung, den Mindestlohn einzuführen. Erst als es eine starke Linke gab, ist sie auf die Idee gekommen, dass man ja doch mal was gegen Lohndumping machen kann. Und das ließe sich jetzt in ganz vielen anderen Bereichen auch so fortsetzen, dass nur die Existenz einer Linken als Konkurrenz bei der SPD dazu geführt hat, dass sie in manchen Punkten sich wieder der sozialen Politik annimmt.
Barenberg: Da bleiben wir gleich bei dem Beispiel Mindestlohn. Die Forderung lautete, der Linkspartei, vor einiger Zeit noch 8 Euro, oder erst waren 7,50 Euro, dann waren es 8,50 Euro, jetzt sind Sie bei 10 Euro angekommen. Die Frage ist ja, warum nicht gleich 12 oder 15 Euro?
Kipping: Ziel der Einführung eines Mindestlohnes ist es ja, zu bewirken, dass kein Mensch, der von früh bis abends arbeitet, unterhalb der Armutsgrenze liegt. Und ich find’s schon interessant, wie sehr sich alle damit auseinandersetzen, welchen Mindestlohn wir haben. Und das viel Empörendere ist doch, dass es heutzutage Menschen gibt, die arbeiten gehen von früh bis abends und trotzdem noch Hartz IV beziehen müssen, weil wir inzwischen solche Dumpinglöhne haben. Und was die Höhe des Mindestlohnes anbelangt, na, wissen Sie, also ich meine, man kann mit 8 Euro starten, aber wie die 10 Euro … Nur mal als Vergleich: In Frankreich haben wir unter einem Präsidenten, der nun wahrlich nicht im Verdacht steht, Sympathisant der Linken zu sein, inzwischen einen Mindestlohn von 8,71 Euro, in Luxemburg gibt’s einen Mindestlohn von rund 9,50 Euro. Also man braucht jetzt auch nicht so zu tun, als ob ein Mindeststundenlohn von 10 Euro außerhalb dieser Welt wäre. Das wäre lediglich eine Art von europäischer Normalität, die wir da einführen wollen. Und wie gesagt, zentral war für uns, dass jemand, der 35 Stunden arbeitet, darf doch nicht weniger bekommen als jemand, der sozusagen gepfändet wird.
Barenberg: Die Frage ist ja aber, warum Sie zu so unterschiedlichen Ziffern, zu so unterschiedlichen Berechnungen in kurzer Frist kommen und ob das Ihrer Glaubwürdigkeit nicht abträglich ist.
Kipping: Ja gut, wenn man sich mal anschaut, wie die CDU ihren Kurs korrigiert hat in den letzten Jahren …
Barenberg: Aber ich frage ja Sie, Frau Kipping, warum Sie das bei der Linkspartei so entschieden haben.
Kipping: Nee, ich will nur sagen, es gibt ja immer eine Weiterentwicklung von Positionen innerhalb von Parteien, weil sich auch gesellschaftliche Umstände verändern. Und die 8 Euro Mindestlohn, das war der Einstieg, was wir in dieser Wahlperiode erreichen wollten. Und wir haben gesagt, für die nächste Wahlperiode ist sozusagen unser Ziel, auf einen Mindestlohn von 10 Euro zu kommen.
Barenberg: 10 Euro Mindestlohn, das ist ein Programmpunkt aus dem Wunschkatalog, der an diesem Wochenende beschlossen werden soll. Ein Investitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro ist ein weiterer, ein Hartz-IV-Regelsatz von 500 Euro. Mit wem wollen Sie das eigentlich politisch umsetzen?
Kipping: Also wir wollen das konkret zum einen umsetzen natürlich mit den sozialen Bewegungen und den Bürgerinitiativen, die sich auch dafür stark machen, dass die Kosten der Krise, die ja nun wahrlich nicht die Beschäftigten und nicht die Erwerbslosen und nicht die Rentner verursacht haben, diese Kosten der Krise dürfen jetzt nicht auf Rentner, Erwerbslose und Beschäftigte abgewälzt werden. Und da gibt es inzwischen auch wieder soziale Bewegungen, die sich dafür einsetzen, und mit denen gemeinsam wollen wir uns für dieses Ziel einsetzen. Und zum Zweiten, auf Bundesebene, was das anbelangt, kann ich nur mal sagen, es hat in den letzten Jahren leichte Kurskorrekturen bei SPD und bei den Grünen gegeben, und wir haben jetzt in den letzten Jahren aus der Opposition heraus viele Verbesserungen bewirken können. Wie gesagt, dass es jetzt einen Mindestlohn für einzelne Branchen gibt, dass es nicht zu Rentenkürzungen kommt, dass der Riester-Faktor in der Rente ausgesetzt wird, das sind alles Sachen, dafür mussten wir noch nicht mal in ne Regierung gehen, um die zu erkämpfen.
Barenberg: Katja Kipping, die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, vielen Dank für dieses Gespräch!
Kipping: Einen schönen Tag noch, auf Wiederhören!
Barenberg: Danke!