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Linkenpolitikerin: Oppositionsrechte sichern

Eine Große Koalition hätte eine satte Regierungsmehrheit mit mehr als drei Viertel der Stimmen im Parlament. Weil die kleine Opposition bestimmte Quoren nicht erfüllen kann, sei eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, sagt die Linkenpolitikerin Susanna Karawanskij. Nur so könne die Opposition ihre Aufgabe erfüllen.

Susanna Karawanskij im Gespräch mit Rainer Brandes | 23.10.2013
    Tobias Armbrüster: Heute also Beginn der Koalitionsverhandlungen. Schon gestern hat sich in Berlin der neu gewählte Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung getroffen. Viele neue Gesichter unter den Abgeordneten konnte man da sehen. Eine der neuen ist Susanna Karawanskij, 33 Jahre alt, Abgeordnete der Linkspartei. Mein Kollege Rainer Brandes hat mit ihr gestern Abend über ihren ersten Arbeitstag im Plenum gesprochen und er wollte erst mal von ihr wissen, ob sie gestern einen guten Platz im Bundestag ergattert hat.

    Susanna Karawanskij: Ich muss ein bisschen lachen. Es gibt ja in den Fraktionen keine festen Plätze. Deswegen ist es tatsächlich eine Frage, wo man sich für diesen Tag platziert. Aber ich hatte nicht den Anspruch, ganz weit vorne zu sitzen, sondern ich wollte vor allen Dingen einen guten Blick haben auf Herrn Lammert und auf die Redner(innen) vorne, und den hatte ich.

    Rainer Brandes: Dann kommen wir mal zu der konstituierenden Sitzung des Bundestages. Da ist dann oft davon die Rede, dass da eine besonders feierliche Stimmung herrscht. Wie haben Sie das denn erlebt?

    Karawanskij: Ich war ja das erste Mal im Plenarsaal als tatsächlich Abgeordnete. Bislang habe ich zwar den Bundestag besucht, aber eher von der Zuschauertribüne aus, und ich muss schon sagen, das ist sehr beeindruckend, wenn alle da sind, der Saal voll ist und generell die ganze Rahmengestaltung. Das, muss man schon sagen, ist schon ein bisschen feierlich. Auch wenn ich keinen politischen Part zu tun hatte, indem ich selber jetzt reden musste oder ans Podium schreiten musste, aber es ist schon aufregend gewesen. Das kann man nicht anders sagen.

    Brandes: Aber neben dieser feierlichen Stimmung gab es ja auch gleich Streit am ersten Tag. Die CDU und die SPD haben gleich zwei Sitze im Präsidium für sich durchgesetzt, die Grünen und die Linken bekommen jeweils nur einen und beide Parteien haben das auch scharf kritisiert. Jetzt kann man aber sagen, die Union und die SPD stellen doch 80 Prozent der Abgeordneten, das ist doch dann auch gerecht, dass die mehr im Präsidium vertreten sind, oder?

    Karawanskij: Nun, es ist ja die generelle Frage, die auch Gregor Gysi gestellt hat beziehungsweise Petra Sitte als die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, wie bei einer Opposition oder sehr wahrscheinlichen Opposition, die sich ja dann aus Grünen und Linken zusammensetzen wird, die Oppositionsrechte und Möglichkeiten tatsächlich gewahrt bleiben. Und Norbert Lammert, der ja als neuer Bundestagspräsident bestätigt wurde und gewählt wurde, hat ja auch in seiner Rede sehr klar gemacht, dass, auch wenn es eine große Regierungsbank geben wird, beziehungsweise eine Große Koalition und die Opposition geschmälert ist, es zur parlamentarischen Ordnung gehört, dass die Opposition auch ihre Rechte und auch ihre Rolle im Parlament wahrnehmen kann.

    Brandes: Das heißt, Sie befürchten nicht, dass, wenn es zur Großen Koalition kommt, die Opposition und damit auch Sie machtlos werden?

    Karawanskij: Opposition ist ja generell auf verschiedenen Wegen möglich, sowohl in der Berichterstattung nach draußen – da spielen natürlich auch die Medien eine große Rolle – als auch nach innen. Und hier ist die Frage: Bislang lag ja das Quorum, um zum Beispiel ein Normenkontrollverfahren beziehungsweise auch Untersuchungsausschüsse einzuberufen, bei einem Viertel. Und jetzt ist die Frage, ob man das runtersetzt auf ein Fünftel, oder, wie ein Vorschlag auch heißt, dass man einfach bei Einigung der Oppositionsfraktionen das dann einberuft, sozusagen in Einstimmigkeit der Opposition einfach die entsprechenden Rechte zubilligt.

    Brandes: Und schließen Sie sich dieser Forderung an, dass dahin gehend das Grundgesetz geändert werden muss?

    Karawanskij: Das ist die Frage, ob das Grundgesetz geändert werden muss, oder ob man es beispielsweise ergänzt in dieser Hinsicht.

    Brandes: Das ist ja dann eine Änderung.

    Karawanskij: Na ja, es ist auf jeden Fall keine Änderung der Paragrafen, in den Paragrafen drin. Aber ja, ich unterstütze diese Ansicht, weil es vor allen Dingen ja auch wichtig ist, dass innerhalb des Parlaments auch die Oppositionsfraktionen die Möglichkeit haben, parlamentarisch wirksam zu sein und auch ihre Rolle beziehungsweise es geht ja zum Beispiel auch ums konstruktive Misstrauensvotum, um die Einsetzung von Enquete-Kommissionen zu wichtigen gesellschaftlichen Themen, die akut sind, dass man das tatsächlich wahrnehmen kann und hier auch die Oppositionsfraktionen mit den entsprechenden Rechten ausstattet.

    Brandes: Sie sind ja mit 33 Jahren noch recht jung für eine Bundestagsabgeordnete. Gibt es Themen, bei denen Sie sich wünschen würden, dass Sie sie mit anderen jungen Abgeordneten auch anderer Fraktionen gemeinsam durchsetzen können, Themen, die vor allem junge Wähler betreffen?

    Karawanskij: Nun ja, es gibt ja auch jüngere, die ins Parlament eingezogen sind, wenn ich daran erinnern darf. Katja Kipping war unter 30, als sie in den Deutschen Bundestag eingezogen ist. Insofern liegen mir allerdings trotzdem Themen nahe, die zum Beispiel diese dritte Generation Ost-West betreffen, und ich sage jetzt hier ganz bewusst Ost und West, denn ich denke, es hilft nichts, wenn wir über eine weitere Teilung, auch über eine gedankliche Teilung nachdenken. Aber ich denke an die deutsche Teilung und auch die Sozialisationserfahrungen der Menschen, und hier ist, denke ich, eine besondere Verantwortung meiner Generation auch gefragt, die in dem wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen ist, wie da die Annäherungsprozesse gesellschaftlicher, biografischer, inhaltlicher Natur erfolgen können. Das wäre ein schönes Projekt, wo ich mir wünschen würde, dass man da in der Legislaturperiode sowohl den Dialog schafft, auch zwischen den Abgeordneten, als auch in der Gesellschaft, in die Gesellschaft hinein, aber vielleicht auch mit ganz konkreten politischen Anliegen nach vorne schreiten kann, in die Zukunft blicken kann.

    Armbrüster: Eine der Neuen im Deutschen Bundestag, die 33-jährige Susanna Karawanskij von der Linkspartei, gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Rainer Brandes.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.