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Literarische Gretchenfragen
Gomringer: Das Internet - eine Gnade für die Literatur

Sie arbeitet als Dichterin und Direktorin, sie arbeitet am liebsten im Bett, gefolgt vom Sofa. Nora Gomringer leitet mit ihren 37 Jahren das Künstlerhaus "Villa Concordia" in Bamberg. Für den Büchermarkt hat sie zehn - nicht nur literarische - Gretchenfragen beantwortet.

Von Gisa Funck | 26.10.2017
    Die schweizerisch-deutsche Lyrikerin Nora Gomringer
    Die schweizerisch-deutsche Lyrikerin Nora Gomringer (dpa picture alliance/ Jens Kalaene)
    "Hallo! Meine Name ist Nora Gomringer, ich lebe schon eine ganze Weile des Internationalen Künstlerhauses "Villa Concordia" in Bamberg, bin aber Lyrikerin, Sprecherin, mache Filme und Performances, und bin schon 37 Jahre auf der Welt, davon gute 21 Jahre im Internet!"
    Frage 1: Welches Erlebnis hat Sie unwiderruflich zur Literatur verführt?
    "Die stetige Begeisterung meiner Mutter für Lyrik und das Lesen. Dazu ihre Erziehungsstrategie der Langeweile. Denn nur so beginnt man mit dem Planen für sich selbst."
    Frage 2: Sie arbeiten als Schriftstellerin. Was motiviert Sie jeden Morgen aufs Neue, sich an die Arbeit zu machen?
    "Ich arbeite als Dichterin und Direktorin. Während die eine vom Vertrauen anderer in ihre Kunst lebt, lebt die andere in vollem Vertrauen in die Künste der anderen. Hmm: Ich darf ein wunderbares Haus leiten, in dem hoch motivierte Mitarbeiter sich um jährlich wechselnde Stipendiaten und Stipendiatinnen kümmern. Wir sagen uns oft gegenseitig, was für ein Privileg dieser Beruf ist."
    Frage 3: Was braucht es in Ihrem Beruf, um nicht baden zu gehen?
    "Wie in allen Berufen: Eine Fettschicht!"
    Frage 4: Jeder Beruf (auch ein Beruf im Dienste der Literatur) hat seine Schattenseiten. Was halten Sie für die größten Schattenseiten / die größten Risiken Ihres Berufs?
    "Verzettelung, zu viele Gleichzeitigkeiten, mentale und körperliche Ermüdungserscheinungen, lebenslanges Unterschätzt-Werden."
    Frage 5: Welches ist ihr bevorzugtes Arbeitsgerät – und an welchem Ort arbeiten Sie am liebsten?
    "Hmmm, ich habe einen alten Apple-Computer. Und arbeite bevorzugt im Bett, dann auf dem Sofa und sehr oft im Zug."
    Frage 6: Alle Welt spricht gerade von der digitalen Revolution, also auch wir. Was glauben Sie? Wie sehr hat die Digitalisierung die Literatur in den letzten zehn Jahren verändert – und wie sehr wird sie die Literatur in den nächsten zehn Jahren weiter verändern?
    "Die Literatur und ihre Produzenten und Produzentinnen laufen zunehmend Gefahr, ihre Rechte zu verlieren. Was im Netz schwirrt, schwirrt meist herrenlos, namenlos, anonym herum. In der Zukunft werden wir viele neue Werte-Diskussionen führen müssen."
    Frage 7: Im Internet schwingt sich der Literaturkonsument inzwischen immer öfter zum Rezensenten auf. Braucht die Literatur heute überhaupt noch den professionellen Kritiker?
    "Ein professioneller Kritiker? Ja, ist ein scheues Dschungeltier geworden! Edel und zäh! Durchaus gern gesehen, aber in der Tat: Die Masse der Kritiken kommt vom nicht-berufenen Publikum, das es oft sehr gut versteht, Meinung zu machen."
    Frage 8: Ihr Resümee: Ist das Internet eher Gnade oder eher Fluch für die Literatur?
    "G-N-A-D-E! Denn das Internet kommt ja nicht aus der Menschen und Sach-Ferne, sondern eher aus der direkten Nähe von und zu Menschen und Sachen."
    Frage 9: Ihr persönlicher Blick in die Zukunft: Wie, wo und als was werden Sie in zehn Jahren arbeiten?
    "Hmmm: Ich werde mir vielleicht mal einen Schreibtisch angeschafft haben."
    Frage 10: Welches Buch der Weltliteratur hätten sie selbst gerne geschrieben?
    "Na, vielleicht das vielbesagte mit den "7 Siegeln"?!"