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Literatur
"Es gibt immer ein Geheimnis"

"Wenn ich ein Buch schreibe oder lese, möchte ich verschwinden": Die englische Schriftstellerin Jenny Valentine lebt für ihre Kunst. Zentrale Themen ihrer Romane sind Familiengeschichten, Tod, aber vor allem der humanistische Gedanke. Dabei ist ihr vor allem eines wichtig: Die Freiheit.

Jenny Valentine im Gespräch mit Ute Wegmann | 09.04.2016
    Auf blauem Hintergrund sind die Silhouetten einer Familie mit Mutter, Vater, Tochter und Sohn in weiß zu sehen.
    Familiäre Strukturen, aber auch Familiengeheimnisse spielen in Jenny Valentines Büchern eine zentrale Rolle und sind für sie "das Interessanteste am Leben". (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Ute Wegmann: Romane, die in der Wirklichkeit angesiedelt sind. Mit jugendlichen Protagonisten. Romane der englischen Schriftstellerin Jenny Valentine.
    So unterschiedlich die Geschichten auch erscheinen, haben sie ein verbindendes Element: Es geht immer um Familiengeheimnisse. Um Totgeschwiegenes, Verheimlichtes, das meist zu einer unbewussten Suche führt.
    Jenny Valentine ist heute Gast im Büchermarkt mit ihrem neuen Roman "Fire Colour One".
    Es sind Leerstellen, die Jenny Valentine aufzeigt. Leerstellen im Leben der Heranwachsenden. Mal geht es um eine Vatersuche, mal um die Suche nach einer Familie überhaupt, mal um einen toten Bruder.
    Tod ist ein weiteres wichtiges Thema. Immer wieder vereinen die Toten in Valentines Geschichten die Zurückgebliebenen.
    Um den Tod, aber auch um weitere Themen geht es in dem neuen Roman "Fire Colour One", im Deutschen "Durchs Feuer".
    Jenny Valentine, Sie haben englische Literaturwissenschaften studiert und leben schon lange in der Nähe von Haye-on-Wye, der Ort in Wales, der bekannt ist durch die Dichte seiner Buchhandlungen – 40 auf 2.000 Einwohner. Hat das Leben in Haye-on Wye einen inspirierenden Einfluss?
    Jenny Valentine: Ich glaube nicht, nicht so sehr, wie man glauben könnte. Es ist ein berühmter Ort für Secondhand-Buchläden und deshalb ist es auch eine große Touristenattraktion und wir haben das bekannte Literaturfestival dort. Aber wenn es um mein eigenes Schreiben geht, dann empfinde ich die Stadt mit all den fremden Menschen als größere Inspirationsquelle.
    Natürlich liebe ich Bücher, aber ich kann nicht genau sagen, wie sehr mich der Ort beeinflusst, abgesehen natürlich von der friedlichen Umgebung und der Stille, die mich befähigen, dort zu schreiben.
    Wegmann: England hat eine lange Tradition herausragender Kinder- und Jugendliteratur. Welche Kinderbücher haben Sie geprägt?
    Valentine: Ich habe als Kind alles gelesen, was ich in die Hände bekommen habe. Das war meine Technik, um zu flüchten, es bleibt meine Methode, um auszusteigen. Als Kind las ich Enid Blyton und Susan Cooper, aber als ich 12 oder 13 Jahre alt war, da gab es nicht so viele Bücher für junge Erwachsene. Deshalb las ich J.D. Salinger, Nadine Godimer, Margret Atwood und Kurt Vonnegut. Als ich zwölf war, las ich Salman Rushdie: "Mitternachtskinder". Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas davon verstanden habe. Oder sagen wir besser: Ich verstand eine bestimmte Ebene und die war wunderbar. Die politische Wahrheit des Romans konnte ich mit 12 Jahren nicht verstehen. Jetzt ist alles anders. Es gibt einen Markt und ein Genre, das wir geschaffen haben. Als ich jung war, hatten wir einfach nur Bücher.
    Wegmann:! Glauben Sie, dass die Jugendlichen von heute nicht so schnell zur Erwachsenenliteratur greifen, weil es den Markt gibt?
    Valentine: Nein. Ich glaube, das machen sie trotzdem. Wenn ich mich an eine Sache erinnere, was dieses Alter betrifft, dann dass niemand mir sagt, was ich zu lesen habe oder was ich mir anschauen soll. Ich suche mir das selber aus.
    Wegmann: Die Kinder und Jugendlichen in Ihren Romanen sind starke Persönlichkeiten. Manche müssen sich ihr Leben selbst organisieren. Es gibt keine heilen Familien.
    Sind diese Konstellationen Reaktionen auf gesellschaftliche Veränderungen, in denen sich Erwachsene oft überfordert zeigen?
    Valentine: Ich vermute, das es so ist. Ich denke allerdings nicht darüber nach, wenn ich anfange zu schreiben. Und wenn ich ehrlich bin, niemand möchte etwas über eine tolle, funktionierende Familie lesen, wo liegt der Reiz? Normalerweise ist meine Geschichte sehr organisch und ich überlege mir im Vorfeld nicht: Die Geschichte handelt von Alleinerziehenden oder Scheidungen. Es passiert, es kommt mit der Geschichte.
    Ich denke schon, dass es eine Reaktion ist. Aber wenn du ein Jugendlicher bist, erkennst du ja zum ersten Mal, dass auch die Erwachsenen um dich herum unentschieden sind, dass jeder wankt im Leben. Das ist die große Übung beim Erwachsenwerden, damit umzugehen.
    "Dieses Buch ist meinem Vater gewidmet"
    Wegmann: Früher gab es in Ihren Geschichten keine Väter, in dem neuen Roman fällt nun vor allem eine sehr unsympathische Mutter auf. Was hat es auf sich mit den abwesenden Vätern?
    Valentine: Mein Vater pflegte zu sagen: Ich bin sehr stolz auf dich, mein Schatz, ich bin sehr stolz auf deine Bücher. Aber wo sind die Väter? Was habe ich getan, womit habe ich das verdient? Und dieses Buch ist das Bestreben, diese Lücke zu füllen. Es ist meinem Vater gewidmet und das Hauptthema des Romans ist eine Vater-Tochter-Beziehung. Ich hatte das nicht beabsichtigt, es ist passiert. Das stimmt, die Mutter im Buch ist eine schreckliche Figur. Es hat mir Spaß gemacht, das zu schreiben.
    Wegmann: Braucht man traumatisierte Erwachsene um aufmüpfige, spannende Protagonisten und somit auch spannende Geschichten zu schaffen?
    Valentine: Ich weiß keine Antwort auf die Frage. Iris ist wütend. Ihre Erziehung bringt hervor, wer sie ist. Aber, ich glaube nicht, dass ich Erwachsene als traumatisiert betrachte, sondern ich denke immer positiv, betrachte den nächsten Schritt: Was kommt jetzt? In "Kaputte Suppe" geht es um eine Familie, die ihren Sohn verloren hat, aber es geht nicht so sehr um seinen Tod, sondern vielmehr darum, wie die Familie diesen Platz füllt. Ich bin nicht so sehr an den traumatisierten Erwachsenen interessiert, sondern vielmehr daran, wie meine Heldin trotzdem zu sich selbst findet.
    Der humanistische Gedanke ist "zentral für meine Geschichten"
    Wegmann: Alle Geschichten sind getragen von einem großen humanistischen Gedanken und dem Gedanken der Empathie, des Miteinanders.
    Valentine: Das ist genau richtig. Das ist zentral für meine Geschichten. Als ich 15 Jahre alt war und "Franny und Zooey" von J.D. Salinger las, erzählte mir dieses Buch etwas über Empathie. Für mich ist es das Wichtigste überhaupt. Und natürlich, dass ist doch genau das, was ich beim Lesen oder Schreiben erfahre: sich in einen anderen hineinzuversetzen. Es hat nichts mit Sympathie zu tun, sondern es bedeutet, jemand anderes zu sein und zu erleben, wie sich das anfühlt und das schafft Toleranz. Es ist so ungemein wichtig.
    !!Wegmann:! Besonders zum Tragen kommt dieser Aspekt in dem Roman "Die Ameisenkolonie", aber letztlich zeigt er sich in allen anderen Romanen. Verantwortung für das eigene Handeln ist ein wichtiger Aspekt in Ihren Geschichten. Und die Fähigkeit zu vergeben.
    Sind Ihre Geschichten für Sie auch eine Art Anschreiben gegen negative Energien in unserer Gesellschaft?
    Valentine: Ich glaube, in jedem Augenblick liegt das Potenzial für Traurigkeit, Zärtlichkeit oder auch Humor. So fühlt sich für mich richtiges Leben an. Du kannst dich selber in den dunkelsten Momenten deines Lebens mit einem Lachen überraschen. Ich führe keinen Kampf gegen negative Weltenergien, sondern ich versuche auf bescheidene Weise zu begreifen, wie alles zur gleichen Zeit existiert. Für mich.
    "Ich hätte gern, dass das meien Philosophie ist"
    Wegmann: Das ist schön, dass Sie auf Humor zu sprechen kommen. Denn das ist etwas, was ihre Geschichten besonders auszeichnet, dass Sie die ernsten Themen mit einer großen Leichtigkeit vermitteln können und die zeigt sich in ihren Figuren, in ihren Charakteren, wie sie auf die Welt schauen, eben auch mit einem besonderen Witz oder einer besonderen Art von Humor.
    Sprechen wir über den neuen Roman: "Durchs Feuer" ist die Geschichte der 15jährigen Iris, eine Pyromanin, die mit einer oberflächlichen, sehr geldorientierten Mutter und dem Stiefvater in Kalifornien lebt. Aber irgendwann überreißt Iris die Situation, richtet erheblichen Schaden an und stürzt die ohnehin finanziell angeschlagene Familie in Geldnot.
    Sie verlassen die USA, um nach England zurückzukehren, wo der wohlhabende Kunstsammler Ernest, Iris leiblicher Vater, lebt und sie erfahren, dass er im Sterben liegt. Für Hannah, Iris Mutter ist eins klar: Sein Tod soll ihre Zukunft sichern.
    Sie haben dem Roman ein Zitat aus einem Film vorangestellt: "Die Götter beneiden uns. Sie beneiden uns, weil wir sterblich sind, weil jeder Augenblick unser letzter sein könnte. Alles ist so viel schöner, weil wir irgendwann sterben. Nie wirst du zauberhafter sein als in diesem Moment, nie wieder werden wir hier sein."
    Das Zitat stammt aus dem Film "Troja" von Wolfgang Petersen, der 2007 auf der Berlinale Premiere feierte und sich an Homers Ilias orientiert, aber dennoch eine eigenständige Handlung aufweist.
    Der Tod spielt immer eine große Rolle in all Ihren Romanen. Ich erwähnte es am Anfang: Er verbindet die Lebenden, aber er steht auch für eine Leerstelle. Hier erfährt er auch durch das Zitat zum ersten Mal ganz ausdrücklich etwas Positives.
    Ist das Ihre persönliche Lebenseinstellung, dass man die Endlichkeit vor Augen das Leben mehr wertschätzen kann?
    Valentine: Ich arbeite daran. Ja, ich hätte gern, dass das meine Philosophie ist. Aber ich bin wie alle anderen: Ich will nicht sterben. Es ist die erste Zeile, "die Götter beneiden uns", die ja alles auf den Kopf stellt und uns sagt: Wir sind die Glücklichen, weil wir nicht für immer leben müssen. Meine eigene Erfahrung zeigt aber, wenn Du erfährst, dass Du vielleicht nicht mehr lange zu leben hast, dann wird alles ungeheuer kostbar. Es ist so außergewöhnlich.
    Und ich versuche, mir das jeden Tag bewusst zu machen. Es ist ein Klischee, klar: Sei dankbar! Sei dankbar! Und trotzdem bedeutet es etwas, es gibt Kraft.
    "Wenn ich in eier Romanfigur verschwinde, bin ich weg"
    Wegmann: Wie alle Ihre Geschichten ist auch FIRE COLOUR ONE in der Ich-Form erzählt. Es ist Iris Stimme. Sie schaut zurück am Tag der Beerdigung des Vaters. So ist die Geschichte auch erzählt, nicht chronologisch, sondern in Rückblicken.
    Ist es einfacher, in der ersten Person zu schreiben?
    Valentine: Ich finde es einfacher. Jedes Mal, wenn ich ein neues Buch beginne, sage ich mir: Okay, Jenny, jetzt mal in der 3. Person, das ist vielleicht erwachsener, schwieriger.
    Mein Problem ist, wenn ich ein Buch schreibe oder auch lese, dann möchte ich verschwinden. Wenn ich in der 3. Person schreibe, er sagte dies, sie sagte das, dann bin ich da, du kannst mich dann sehen. Aber wenn ich in einer Romanfigur verschwinde, bin ich weg, und das hilft mir, die Geschichte zu finden und außerdem macht es die Geschichte besser. Ja, ich schreibe lieber auf diese Weise.
    Wegmann: Neben Familienstrukturen und der Auseinandersetzung mit Tod ist ein weiteres wichtiges Thema die Kunst. Dabei steht Kunst für die Themen: Original und Fälschung! Wahrheit und Lüge! Das Richtige und das Falsche. Und ist das Wahre immer das Richtige? Und wer macht die Regeln?
    Das Wahre, das durch und durch Durchdrungene, so heißt es, kann nicht gefälscht werden. So heißt es im Buch hinsichtlich Yves Klein und seinem Bild "Fire Colour One". Was bedeutet Ihnen das Bild?
    Valentine: Ja, Kunst spielt eine große Rolle in dem Roman. Und Kunst steht nicht nur für die Dinge, die Sie erwähnt haben, Kunst steht auch für den Augenblick ungeheuerer Schönheit, wenn wir uns lebendig fühlen. Und wir drücken dieses Gefühl in Kunst aus. In allen Formen der Kunst.
    "Fire Colour One" ist ein außergewöhnliches Kunstwerk von Yves Klein.
    Ich suchte nach einem Kunstwerk, das das, was mich beschäftigte, vermitteln könnte: Sterblichkeit, Freiheit der Meinungsäußerung, Originalität und natürlich das Feuer selber. Feuer ist ja ebenfalls ein großes Thema des Romans. Dieses Gemälde hat Klein mit Feuer gemacht.
    Yves Klein hatte dieses außergewöhnliche intensiv-kurze Leben, in dem er so viel machte und wir sprechen immer noch über ihn. Und das ist die Kraft seiner Kunst. Er starb mit 34 Jahren. Und jetzt 50 Jahre später sprechen wir über ihn.
    Als ich mit dem Roman begann, war ich mir nicht sicher, worüber ich erzählen wollte. Das weiß ich aber nie. Als er fertig war, konnte ich sagen: Ja, Kunst ist wichtig, wegen all der Themen, die wir vorher genannt haben.
    "Das Interessanteste am Leben überhaupt"
    Wegmann: Wenn es um Kunst geht, geht es um Original und Fälschung, aber es geht auch um Oberfläche. Der Inbegriff der Oberflächlichkeit ist das Paar Mutter und Stiefvater, das mit den eigenen Mitteln geschlagen wird.
    Geheimnisse müssen aufgedeckt werden. Familiengeheimnisse, Dinge, die unter der Oberfläche liegen, müssen ans Licht gebracht werden, auch das ein Motiv.
    Valentine: Ja, aber es ist auch das Interessante am Leben überhaupt.
    Wenn es ein Geheimnis gibt, dann will ich es wissen. Und es gibt immer ein Geheimnis. ...und ja, ich mag das, was Sie über die Oberfläche sagen in der Kunst aber auch bezüglich der beiden Charaktere. Es sind so unglaublich oberflächliche Leute, oder zumindest beschreibt Iris sie so. Sie haben ihr nichts anderes gegeben. Aber jeder hat etwas Unentdecktes, das fasziniert mich an den Menschen. Du kannst jemanden kennen, oder glauben ihn zu kennen, aber Du weißt so gut wie nichts über den anderen.
    "Freiheit ist für mich absolut inspirierend"
    Wegmann: Eine andere Figur ist genau das Gegenteil der Eltern, Thurston, er ist Iris' Freund in Kalifornien. Sie lernt ihn kennen, wenn sie zwölf Jahre alt, er ist der Erste, der sie versteht, vielleicht ist er sogar ihre erste Liebe. Wie Iris und wie ihre Tante Margot geht er seinen Weg, ist unangepasst. Das schwarze Schaf, das sich lossagt von Normen.
    Er ist das Gegenteil von allen anderen.
    Valentine: Für mich ist er jemand, der sich Iris ausgesucht hat. Sie wurde überall zurückgewiesen, aber er sieht sie und wählt sie und ja, sie betet ihn an. Ich weiß nicht, ob es Freundschaft oder Liebe ist.
    Da gibt es keinen qualitativen Unterschied. Und als ich ihn geschrieben habe, dachte ich: Kunst ist nicht nur ein Produkt, sondern auch der Ausdruck von Lebensfreude und es sollte allen frei zur Verfügung zu stehen, ein Schauspiel liefern und den Augenblick zu leben, das bedeutet für mich Freiheit. Und Freiheit ist für mich absolut inspirierend. Und Iris ist kein bisschen frei, alles wird von anderen kontrolliert. Und Thurston steht für die Möglichkeit, unabhängig und lebensfroh zu sein.
    Wegmann: Kommen wir noch einmal zurück zum Vater: Ernest.
    Obwohl Iris ihren Vater nach und nach kennenlernt, der Mann, der schon auf dem Sterbebett liegt, nimmt er ein Geheimnis mit in den Tod, das Iris erst am Tag der Beerdigung offenbart wird.
    Der Vater wünscht sich auch ein Lied zu seiner Beerdigung:
    "If you don't know me by now, you will never never know me ...."
    Valentine: Der Song, dieses Beerdigungslied, das war ein Scherz meines Vaters. Er hatte einen sehr trockenen Humor, er wünschte sich das Lied zur Beerdigung. Er bekam es nicht, weil meine Mutter nicht den gleichen Humor hat wie er.
    Ich weiß, der Song widerspricht der Idee meines Buches und allen anderen Büchern, zum Beispiel "Wer ist Violet Park?", denn wenn jemand gestorben ist, heißt das nicht, dass du ihn nicht mehr kennenlernen kannst, so als ob er leben würde ... .. Das ist für mich eine Art Glaube, denn ich bin nicht religiös.
    Bei der Beerdigung meines Vaters war ich wirklich berührt zu sehen, wer er eigentlich war. Nicht nur, wer er für mich war, für seine Tochter, weil solange er lebte, konnte ich ihn nur als Tochter betrachten, sondern was er Anderen bedeutete, welche Seiten von sich er Anderen preisgab. Und dann sah ich ihn plötzlich, bildlich gesprochen, in der Mitte und alle standen um ihn herum, und das wäre nie möglich gewesen während er lebte. Und so fühlte es sich auch wie ein Geschenk an, dass ich ihn ein Stück weit mehr verstehen konnte, obwohl er nicht mehr da war.
    Im Roman liegt für mich die große Traurigkeit darin, dass Ernest so großzügig ist, dass er den großen Moment zum Schluss nicht mehr selbst erleben kann. Er schenkt ihn Iris, und es kann auch nur so geschehen. Es ist ein Opfer für ihn, dass sie es erleben kann ohne ihn.
    "Feuer ist destruktiv und kreativ"
    Wegmann: Wir können es nicht verraten. Jeder muss das Buch selber lesen.
    Wir müssen noch mal über das Feuer sprechen.
    Das Feuer dient einerseits der Rache.
    Das Feuer steht für Zerstörung, aber für Yves Klein und für Iris bedeutet es auch ein Akt der Schöpfung wie in "Fire COLOUR ONE", das Bild, das Yves Klein mit Feuer gemalt hat. Muss Iris durch das Feuer gehen, Pyromanin sein, um sich selbst zu finden, um "Mensch" zu werden?
    Valentine: Ja, Feuer steht für Zerstörung, es steht für Wut, und auf eine Art auch für den Versuch etwas zu kontrollieren.
    Feuer ist destruktiv und kreativ, und außerdem erzwingt es einen Neubeginn.
    Ernest Körper zum Beispiel wurde verbrannt. Iris spricht von Bäumen, die angebrannt werden müssen, um wieder neu auszutreiben.
    Es ist komplex, Feuer steht für sehr Vieles.
    Wegmann: Feuer steht ja auch für Wärme, für Licht, für Menschwerdung und Zivilisation überhaupt.
    Valentine: Ja, und das Interessante an "Fire Colour One" ist, - man kann es sich auf Youtube anschauen, es gibt einen Kurzfilm – das Ergebnis sieht aus wie eine Höhlenmalerei.
    Es sieht aus, als wäre es Tausende Jahre alt. Das finde ich außergewöhnlich.
    "Visuelle Kunst war schon immer immens wichtig für mich"
    Wegmann: Welche Bedeutung hat die bildende Kunst für Ihr kreatives Schaffen?
    Valentine: Visuelle Kunst war schon immer immens wichtig für mich. Seitdem ich lesen kann, ist das Wort meine Möglichkeit, die Welt zu
    erkunden und zu lenken. Durch die Kunst verliere ich das. Es ist weg. Ich lerne etwas Neues, was ich nicht in Worte fassen muss. Ich kann einfach nur fühlen. Das finde ich ungeheuer spannend.
    Wegmann: Jenny Valentine war heute Gast im Büchermarkt. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Die Bücher:
    "Wer ist Violet Park?", 200 Seiten!!"Kaputte Suppe", 212 Seiten
    "Die Ameisenkolonie", 215 Seiten
    "Das zweite Leben des Cassiel Roadnight", 238 Seiten
    "Durchs Feuer", 213 Seiten, Euro 14,95
    Alle Romane aus dem Englischen von Klaus Fritz. Alle Jugendromane ab 13 bei dtv/Reihe Hanser.