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Subversives Gehen und transatlantisches Reisen

Das Erkunden von Landschaften, Städten, Inseln – ob vor der Haustür oder in weiter Ferne, ob zu Fuß oder mit anderen Mitteln der Fortbewegung – hat bis heute nicht an Faszination verloren. Jetzt sind wieder zwei besonders lesenswerte Bücher erschienen – von reiseerfahrenen Autoren: Ilija Trojanow und Holger Teschke.

Holger Teschke und Ilija Trojanow im Gespräch mit Angela Gutzeit |
    Der Autor Holger Teschke
    Der Autor Holger Teschke - auf großer Fahrt? (Wiebke Volksdorf )
    Angela Gutzeit: Ich habe kürzlich mit beiden Autoren über ihre Bücher gesprochen.
    Holger Teschke fragte ich zu Beginn, ob er sich nach seinem Leben als Seemann gewissermaßen neu erfunden habe – nämlich als Theatermann und Autor.
    Teschke: Nein, eigentlich nicht. Denn mein großer Traum war immer eine Theaterfassung von Moby Dick zu schreiben und ich dachte, da muss man
    Gutzeit: Cape Cod, das ist die obere Landspitze von Massachusetts/ USA. Vorn im Buch ist auch so eine schöne Karte. Da kann man das alles verfolgen, die Stationen, die Sie dort aufgesucht haben, die Orte, Örtlichkeiten und Küsten. Das ist ja eigentlich eine Insel, nicht?
    Teschke: Ja, technisch gesehen, weil die haben da einmal einen Kanal gegraben, damit man schneller von Boston nach New York kommt und dadurch ist es technisch wie eine Insel. Nur so konnte ich das dann dem Mare Verlag einreden. Weil – Halbinseln nehmen die nicht!
    Gutzeit: Ach so. – Was ist das eigentlich – vielleicht jetzt erst einmal nur vom Landschaftlichen her – was ist das für ein Fleck? Ich habe ihn nie bereist, ich kenne ihn nicht …
    Teschke: Ja, ich erkläre das immer in Deutschland – das ist das Hiddensee von Massachusetts oder von New England sozusagen. Also, Dünenlandschaft, ganz flach eigentlich, eine Sandbank, eine große Sandbank. Und – es hat aber im Gegensatz zu Hiddensee Wale. Es hatte auch mal Indianer. Davon gibt es nicht mehr so viele. Und es hat eine Reihe von, ich glaube, besseren Malern als auf Hiddensee.
    Gutzeit: Na ja, Hiddensee war auch als eine solche bekannt, als Künstlerinsel …
    Teschke: Ja, ja, darauf sind sie stolz …
    Gutzeit: Sie haben das eben schon angedeutet: Die Motive für Sie, diesen Landstrich, diese Insel, bezeichnen wir das mal so, aufzusuchen – da spielte Mobby Dick eine große Rolle. Aber nicht nur Mobby Dick, sondern offensichtlich auch die Liebe.
    Teschke: Die Liebe! Die Liebe hat mich über den Atlantik geholt und dann festgehalten. Und wir haben die Nordspitze zuerst erkundet, weil da ja eigentlich die Wiege des amerikanischen Theaters steht. Also die ersten Stücke von Eugene O’Neill sind da aufgeführt worden von den "Province Town Players". Und da gibt es immer noch ein Theaterleben, aber auch ein sehr reichhaltiges Kulturangebot. Und das hat uns dann sozusagen nach Truro gebracht.
    Gutzeit: Sie haben mit Ihrer Gefährtin, wenn das denn so stattgefunden hat, zumindest ist das Buch so aufgebaut, so eine Art Stationenreise unternommen – von einem Ort zum anderen. Und diese Örtlichkeiten verbinden sich sehr häufig mit sehr großen Namen aus der Literatur- und Kunstgeschichte. Also Melville haben wir eben schon genannt. Edward Hopper spielte auch eine große Rolle, Dos Passos, Tennessee Williams. Man hat das Gefühl, da haben sich ganze Kolonien angesiedelt. Also, ein Künstler hat den anderen offensichtlich nachgezogen – im Sinne von Malerschulen, Künstlerkolonien ...
    Teschke: Das waren zuerst Malerschulen. Und die sind gegründet worden, weil die reichen Damen der New Yorker und der Bostoner Gesellschaft gerne gemalt haben. Insofern gibt es schon eine Ähnlichkeit zu Hiddensee. Und da gab es denn einen Mann aus Boston, Charles Hawthorne hieß der, der hat eigentlich die berühmteste Malerschule gegründet. Das zog dann sozusagen andere Maler nach sich. Und es gab wie gesagt, diese "Province Town Players", die eigentlich auch als Laientheatergruppe angefangen haben. Und zu denen stieß eines Tages Eugene O’Neill. Und O’Neill zog Tennessee Williams nach sich und Tennessee Williams zog Norman Mailer, der da auch gewohnt hat, nach sich. Das war schon tatsächlich eine kleine Künstlerinsel dort oben im Norden. Das Interessante ist, dass man heute immer noch Spuren findet von denen. Und was für mich die große Überraschung war, das waren die deutschen Exilanten. Also, unter anderem George Grosz, der dort hinging und malte, der sich aber beschwerte, dass alle Steine bekleckert seien von diesen Laienmalern mit ihren Farbtuben. Und Valeska Gert, die berühmte exzentrische Tänzerin, die dort sogar eine Kneipe aufgemacht hat: "Valeskas Very Special Food" – was aber niemandem geschmeckt hat, deswegen sie pleiteging und wieder zurück nach Deutschland.
    Gutzeit: Ja, auf das deutsche Exil wollte ich gerade zu sprechen kommen. Also, gab es dort noch mehr …
    Teschke: Ja, zum Beispiel, was mich auch überrascht hat bei der Recherche an dem Buch: Hans Sahl war ein großer Freund von Cape Cod. Im Exil schreibt er drüber und sagt, für ihn war das so, als ob er in ein menschlicheres Europa zurückkommt. Also, viele sind da natürlich auch hingekommen, weil sie sich dort ein wenig mehr an Europa erinnert gefühlt haben als in New York oder Boston.
    Ilija Trojanow: Das war dort auch wirklich eine Atmosphäre des Freigeistes.
    Ein Porträt von Ilija Trojanow
    Ilija Trojanow auf der Buchmesse in Leipzig. (picture-allianc / dpa / Jens Kalaene)
    Teschke: Ja, absolut, ja …
    Trojanow: … sehr früh ein Zufluchtsort geworden für Homosexuelle …
    Teschke: Das war ganz wichtig in Province Town. Also, da begann es. Was Sie heute noch finden, glaube ich, in ganz Amerika nicht so viele Regenbogenfarben wie in Province Town. Und das kam zusammen. Also, es kam sozusagen die schwule und lesbische Kultur, die sich in Amerika gar nicht so ausleben konnte wie dort, und die Künstler. Die trafen sich da. Und das hat den Charme, aber auch das Besondere dieser Gegend da ausgemacht.
    Gutzeit: Was war denn originär der Anziehungspunkt?
    Teschke: Ich glaube, es war was Ilija Trojanow schon gesagt hat: die Freiheit, die es da gab. Es gab weder durch die Kirchen, obwohl es jede Menge Kirchen da gab … Aber es gab nicht diesen moralisch-puritanischen Druck, den man ansonsten in Boston findet oder in ganz Neuengland auf dem Land. Und es war diese ungeheure Weite. Ich glaube, das lag auch daran, dass Hopper dort bis zu seinem Tode dort gemalt hat, weil, das Licht wird ja von beiden Seiten - die Landspitze wird immer schmaler - reflektiert. Und Sie haben ein ungeheures großes Licht, das einem Freiheit vielleicht auch nur suggeriert. Aber die Leute sind Jahr für Jahr immer wieder gekommen, um das zu erleben. Und, wie gesagt, man kann. In fünf Minuten ist man in den Dünen und da ist man alleine. Und was man da treibt, bleibt einem dann selbst überlassen …
    Gutzeit: Es gibt, grob gesagt, drei durchgängige thematische Stränge in Ihrem Buch. Das ist Melvilles Mobby Dick und die Geschichte des Walfangs; die Geschichte der weißen Pioniere, die Kolonialzeit des europäischen Kolonialismus und die Auslöschung der Indianerstämme. Und dann natürlich die Geschichte von Cape Cod in Literatur und Kunst, was wir eben auch schon angesprochen haben. Und was ich so toll finde, ist Ihr erzählerischer Stil, das hießt, das Ganze wird immer wieder garniert mit kleinen Dialogen, mit Anekdoten. Es wird viel gegessen, viel getrunken. Ich habe mich gewundert, wie viele Drinks da über den Tisch gehen.
    Teschke: Na ja, das war ja immerhin eine Seemannsinsel. Es gab ja dort viele Seemänner, und meine Kollegen, die taten genau das gleiche. Wenn nicht gefischt wurde, dann wurde getrunken!
    Gutzeit: Auch wenn Cape Cod was Besonderes war, kann man denn trotzdem sagen, dass sich dort in einem gewissen Maße die Geschichte Nordamerikas verdichtet hat?
    Teschke: Ja, ganz bestimmt! Auf der einen Seite, Sie haben das schon angedeutet, der Walfang. Der ist ja nicht nur für Cape Cod prägend gewesen, sondern eigentlich für die ganze amerikanische Ostküste und an der Westküste auch noch. Die Bedeutung des Walöls ist ja dann erst durch die Entdeckung des Petroleums zu Ende gegangen. Aber ansonsten hat für das ganze 18./19. Jahrhundert das Öl, also der Tran der Wale die Küste an beiden Seiten beleuchtet. Und die andere Geschichte ist natürlich die Auslöschung der Indianer. Denn es gab dort, als die Puritaner ankamen, große Indianerstämme, die dort selber auch auf Walfang und Kabeljaufang waren - das hat dem Kap ja seinen Namen gegeben; Cod bedeutet ja nichts anderes als Kabeljau – und die in weniger als hundert Jahren komplett dezimiert worden sind durch die weißen Siedler, ja?
    Gutzeit: Ich habe eben von bestimmten Stationen gesprochen, die so auf Ihrem Weg lagen, unter anderem ist mir in Erinnerung, dass Sie sehr viele Buchhandlungen besucht haben, besondere Buchhandlungen. Was das Besondere daran ist: die sind vollgestopft mit Literatur über diesen Landstrich und über die Geschichte von Cape Cod. Wie kommt das? Ist das im Bewusstsein dieser Menschen dort? Dass sie stolz darauf sind auf diese Geschichte? Spielt das eine Rolle?
    Teschke: Absolut! Das fängt tatsächlich an mit dem in Deutschland nicht so bekannten und nun Gott sei Dank durch die deutsche Übersetzung und mit Ilija Trojanow mit einem Vorwort versehenen Ausgabe von Cape Cod von Henry David Thoreau. Also Thoreaus Cape Cod ist eigentlich der Klassiker. Der wandert – das erste Mal also ein bekannter Autor – bis an die Nordspitze und erzählt sozusagen, was ihm auf diesen Stationen begegnet. Und das sind vom Schiffbruch … das muss man noch dazusagen, damit beginnt es: Cape Cod heißt zu dieser Zeit "Das Grab des Atlantik", weil da ungeheuer viele Schiffsuntergänge sind, die Küste ist gesprenkelt mit Wracks. Der macht das eigentlich populär. Das Buch ist zu seinen Lebzeiten gar nicht erschienen, aber er hat Vorträge gehalten. Das ist dann erst nach seinem Tod veröffentlicht worden. Und nach "Cape Cod" von Thoreau erscheint wirklich alle fünf Jahre ein neues Buch über die Insel. Die Dichter kommen hin. Und es geht bis ins 19./20. Jahrhundert, dass in Amerika eigentlich jedes Jahr ein Buch, inclusive Cape-Cod-Krimis und Cape-Cod-Sachbüchern und natürlich eine Unzahl von Fotobänden erscheinen und die Insel sozusagen jetzt langsam ein bisschen populär machen wie jetzt tatsächlich Hiddensee.
    Gutzeit: Tolles Buch, kann ich nicht anders sagen! Ilija Trojanow, Sie haben auch Cape Cod bereist? Das fügt sich ja hier wunderbar!
    Trojanow: Ja, nicht bereist, sondern natürlich zu Fuß! Ich musste zu Fuß gehen, weil der großartige, wirklich von mir überaus geliebte Thoreau einer dieser manischen Zu-Fuß-Geher war. Und wenn ich sage "manisch", das muss man sich vor Augen halten, es war ein Mann, der war in der Lage, so mal 50 Meilen zu gehen. Und zwar gleichzeitig…
    Gutzeit: Das hat ja Büchner auch gemacht.
    Trojanow: … ja, Hölderlin. Es gibt da sehr, sehr viele. Das Interessante beim Thema "Gehen" ist … Zuerst denkt man sich, das ist ein bisschen was Verschrobenes. Eher eine Randerscheinung. Und je mehr man sammelt und je mehr man sucht, stellt man fest, dass, also in meinem Fall, also fast alle Autorinnen und Autoren, die ich bewundere, große Geher waren. Und ich habe mich dann irgendwann einmal gefragt, gibt es da vielleicht einen Zusammenhang? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Art, wie man die Welt wahrnimmt, wenn man geht. Und das ist tatsächlich., ich glaube, das kann jeder, der intensiv zu Fuß geht, bestätigen, eine andere Wahrnehmung.
    Gutzeit: … darauf kommen wir jetzt gleich. – Also, wir sind schon mittendrin im Buch von Ilija Trojanow "Durch Welt und Wiese oder Reisen zu Fuß". Dieses Buch, wie wir jetzt gerade schon besprochen haben, ist dem Gehen gewidmet. Da sind viele Texte drin von Denkern und Dichtern – ausgehend von Rosseau, der dort auch vorkommt, er muss ja da auch vorkommen. Und den zitieren Sie mit dem Satz in Ihrem schönen Vorwort: "Das Gehen befreit meine Seele, verleiht mir eine größere Kühnheit des Denkens". – Ich habe das Gefühl, das ist der Kernsatz aller Fußläufigen.
    Trojanow: Ja, das ist die Erfahrung, dass man eigentlich besser denkt und klarer denkt, wenn man geht und das übersetze ich für Autorinnen und Autoren in die Erkenntnis, dass man besser schreibt, wenn man viel geht.
    Gutzeit: Gut.
    Trojanow: Und insofern ist es nicht nur eine, eine Erkenntnisprüfung oder nicht nur eine Haltung zur Welt, sondern es ist dann eben auch eine professionelle Notwendigkeit. Und – wenn man sich viele dieser Autoren anschaut, dann ist da ein nahes Verhältnis zwischen Gehen und der Form ihres Schreibens. Also Nitzsche war ein ganz, ganz großer Geher – dieses fragmentarische, assoziative, hüpfende Denken ganz nah an dem Gehen. Dickens war ein ganz obsessiver Geher. Er hat an Somnia, an Schlafstörung gelitten. Er ist die ganze Nacht durch London gegangen. Dieses obsessive Einfangen dieses Molochs London, was in seinem überbordenden Prosawerk zu spüren ist. Nachdem ich das wusste, dass er so viel gegangen ist, hab ich beim Lesen von Dickens gespürt, wie er diese Stadt ergeht.
    Gutzeit: Wir haben eben das Wort "Lebensphilosophie" benutzt. Sie benutzen das Wort Lebensform. Und Sie setzen noch ein Wörtchen hinzu, was besonders interessant ist, nämlich Sie sprechen von einer "subversiven" Lebensform. Das führen Sie zurück historisch. Man kann sagen, in früherer Zeit war das nicht etwas Wohlgelittenes zu Fuß zu gehen, sondern es hatte was von Landstreicherei. Aber Sie sagen ja, es i s t eine Lebensform. Ist es das noch?
    Trojanow: Ja, ich glaube ja. Wir alle kennen doch diese Konflikte im Stadtverkehr zwischen Fußgängern und den Autofahrern und den Radfahrern. Heutzutage gibt es ja keinen größeren Konflikt. Also, ich erlebe selten, dass Menschen so sehr ausrasten wie in dieser Konfrontation…
    Teschke: … es sei denn, Sie gehen in Los Angeles zu Fuß, wo Sie auch ständig von Polizei angehalten werden… (lacht)
    Trojanow: Das war ja der Scherz! In der Recherche habe ich tatsächlich gelesen: Ray Bradbury, Aldous Huxley wurden tatsächlich angehalten und verhaftet, weil sie zu Fuß gingen. Ich war in Los Angeles. Ich wollte im Sunset Boulevard entlanggehen. Und – das kann man nicht erfinden – was passiert nach 10 Kilometern? Die Polizei hält an und sagt: "Was machen Sie da?"
    Gutzeit: Ja, aber wenn man sich die Texte anschaut, die Sie zusammengesammelt haben, dann kann man sagen, natürlich ist es auch der städtische Flaneur, der eine große Rolle spielt. Man kann ihn ja auch nicht außen vorlassen als jemand, der die Stadt zu Fuß erkundet. Aber es geht doch bei sehr vielen im Grunde genommen um die Naturerfahrung, also um die Reise zu Fuß durch Landschaften. Und da gibt es ja sehr viele Beispiele. Wir hatten ja eben schon den Georg Büchner, die tagelangen Fußreisen des Georg Büchner, was sich ja auch in seinem "Lenz" widerspiegelt. Die Wanderungen Robert Walsers, die Pilzsuche Peter Handkes – ich weiß gar nicht, ob er vorkommt..
    Trojanow: Ja, der schöne Text über den Salzburger Wald …
    Gutzeit: Genau. – Oder die Gebirgstouren, ich glaube das ist auch mit drin, von Christoph Ransmayr. Das sind ja alles welche, die weite Landschaften. Es sind Naturerfahrungen …
    Trojanow: Sie haben gerade die – ganz platt gesagt – die Romantiker genannt. Das gibt ja die anderen. Ich würde sagen, das sind ja tatsächlich die, die auch ein subversives, auch ein politisches Element haben: die Surrealisten, die Situationisten, jetzt die Psychogeografen, die alle versuchen, durch das Gehen sich die Stadt zurückzuerobern. Das heißt, das ist auch ein Kampf gegen Elemente wie Gentrifizierung, gegen Landnahme …
    Gutzeit: Wer macht das denn? Nennen Sie mal ein Beispiel.
    Trojanow: Also, zum Beispiel der Ian Sinclair und der Will Self, also zwei der interessantesten…
    Gutzeit: Will Self, genau!
    Trojanow: … englischen Autoren. Die das ganz bewusst machen als Rückeroberung eines nichtkommerziellen Raums in den Großstädten. Und der Ian Sinclair hatte dieses wahnsinnige Projekt gemacht. Der ist die Autobahn, die um London herumführt, ist er zu Fuß abgegangen, um sozusagen sich dem entgegenzustellen. Er sagt, hier müssen auch Fußgänger vorkommen.
    Gutzeit: Warum sind das eigentlich so viele Briten? Sie haben das angedeutet, auch im Vorwort.
    Trojanow: Es ist erstaunlich. Ich bin ja anglophon, aber es gibt immer wieder gute Gründe anglophon zu sein. Es ist tatsächlich eine ganz große englische/britische Tradition, also die großen Romantiker natürlich – Wordsworth, Coleridge – die sind unglaubliche… die haben ja 80 Meilen-Wanderungen gemacht, 100-Meilen-Wanderungen. Das ist phänomenal! Dieses exzessive Überlassen dieser ganz bestimmten Lebensform hat das unzählige Generationen, glaube ich, weltweit dann geprägt und als Vorbild gedient.
    Teschke: Das hat ja dann auch diese Tradition dieses englischen nature-writing begründet, nicht?
    Trojanow: Ganz genau.
    Teschke: … dass sie immerzu gingen und gingen. Und das ist dann tatsächlich auch in die amerikanische Literatur rübergeschwappt. Das ist kein Wunder, dass Thoreau das aufgreift …
    Trojanow: Ja.
    Teschke: … und sagt, ich will mir dieses Stück Heimat ergehen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Trojanow: Und dann ein letzter Satz dazu: Der Beginn des Naturschutzes ….
    Teschke: Genau.
    Trojanow: … ist ja in den USA, wo es ja wirklich avantgardistisch war, durch das Gehen entstanden. Die großen Begründer der amerikanischen Nationalparks waren Leute, die erst einmal alles aufgegeben haben und zu Fuß durch die USA gegangen sind.
    Gutzeit: Sind Sie auch zu Fuß gegangen, Holger Teschke?
    Teschke: Ja! Ich habe nicht einmal eine Fahrerlaubnis! Darauf bin ich sehr stolz, in Amerika zehn Jahre ohne Fahrerlaubnis existiert zu haben.
    Trojanow: Das ist mutig! Das macht Eindruck!
    Teschke: Das bringt genau diesen Impuls, den Ilija Trojanow doch gerade beschrieben hat: Dann möchte man einmal auf der Autobahn dem Strom entgegengehen, sozusagen. Und da fallen einem dann auch die großen Maler ein, die ja auch große Fußgänger waren von Caspar David Friedrich an der Kreideküste bis William Turner, nicht, der auch jeden Tag an dieser Küste da entlanggelaufen ist. Große Tradition!
    Holger Teschke: "Mein Cape Cod. Eine transatlantische Liebeserklärung.", Mare Verlag, 232 Seiten, 18 Euro
    Ilija Trojanow (Hrsg.): "Durch Welt und Wiese: oder Reisen zu Fuß", Eine Textsammlung, Verlag Die Andere Bibliothek, 460 Seiten, 42 Euro