Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Livestream DLive
Wie die Kapitol-Stürmer mit rechten Live-Videos Geld machen

Als am 6. Januar das Kapitol in Washington von einem Mob gestürmt wurde, filmten sich die Angreifer dabei selber - und streamten die Bilder teils live im Internet. Auf kaum moderierten Livestream-Plattformen wie DLive können die Aufrührer so nebenbei richtig Geld verdienen.

Von Sinje Stadtlich | 25.01.2021
January 6, 2021, Washington Dc, USA: A Trump supporter takes a selfie with Capitol Police in riot gear on Wednesday Jan. 6, 2021 in Washington D.C. Trump supporters stormed the barriers of the US Capitol Building and resulted in a death of a young woman. Washington Dc USA - ZUMAc214 20210106_znp_c214_006 Copyright: xJohnxC.xClarkx
Lukrative Bilder von der Vereinnahmung des Kapitols (www.imago-images.de)
Ein Ausschnitt aus dem Livestream DLive "Baked Alaska" vom 06. Januar 2021: "Occupy the capitol, let’s go! (...) Thank you everyone for sharing this video, let’s get this video up! Over 10.000 people live! Watching me. Applause. America first, America first, America first!"
Ein Livestream, den der Neo-Nazi und Internet-Aktivist Tim Gionet, besser bekannt als "Baked Alaska", von den Ereignissen im Kapitol sendete. 16.000 Follower sahen live zu, wie er mit anderen Trump-Unterstützerinnen und Unterstützern durch die Flure lief, in Büros eindrang und sich über politische Abgeordnete und Polizei lustig machte: "We need to get our guy Donald J. Trump into office, can we do that real quick? Baked Alaska on DLive! (...) Thank you for all the new followers, hit that follow button!"

Rechstextremer Hass live im Netz

Der ehemalige BuzzFeed-Mitarbeiter Gionet hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend radikalisiert und war mit antisemitischen und rassistischen Aussagen aufgefallen. Nachdem ihn fast alle Mainstream-Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook und auch YouTube gesperrt hatten, wich er auf Livestreams bei DLive aus – und zeigte hier etwa, wie er Supermarktpersonal anschrie, das ihn bat, eine Gesichtsmaske zu tragen, oder wie er wahllos Menschen auf der Straße mit Pfefferspray angriff.
Shannon McGregor, Social-Media-Forscherin von der University of North Carolina: "Auf Plattformen wie DLive werden die Inhalte kaum moderiert. Deswegen nutzen User, die etwa Facebook Live nicht verwenden können, weil ihre Aussagen dort nicht geduldet würden, DLive gern. Außerdem gibt ihnen das Netzwerk die Möglichkeit, sehr einfach Geld zu verdienen: Jeder, der den Stream anschaut, kann spenden. Entweder abonniert man bestimmte Kanäle oder man gibt Einzelbeträge."

2.000 Dollar mit Bildern von der Kapitol-Erstürmung

Die Fans vergeben sogenannte "Lemons" an die Streamer – hinter dieser Kryptowährung stehen echte Dollar. Nach Schätzungen von Experten hat etwa Tim Gionet allein am 6. Januar mehr als 2.000 Dollar verdient. DLive wurde 2017 von Charles Wayn als Konkurrenz zu der Gaming-Livestream-Plattform Twitch gegründet. 2019 hatte DLive nach eigenen Angaben fünf Millionen aktive User.
Social-Media-Kampagnen in den USA - Kampf um jede einzelne Stimme
Kurz vor der US-Präsidentschaftswahl spielen für die Kandidaten die Sozialen Netzwerke eine immer wichtigere Rolle. Auch Biden und Trump wollten über Facebook und Co. noch potenzielle Wähler erreichen.
Zuletzt hat sich das Netzwerk zu einem Sammelbecken für Rechtsextreme entwickelt. Prominente Figuren auf DLive sind etwa der Holocaust-Leugner und Trump-Anhänger Nicholas Fuentes oder der Comedian und Verschwörungs-Anhänger Owen Benjamin, so Shannon McGregor: "Einige der Stars dieser Plattformen sind das, was wir hier in den USA 'Alt-Right Influencer' nennen. Die meisten von ihnen haben in den konventionellen Netzwerken angefangen, eine Gefolgschaft aufzubauen – bis sie von dort wegen ihrer extremen Inhalte verbannt wurden. Diese Inhalte reichen von Rassismus über Homophobie und Gewaltverherrlichung bis hin zu Falschinformationen rund um die Präsidentschaftswahl 2020."

Kaum Kontrolle bei DLive

DLive hat Richtlinien, die Diskriminierung und Hate Speech verbieten – nur werden die offensichtlich kaum durchgesetzt. Bis jetzt bewegte sich die Plattform unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit. Seit allerdings in vielen Medien über DLives Rolle bei der Erstürmung des Kapitols diskutiert wird, könnte sich das ändern, meint Shannon McGregor: "Wir wissen, dass öffentliche Aufmerksamkeit grundsätzlich dafür sorgt, dass soziale Netzwerke ihre Richtlinien und deren Durchsetzung überdenken. Deswegen könnte es sein, dass diese Plattformen da in Zukunft genauer hingucken. Natürlich sind sie als Privatunternehmen in erster Linie an ihrem Profit interessiert, aber es ist eben in der Regel auch nicht gerade gut fürs Geschäft, wenn man an einen gewalttätigen Regierungsumsturz beteiligt ist."
Tim Gionet alias "Baked Alaska" wurde mittlerweile vom FBI festgenommen. DLive hat seinen Account gelöscht, genauso wie den von Nicholas Fuentes. Was aber nicht heißt, dass nicht andere Rechtsextreme, QAnon-Verschwörer und Trump-Fans auf DLive weiterstreamen.