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Living Planet Symposium der ESA
Die Antarktis als Klimalabor

Noch bis morgen diskutieren in Prag rund 3.000 Geologen, Meeres- und Atmosphärenforscher den Status Quo des Planeten - Living Planet heißt der Kongress, den die europäische Weltraumagentur ESA alle drei Jahre veranstaltet. Um die Erde als "lebendigen Planeten" also geht es. Und wie lebendig sie ist, das zeigt sich ausgerechnet im ewigen Eis. Die Antarktis und das gesamte Gebiet rund um den Südpol dienen Geophysikern als Versuchslabor. Dort können sie sowohl die Wechselwirkung der Erde mit dem Weltraum beobachten als auch den Einfluss des Klimawandels auf Eis, Gletscher und das Südpolarmeer.

Von Guido Meyer | 06.06.2016
    Der Thwaites-Gletscher in der Antarktis
    Der Thwaites-Gletscher in der Antarktis (dpa / picture-alliance / Jim Yungel)
    Es ist kalt und windig über der Amundsen-See. Dieser Teil des Südpolarmeeres liegt westlich der Antarktis. Es ist dort, in der Nähe des Südpols, so kalt, dass die Amundsen-See fast ständig von Eis bedeckt ist. Vor 14 Jahren war dort aus einem Gletscher ein Eisbrocken von mehr als 3000 Quadratkilometer Größe heraus gebrochen. Heute, fast eineinhalb Jahrzehnte später, können Geophysiker nachvollziehen, was damals passiert ist.
    "In der Tiefe der Amundsen-See gibt es eine Schicht wärmeren Wassers. Da der Klimawandel seit einiger Zeit auch die Luftzirkulation in der Antarktis verändert, pumpt Wind dieses warme Wasser an die Oberfläche. Dort kommt es mit Eisbergen und Gletschern in Kontakt. Das wärmere Wasser bringt das Eis zum Schmelzen. Da das Eis aus leichterem Süßwasser besteht, treibt dieses Wasser nach oben. Dabei erzeugt es einen Sog, der mehr warmes Salzwasser nach oben zieht. Und so entsteht eine Art Pumpsystem. Dieser Kreislauf findet derzeit in der Amundsen-See westlich der Antarktis statt."
    Brent Minchew erforscht am California Institute of Technoloy geologische Veränderungen am Südpol. Für die Folgen der globalen Erwärmung interessiert er sich dabei nur am Rande. Vielmehr geht es dem US-Geophysiker um den Zusammenhang von Gezeiten und Gletscherfluss am Beispiel der Antarktis.
    "Wir nutzen die Gletscher der Antarktis, um zu verstehen, wie Eis fließt und wie es mit dem Land darunter interagiert. Wir untersuchen hier eine sehr isolierte Landschaft mit einfachen Mechanismen. Sobald diese Prozesse verstanden sind, können wir Vorhersagen für andere Gegenden der Erde treffen, wo die Gletscher ebenfalls schmelzen, die Dinge aber viel komplizierter sind."
    Diese "einfachen Mechanismen" beginnen mit dem Mond. Er zieht genauso am Eis wie er am Wasser der Ozeane zieht. Er hebt und senkt es.
    "Die Eisplatten in der Amundsen-See sind die schwimmende Verlängerung der Gletscher an Land. Sie heben und senken sich mit den Gezeiten, genauso wie jedes Schiff überall auf der Welt sich mit Ebbe und Flut hebt und senkt."
    Genauso wie das Meerwasser steigt – und mit ihm das schwimmende, das Schelfeis – zieht der Mond mit seiner Anziehungskraft auch an den Landmassen der Antarktis, die sich unter dem ewigen Eis verbergen. Und das hat Folgen für den Gletscherfluss.
    "Wir wollen herausfinden, ob das Auf und Ab der Gezeiten des Südpolarmeeres einen Einfluss hat auf die Geschwindigkeit, mit der Gletscher in Richtung Ozean fließen. Dazu haben wir uns Gletscherzungen angesehen, die sich über Hunderte von Kilometern über das Festland erstrecken."
    Die kalifornischen Geophysiker haben sich dabei Daten der vier COSMO-SkyNet-Satelliten bedient. Sie umkreisen seit sechs Jahren die Erde. Die Oberfläche des Gebiets, das sie in etwa 600 Kilometer Höhe überqueren, untersuchen sie per Radar. In diesem Fall tasten sie die Gletscher der Antarktis ab. Dabei zeigte sich, dass die Form der Landmassen unter dem Eis einen Einfluss darauf hat, wie schnell die Gletscher fließen.
    "Die Form der Landmassen unter den Gletschern ist U-förmig. Sie sind an den Rändern höher und fallen zur Mitte hin ab. Zieht der Mond nun an ihnen, heben sie sich an. Dabei werden sie auch breiter. Die beiden Seiten des U’s öffnen sich. Je höher der Mond sie anhebt, desto breiter werden sie, und desto schneller kann der Gletscher fließen."
    Dies betrifft alle Gletscher weltweit – nicht nur die im Versuchslabor Antarktis. Für andere Regionen können die Forscher nun diese Werte, die auf äußere Einflüsse wie den Mond zurückzuführen sind, abziehen. Was übrig bleibt an Gletscherschmelze dürfte künftig der globalen Erwärmung zuzuschreiben sein.