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Lob für Gauck
"Das war eine bedeutende Rede"

Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, begrüßt die Grundsatzrede von Bundespräsident Gauck zur deutschen Außenpolitik. Zurecht habe Gauck betont, dass große Länder wie Deutschland bei internationalen Krisen die Führung übernehmen müssten, sagte Ischinger im Deutschlandfunk.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 01.02.2014
    Jürgen Zurheide: Es ist eine Neuorientierung, eine Neujustierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Nach dem gestrigen ersten Tag der Münchener Sicherheitskonferenz wird man es nicht mehr anders sagen können. Der Bundespräsident hat zugespitzt formuliert, was in den Tagen zuvor schon die Bundesverteidigungsministerin, aber auch der Außenminister der großkoalitionären Regierung gesagt hat. Ja, Deutschland wird und muss und soll sich möglicherweise mehr engagieren. Zunächst Wolfgang Clement.
    Das war der Bericht des Kollegen Rolf Clement, und wir wollen jetzt mit dem Organisator, mit dem Leiter der Konferenz reden, Wolfgang Ischinger, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Ischinger!
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Ischinger, was bedeutet das konkret? Ich wiederhole noch mal die entscheidenden Adjektive des Bundespräsidenten: Die Deutschen sollen früher, entschiedener, substanzieller sich beteiligen, engagieren in der Welt. Wie übersetzen Sie das?
    Ischinger: Ich übersetze das als den Ausdruck der Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland oder zumindest des Wunsches des Bundespräsidenten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich bei der Konstruktion und Umsetzung einer tragfähigen und wirksamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit ihrer ganzen Kraft und mit ihrer Energie einbringt. Ich habe diese europäische Perspektive besonders geschätzt, und ich muss Ihnen sagen, es hat ungefähr zehn Minuten gedauert nach dem Ende der Rede des Bundespräsidenten, da kam bei mir die SMS eines sehr bedeutenden französischen Diplomaten an, der offenbar die Rede mitgehört hatte und der mich sozusagen stellvertretend sozusagen für die Deutschen beglückwünschte zu dieser Rede und sagte, dies sei die bedeutendste europäische Rede gewesen, die er seit Langem gehört habe. Also ich denke, das war eine bedeutende Rede.
    Zurheide: Das wird ja heute überall so gewertet. Herr Ischinger, ich will versuchen, dahinterzukommen, was das konkret bedeutet. Also mehr Engagement wo? In Afrika zum Beispiel, das ist ja angesprochen worden von der Verteidigungsministerin – was heißt das konkret?
    Ischinger: Wir dürfen vor allen Dingen diese Frage nicht nur auf das militärische Element verengen. Aus meiner Sicht bedeutet dies, dass, wenn Krisen sich entwickeln, wenn sie am Horizont erscheinen, denken Sie zurück, zwei, drei Jahre an Syrien, denken Sie jetzt an die Ukraine, dass die Bundesrepublik Deutschland versteht, dass, wenn sie etwa gemeinsam mit Frankreich und anderen in der Europäischen Union nicht den konzeptionellen Leitfaden vorgibt, nicht Ideen entwickelt, was man vielleicht tun könnte, vielleicht auch nicht – wer soll es denn sonst machen? Wir dürfen, ich will es mal salopp formulieren, wir dürfen nicht von sozusagen Luxemburg und Litauen erwarten, dass sie in diesen Fragen globalstrategischer oder Krisenaußenpolitik die Führung übernehmen. Das können nur die Großen, und sie müssen es auch. Und das hat der Bundespräsident, wie ich finde, außerordentlich eindrucksvoll dargelegt.
    Zurheide: Kommen wir aber nicht, Herr Ischinger, immer am Ende zu der Kernfrage, militärisch ja oder nein? Richtig ist, man soll es nicht reflexhaft mit Ja oder Nein beantworten, da wird niemand widersprechen wollen. Aber all das, was Sie gerade sagen, und das ist ja der Unterschied zu Litauen und Luxemburg, bedeutet doch, dass große Länder wie Deutschland, Frankreich am Ende auch militärisch könnten, was die anderen nicht können. Am Ende reduziert es sich doch wieder auf die Frage.
    "Ganz ohne die militärische Option geht es leider weiterhin nicht"
    Ischinger: Natürlich. Das ist richtig. Und leider muss man sagen, und dauch das hat diese Rede ja zum Ausdruck gebracht: Ganz ohne die militärische Option, ganz ohne die Drohung mit dem Einsatz militärischer Mittel geht es in unserer Welt, so schlecht ist sie eben leider weiterhin, eben auch nicht. Der reine Pazifismus ist eine schöne Idee, passt aber nicht in die Weltlage, die wir haben. Deshalb ist die Option des möglichen Einsatzes militärischer Mittel bei uns natürlich immer unter dem Vorbehalt eines Mandats und so weiter, ein wichtiger Ausdruck unserer Bereitschaft, unsere europäischen Interessen tatsächlich auch zu verteidigen. Und ich denke, unsere Bevölkerung muss und wird aus solchen Reden wie der des Bundespräsidenten lernen, dass eben Interessenverteidigung Europas heute nicht nur innerhalb der Grenzen der 28 Mitgliedsstaaten oder an diesen Grenzen stattfindet, sondern unter Umständen auch in Afrika oder im Nahen und Mittleren Osten oder sogar im weit entfernten Afghanistan. Das haben wir ja vor einiger Zeit von Peter Struck gelernt.
    Zurheide: Ohne jetzt Umfragen überschätzen zu wollen, kennen Sie die jüngsten auch, die da sagen, dass die Neigung der Deutschen, da sich aktiver zu beteiligen zumindest in der Bevölkerung wohl noch nicht angekommen ist. Aber ich will das gar nicht weiter diskutieren. Ich würde eher andersherum fragen wollen: Geben Sie uns ein Beispiel dafür, dass die Art von Interventionen, über die wir jetzt am Ende nachdenken, dass die wirklich etwas gebracht haben. Sie haben Afghanistan angesprochen, da würde ich sagen, sehr kritisch. Wir können den Irak ansprechen, sehr kritisch, Tunesien – gut, da haben wir nicht interveniert, ich wollte Libyen sagen, da hören wir wenig von, aber dass das glücklich gelaufen ist, kann man nicht sagen. Vielleicht der Balkan? Ich weiß nicht, ist das ein positives Beispiel? Wo haben Sie eins?
    Ischinger: Ja, Balkan. Nehmen Sie die Kosovo-Frage. Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur 1999 teilgenommen an einem damals ja rechtlich durchaus nicht einfach zu begründenden aktiven Kampfeinsatz. Die Bundesrepublik Deutschland ist bis heute der größte Truppensteller im Kosovo, und durch dieses Engagement, das ja auch politische und entwicklungspolitische und wirtschaftliche Komponenten hat, ist es gelungen, aus einem blutigen Konflikt mitten im Herzen Europas eine Lage herbeizuführen, in der exakt morgen, am Sonntag früh in München, auf der Münchener Sicherheitskonferenz der serbische Ministerpräsident und der kosovarische Ministerpräsident zum ersten Mal, das ist ein historisch bedeutsames Ereignis für den Frieden in Europa, gemeinsam auf der Bühne sitzen und darüber berichten werden, wie weit sie jetzt gekommen sind und was noch weitere Schritte sind zur Normalisierung der Beziehung zwischen Serben und Kosovo-Albanern, damit auch in diesem Teil Europas der Zustand erreicht wird, den wir im Westen schon seit Jahrzehnten genießen.
    Zurheide: Nun haben Sie die anderen Beispiele alle weggelassen. Das ist das Einzige, wo man dann natürlich auch hinzufügen könnte, wenn die Truppen irgendwann mal komplett abziehen, ob es dann da so ruhig bleibt, wie es jetzt ist, das wissen wir beide auch nicht. Ich will noch mal auf etwas anderes hinaus, Herr Ischinger. Müssen wir nicht mehr über andere Logiken nachdenken. Dass wir eben nicht, ohne jetzt pazifistisch zu werden, zu schnell doch am Ende beim Militärischen landen. Also der Bundespräsident hat ja auch gesagt, wir brauchen einen breiteren Diskurs, der ja die Frage beinhalten muss, was kann, was soll Eingriff von außen prinzipiell bringen?
    Ischinger: Schauen Sie, vor sechs Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Prinzip der internationalen Schutzverantwortung postuliert. Aus meiner Sicht ein ganz wichtiger, ja, ein idealistischer Schritt weg von einer Definition der Souveränität der Staaten, die sozusagen jedem Diktator das Recht auch zu geben schien, nach Belieben seine eigene Bevölkerung zu massakrieren, wenn es nicht anders ging. Jetzt wird dem Diktator durch dieses neue Prinzip angedroht, dass die Weltgemeinschaft notfalls eingreift. Außerdem wird ihm natürlich mit dem Internationalen Gerichtshof gedroht. Das ist doch eine gute Entwicklung. Sie wäre nicht möglich, wenn die Weltgemeinschaft – und wir gehören nun einmal zu den starken Mitgliedern der Weltgemeinschaft – nicht drohen könnten, notfalls auch militärische Mittel – Druckmittel politischer Art natürlich davor, Sanktionen und so weiter – einzusetzen, um das Killen zu stoppen. Wie sonst wollen wir denn diesen katastrophalen Zuständen in der Zentralafrikanischen Republik Einhalt gebieten, wenn nicht mit der Entsendung von Truppen. Warum sollte denn die Bundesrepublik Deutschland nicht mithelfen bei den zahlreichen Krisen, bei denen die Vereinten Nationen in allervorderster Front gefordert sind. Es geht nicht ganz ohne Friedenstruppen. Und es geht in den wenigsten Fällen um sogenannte Kampfeinsätze. Also noch einmal, ich bitte darum, dass wir die Debatte nicht nur auf die Frage Einsatz der Bundeswehr, nicht Einsatz der Bundeswehr. Das ist eine Frage, die kann sich ergeben, aber es ist wichtig, dass die Bundesrepublik Deutschland sich bei der Krisenprävention, bei der Krisenbeendigung, bei der Konfliktvermeidung initiativ und führend einbringt. Wir sind ein großes Land, und die Erwartungen unserer Partner innerhalb und außerhalb der EU sind in den letzten Jahren sehr stark gewachsen. Dem trägt der Bundespräsident Rechnung. Ich finde es eine großartige Entwicklung.
    Zurheide: Herr Ischinger, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch um 7:28 Uhr. Danke schön!
    Ischinger: Danke Ihnen. Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.