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"Lösegeld ist keine Hoffnung"

Der Journalist Ulrich Tilgner ist der festen Überzeugung, dass es sich im Fall der im Irak verschleppten Susanne Osthoff um eine politische Entführung handelt. Die Bundesregierung habe keinen politischen und nur einen sehr geringen finanziellen Spielraum. Gleichzeitig glaube er, dass wahrscheinlich Terroristen hinter der Tat stünden, deshalb werde es wohl kaum Lösegeldforderungen geben.

    Reme: Neuigkeiten gibt es keine über das Schicksal von Susanne Osthoff, die seit Freitag vermisst wird. Sicher ist, sie ist in Händen irakischer Entführer. Und viele rätseln, geht es um Geld oder geht es um im weitesten Sinne politische Ziele. Ulrich Tilgner hat lange aus Bagdad berichtet, er ist jetzt am Telefon. Herr Tilgner, in welche Richtung deuten Sie die wenigen Indizien?

    Tilgner: In Richtung politische Entführung. In Richtung Terroristen als Täter. Lösegeld ist in diesem Fall keine Hoffnung. Denn Sie haben natürlich Recht, es geht nur um Geld oder Politik. Susanne Osthoff kennt ja sehr viele Iraker, sie kennt die Gebiete in denen sie sich bewegt sehr gut. Es kann eben auch sein, dass Leute aus diesem Umfeld sie entführt haben, um Lösegeld zu pressen. Aber eigentlich ist der ganze Ablauf, vor allen Dingen dass das Band in Bagdad der ARD gegeben wurde. All das deutet darauf hin, dass es eine politische Entführung ist.

    Remme: Kennen Sie Susanne Osthoff, Herr Tilgner?

    Tilgner: Ja. Ich habe mit ihr im vergangenen Jahr zusammengearbeitet. Sie hat sich eigentlich mit Leib und Seele dem Irak verschrieben. Daran besteht gar keine Frage, sie kennt die Wüste sehr genau, sie hat ja auch lange unter Beduinen gelebt, sie hat im Irak sehr viel gegraben als Studentin. Und ihr großes Ziel war es ja weiter im Irak zu graben. Und sie hat wirklich gelitten, als sie beobachten musste, wie jetzt die alten Grabungsstätten zerstört werden, wie sie geplündert werden, wie im Grunde im ganzen Bereich der Antikenverwaltung im Irak nichts mehr läuft.

    Remme: Die Gefahren im Irak sind bekannt, würden sie ihr Engagement als leichtsinnig oder gar fahrlässig bezeichnen?

    Tilgner: Sie hat jetzt die Entführung erlebt, das deutet auf eine bestimmte Fahrlässigkeit. Aber das kann immer passieren. Sie war eigentlich vorsichtig. Sie kannte Land und Leute. Aber manchmal hat sie eben auch ein zu hohes Risiko gewagt, das ist auffällig gewesen, auch wenn ich mit ihr zusammen war. Aber daraus würde ich in keinster Weise einen Vorwurf ableiten. Sie hat sich bewegt. Sie hat ja auch die internationale Öffentlichkeit informiert über das, was auf den Grabungsstätten passiert. Und da ist sie hingefahren. Da war sie praktisch die einzige. Und sie hat darauf gesetzt, dass sie als Frau, dass sie als Deutsche, die mit einem Iraker verheiratet ist, eigentlich nicht in der vordersten Linie der Gefährdung stehen würde und das ist eben ein falsches Kalkül gewesen. Aber das weiß man erst immer hinterher.

    Remme: Herr Tilgner, arbeite ich dort trotz aller Risiken, oder lasse ich es? Das ist ja eine Frage, die sich jeder Journalist oder die sich jeder humanitärer Helfer stellen muss. Wie haben Sie diese Frage für sich beantwortet?

    Tilgner: In dem ich nicht mehr so viel im Irak bin. In dem ich extrem vorsichtig bin. Denn die Entführung von Susanne Osthoff zeigt auch, dass die Informationen aus dem Umfeld gekommen sein müssen. Sie ist nicht zufällig abgefangen worden. Sie wurde Freitag gekidnappt und am Sonntag gab es dann die erste große Welle der Gefangennahme von Ausländern, das heißt sie ist im Rahmen einer größeren Aktion gefangengenommen worden und von da aus waren die Informationen aus ihrem Umfeld, daran habe ich keinen Zweifel. Und das ist die große Gefährdung. Und deshalb ist es extrem schwierig im Irak heute zu arbeiten, weil sie sich im Grunde auf niemanden verlassen können.

    Remme: Herr Tilgner, welchen Spielraum hat die Bundesregierung?

    Tilgner: Sie hat keinen politischen Spielraum, und auch nur einen sehr geringen finanziellen Spielraum. Es gibt ja einen Präzedenzfall, in Nordirak waren Deutsche entführt in der Kurdenregion, sie waren in der Obhut des heutigen Staatspräsidenten Talabani und damals hat die Bundesregierung, oder das Rote Kreuz war es damals, gezahlt an irakische Organisationen im Ausland, die humanitäre Arbeit leisten. Also, so etwas könnte ich mir vorstellen. Aber Geldzahlungen an Kidnapper oder politisches Entegegenkommen das kann keine Regierung heute machen, denn dazu ist die Lage im Irak viel zu labil und dazu steht viel zu viel auf dem Spiel. Einlenken gegenüber dem Terror würde für mich zum Beispiel nicht in Frage kommen.

    Remme: Herr Tilgner, wenn es Verhandlungen gibt, dann werden diese sicherlich leise und hinter den Kulissen geführt werden. Andererseits fordert zum Beispiel Giuliana Sgrena, die kürzlich entführte Journalistin aus Italien, die Ausstrahlung des Videos der Osthoff-Kidnapper, um ein Höchstmaß an Öffentlichkeit herzustellen. Welche Strategie halten Sie für richtig?

    Tilgner: Dezentes Vorgehen. Die Ausstrahlung dieses Videos wäre eine Katastrophe. Die Terroristen haben unglaublich gut gearbeitet, was die Propaganda angeht. Sie müssen sich vorstellen, der Chef der Terroristen im Irak Sarkawi hat seinen Anhängern verboten Fernsehen zu schauen, er selbst hat aber immer wieder die Videos genutzt um für seine Truppe Propaganda zu machen. Und das sehr erfolgreich. Also, das Ausstrahlen von Terroristenvideos halte ich für eine große Katastrophe und auch für einen Fehler, der in den vergangenen Jahren viel zu oft gemacht wurde. Also das käme meiner Meinung nach überhaupt nicht in Frage.

    Remme: Sagen Sie noch mal warum? Welche Wirkung befürchten Sie hier in Deutschland, sollten wir dieses Video sehen?

    Tilgner: Es geht einfach darum, dass die Terroristen diese Tat auch gemacht haben, um damit im inneren Irak Einfluss nehmen zu können. Die Terroristen brauchen Aufmerksamkeit, weil ihre Taten werden eigentlich abgelehnt. Die Öffentlichkeit im Irak ist gegen das, was diese Menschen tun. Und sie können es nur damit rechtfertigen, dass sie politische Erfolge haben. Und als solch einen Erfolg wird eben im Irak auch von den Menschen bewertet, wenn solche Videos ausgestrahlt werden, wenn über die Massen hinaus Entführungsfälle diskutiert werden, wenn es dann zu großen Demonstrationen kommt. Genau das wollen die Entführer, das ist ihnen viel wichtiger als Geld. Denn die Ermordung der Geiseln diente ja auch dem Ziel, das weltweit zu zeigen. Und damit hat man dann Anhänger rekrutieren können. Das ist also ein ganz fürchterlicher Kreislauf und man darf ihn von Anfang an nicht mitmachen.

    Remme: Der Journalist Ulrich Tilgner. Herr Tilgner, vielen Dank für das Gespräch.