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Lösung für Lissabon-Vertrag rückt näher

Mit der Ausnahmeklausel, die Tschechien zur Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags bewegt werden soll, wird nach Ansicht des CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok nur "etwas garantiert, was sowieso garantiert ist". Die Bodenordnung sei nach dem Vertrag ausschließlich nationale Zuständigkeit.

Elmar Brok im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: EU-Gipfel, die gibt es inzwischen zuhauf, viel häufiger als früher jedenfalls. Doch die Erwartungen an die Spitzentreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs sind jedes Mal entsprechend hoch, Entscheidungen zu treffen. Das wird aber auch diesmal in Brüssel nicht so richtig klappen, zumindest wird es sehr schwer. Denn weder kann das Personal-Tableau der künftigen EU-Spitze unter Dach und Fach gebracht werden, noch eine Einigung in der umstrittenen Klimapolitik erzielt werden. Das sagen jedenfalls die Kritiker, und das ist gegebenenfalls auch noch der Stand heute Vormittag, denn lediglich beim Lissabon-Vertrag gibt es deutliche Fortschritte. Der scheint, mehr oder weniger unter Dach und Fach zu sein.

    Der EU-Gipfel in der europäischen Hauptstadt, darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok. Guten Tag!

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Brok, wissen Sie denn, für wen Sie votieren würden, wenn Sie votieren könnten?

    Brok: Nun, wenn ich die Auswahl hätte bei den Präsidenten des Europäischen Rates, würde ich persönlich mich für Jean-Claude Juncker einsetzen. Aber ich glaube auch, dass die beiden anderen Kandidaten geeignet sind, doch die notwendige Form an Führung zu bringen, aber auch zu wissen, dass dieser Job begrenzt ist. Er ist kein operationeller Job, er konzentriert sich nur auf den Europäischen Rat, nicht die Gesetzgebungsräte, und er sollte auch nicht operationell den zukünftigen Außenminister außer Kraft setzen. Deswegen ist das schon ein schwieriger Job, die Regierungschefs im Europäischen Rat zusammenzubringen, aber das ist es dann auch schon.

    Müller: Wann bekommt Europa denn endlich einmal klare Zuständigkeiten, dass man nicht jeden Job auch schon wieder in seiner Bedeutung relativieren muss?

    Brok: Sie müssen sehen: Wir haben die Zuständigkeiten beim Kommissionspräsidenten. Das ist die europäische Regierung, wenn ich das so sagen darf. Ich sehe den Präsidenten des Europäischen Rates, der ja nicht eine Legitimation durch Volkswahl oder durch das Europäische Parlament hat, in der Rolle begrenzter. Der Präsident der Europäischen Kommission ist durch die Staats- und Regierungschefs und durch das direkt gewählte Europäische Parlament gewählt und er ist Chef der Regierung. Er ist so etwas wie ein europäischer Ministerpräsident, wenn das auch nicht ganz korrekt ist.

    Müller: Aber das kostet wieder viel Geld. Warum sparen sie sich den denn nicht?

    Brok: Den Präsidenten des Europäischen Rates?

    Müller: Ja.

    Brok: Das hätte ich mir auch sparen können. Das war ein besonderer Wunsch während des Verfassungskonvents von französischer Seite und einigen anderen Ländern. Aber wir haben dies begrenzt, und es ist jetzt die Frage, ob man dort einen rotierenden, halbjährlichen hat oder ob man in der Leitung dieses Gremiums mehr Kontinuität hineinbekommt. Das ist ja auch nicht schlecht.

    Müller: Herr Brok, ist denn die politische Symbolik wichtiger als die politische Substanz?

    Brok: Es ist ja auch die Frage der Kontinuität in der Führung eines Gremiums durchaus von Substanz. Wenn der Europäische Rat auf diese Art und Weise kontinuierlicher geführt wird, dann scheint mir das schon ein Fortschritt zu sein, weil das auch die Ebenen der Verhandlungen zwischen den Institutionen der Europäischen Union verbessert. Aber er sollte eher, sagen wir mal, eine Köhler-Rolle spielen als eine Sarkozy-Rolle spielen.

    Müller: Tony Blair ist aus dem Rennen. Das haben wir zumindest gestern Abend von allen Beobachtern erfahren. Er ist auch aus dem Rennen - das die Frage an Sie -, weil er im Gegensatz zu den anderen Kandidaten ein wirkliches politisches Schwergewicht gewesen wäre?

    Brok: Ich weiß nicht, ob man Jean-Claude Juncker nicht als ein politisches Schwergewicht darstellen kann, oder Bundeskanzler Schüssel. Tony Blair hat, wenn man in die Praxis hineinschaut, relativ wenig erreicht, er hat sein Land nicht in Schengen geführt, er hat sein Land nicht in den Euro geführt, obwohl er das versprochen hat. Großbritannien ist in vielen Bereichen nicht dabei. Warum soll jemand, der das mit zu verantworten hat und ein Land repräsentiert, das in bestimmten wesentlichen Teilen der Europäischen Union nicht vertreten ist, dann die Europäische Union in dieser Funktion repräsentieren. Aus diesem Grunde heraus meinen wir, dass er nicht der geeignete ist.

    Müller: Kleine Länder können Europa groß repräsentieren?

    Brok: Ja, und wir wissen es aus der europäischen Geschichte, dass wir schon große Europäer hatten, die eine gewichtige Rolle in den Institutionen gespielt haben. Da gibt es eine Reihe von Luxemburgern, eine Reihe von Belgiern, wenn ich nur an Paul-Henri Spaak erinnern darf, und auch aus anderen Ländern. Ich glaube, die Größe entscheidet nicht über die Qualität einer Person. Die Person muss in die richtige Richtung marschieren und sie muss in der Lage sein, Leute zusammenzuführen. Die Qualität hat nichts mit groß und klein zu tun.

    Müller: Herr Brok, reden wir noch einmal über Lissabon. Das sieht jetzt so aus, als würde der Vertrag doch jetzt in wenigen Tagen, in einigen Wochen - so genau weiß man das ja nie - tatsächlich unter Dach und Fach kommen, mit der Unterschrift des tschechischen Präsidenten, der sie bislang verweigert hat. Nun hat die EU Zugeständnisse gemacht. Es geht ja um die Grundrechte-Charta. Die EU hat gestern zugestimmt, wir machen diese Zugeständnisse in Richtung Prag. War das umgekehrt interpretiert eine Form moderner politischer Erpressung?

    Brok: Nun, er kriegt etwas garantiert, was sowieso garantiert ist, denn es lässt sich voreuropäisches Recht der Nationalstaaten nicht durch Europarecht außer Kraft setzen. Die Bodenordnung ist nach dem Vertrag ausdrücklich und ausschließlich nationale Zuständigkeit, und die Charta der Grundrechte kann nicht in nationales Recht eingreifen. Das sind drei klare Linien, dass die Ängste, die Klaus zum Ausdruck bringt, nicht gerechtfertigt sind. Wenn er das jetzt noch mal bestätigt bekommt, dass da keine Gefahr besteht, ändert das an der Sache nichts, denn wenn es an der Sache etwas ändern würde, müsste der Vertrag ja neu ratifiziert werden. Er wird Zusicherungen bekommen für etwas, was aus meiner Sicht und aus der Sicht der meisten Experten etwas Selbstverständliches ist, und deswegen habe ich das als unproblematisch betrachtet.

    Müller: Also das war methodisch nicht erpresserisch?

    Brok: Methodisch war das schon ein Stückchen erpresserisch, aber da die Wirkung begrenzt ist, die damit erreicht worden ist, muss man einfach sagen, okay, dann machen wir das halt so. Wir haben ja ein Problem: Wenn das Grundgesetz von allen Bundesländern hätte beschlossen werden müssen, dann hätten wir heute noch kein Grundgesetz. Auf der europäischen Ebene haben wir die Einstimmigkeit. Wir müssen 27 Länder unter Dach und Fach bringen, und Vaclav Klaus spielt jetzt insbesondere in der tschechischen Innenpolitik. Er hat diese Karte noch mal rausgezogen und das ist jetzt überwunden worden. Jetzt hat er kein Alibi mehr, nicht zu unterschreiben.

    Müller: Und jetzt, Herr Brok, sollen wir uns alle, die Europa gut finden, darauf freuen, dass das nach der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages durch Prag nie wieder in Europa der Fall sein wird?

    Brok: Wissen Sie, das ist gegen die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und das hat nicht nur mit Europapolitik zu tun. Das hat auch mit täglichem Leben in einer Stadt, in einem Land, im Bund zu tun, dass derjenige, der an einem bestimmten Hebel sitzt, diesen Hebel auch benutzt. Europa ist leider Gottes genauso menschlich und mit genauso vielen menschlichen Schwächen versehen, wie das auf allen anderen Teilen unseres Lebens so ist.

    Müller: Werden wir weniger Hebel durch Lissabon bekommen?

    Brok: Ja, weil wir weniger Einstimmigkeiten bekommen. Durch die Stärkung der Mehrheitsentscheidungen in vielen Bereichen und die Mehrheitsentscheidung eigentlich zum Prinzip wird, außer in festgelegten Bereichen, wird die Möglichkeit, den Zug zu stoppen, in vielen Bereichen geringer sein. Und dadurch, dass die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament sehr viel gestärkt werden durch den Vertrag, wird das auch weniger eine Geschichte der Amtsstuben sein, die nicht einsehbar sind durch den Bürger. Es wird sehr viel mehr Öffentlichkeit mit sich bringen, so dass wir bessere Entscheidungen, mehr Transparenz und mehr Demokratie haben werden. Das könnte noch besser sein, aber es ist gegenüber dem heutigen ein erheblicher Fortschritt.

    Müller: Und Deutschland könnte dann hin und wieder ganz toll in die Röhre gucken?

    Brok: Nein. Ich glaube nicht, dass ein großes Land systematisch überwunden wird, und wir sind bisher ja der Hauptgewinner der Europäischen Union. Wir haben in den letzten Jahren im Schnitt einen Handelsbilanzüberschuss von 130 Milliarden Euro gehabt und haben Nettokosten im Haushalt von acht Milliarden Euro. 130 Milliarden zu acht Milliarden ist nicht so schlecht. Wenn Sie sich die Europäische Union als Friedenswerk vorstellen, kein Krieg mehr, Rechtspartnerschaft mit allen benachbarten Ländern und diesen ökonomischen Erfolg sehen, und sehen, dass die Bundeswehr dreieinhalbmal so viel kostet wie die gesamte Europäische Union einschließlich der überbezahlten Europaabgeordneten, wenn ich das mal sagen darf, dann ist das, glaube ich, das beste Geschäft unserer Geschichte.

    Müller: Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brok: Ich danke Ihnen, Herr Müller.