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'Lohnforderungen klar überzogen'

Liminski: "Man kann auch ohne Geld glücklich sein", räumt Hans Eichel ein, setzt aber hinzu, "das ist nicht unbedingt die Botschaft eines Finanzministers." Und man darf ergänzen, sicher auch nicht die der Gewerkschaften. Zwischen fünf und sieben Prozent fordern IG Metall und wahrscheinlich auch VERDI. Die Arbeitgeber und Teile der Politik halten das für maßlos, für überzogen, für verantwortungslos und Ähnliches mehr. Woher und wohin mit dem Geld? Am Telefon begrüße ich zu dieser Frage Reiner Brüderle, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag und deren stellvertretender Parteivorsitzender. Guten Morgen, Herr Brüderle.

    Brüderle: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Brüderle, Sie halten die Forderung vermutlich auch für überzogen, oder?

    Brüderle: Sie ist klar überzogen, denn unser Kernproblem ist ja, dass wir mehr Arbeitsplätze brauchen. Wir haben rund vier Millionen Arbeitslose. Wir haben über eine Million sich in ABM, in Ersatzmaßnahmen befindende Menschen, d.h. ein Bedarf von rund fünf Millionen Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund ist diese Forderung irreal, denn es ist bei allen Fachleuten, Wirtschaftswissenschaftlern unbestritten, dass eine Beschäftigungspolitik, die an Produktivität orientiert ist, d.h. bei der die Lohnerhöhung maximal in Höhe der Produktivitätszuwachsrate stattfindet, beschäftigungsneutral ist. Das bedeutet, es entstehen keine neuen Arbeitsplätze, und wir brauchen Arbeitsplätze, d.h. man muss darunter bleiben. Deshalb ist das jenseits von dem, was realistisch ist. Aber der Staat muss einen Beitrag leisten, dass die Tarifpartner in ihrer eigenen Zuständigkeit, in Tarifautonomie zu moderaten Abschlüssen kommen. Und das geht, indem sie das tun, was ohnehin konjunkturpolitisch geboten ist, nämlich die nächsten Schritte der Steuerreform vorzuziehen. Mein Vorschlag ist, dass man - gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Lohnauseinandersetzungen - eine Abschlagszahlung - ich hatte mal 1.000 DM vorgeschlagen - den Bürgern gibt und damit das verfügbare Einkommen erhöht, was konjunkturpolitisch geboten ist, aber gleichzeitig den Rahmen schafft, zu sehr moderaten Lohnabschlüssen kommen zu können.

    Liminski: Das heißt Sie wollen den Bürgern mehr Kaufkraft zukommen lassen?

    Brüderle: Ja, wir brauchen das. Die Konjunktur schmiert ab. Wir stehen an einer beginnenden Rezession. Wir haben in Deutschland eine Nachfrageschwäche im Konsumsektor und bei den Investitionen. Die Amerikaner haben massive Ankurbelungsmaßnahmen auf dem Weg gebracht, durch weitere Steuersenkungen - ein Konjunkturkonzept der Größenordnung von 400 Milliarden Mark. Und wir können nicht zusehen, dass wir auf dem letzten Platz des Wachstums in Deutschland sind, und wir können nicht zusehen, dass die Arbeitslosigkeit seit Januar von Monat zu Monat in Deutschland steigt. Deshalb muss man durch Steuerreduktionen, die ehe beschlossen sind, die wir vorziehen, den Bürgern wieder mehr Geld geben, ihr Geld schneller zurückgeben und auch einen Hintergrund schaffen, der einen Rahmen für sehr moderate Lohnabschlüsse setzt, die als Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze zwingend geboten sind.

    Liminski: Die Gewerkschaftsseite argumentiert mit folgender Kette: mehr Lohn ergebe mehr Kaufkraft, mehr Konsum, mehr Produktion, mehr Konjunktur und damit auch mehr Arbeitsplätze.

    Brüderle: Ja, sie vergessen nur eins: mehr Lohn sind mehr Kosten, und unsere Unternehmen sind heute schon in der Wettbewerbsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Und deshalb stimmt die Logik nicht ganz, deshalb müsste ein Schritt hinzukommen: die Gewerkschaften müssen moderat abschließen. Sie wissen ja auch, dass hier im Osten etwa 70 Prozent aller Arbeitsplätze sich unterhalb und außerhalb des Tarifvertragsrechts bewegen. Keiner geht dagegen vor, obwohl es rechtswidrig ist, weil wir wissen, die Arbeitslosigkeit würde dramatisch weiter ansteigen. Deshalb müssen Sie auch den anderen Schritt mit sehen: was Sie als Löhne einkalkulieren, sind gleichzeitig Kosten und damit Faktoren, die wieder die Chance der Unternehmen mindern, über mehr Marktstärke voranzukommen, Absatz zu machen, entsprechende Erfolge zu haben. Deshalb ist hier Steuerpolitik notwendig, man muss einen Rahmen setzen, den Bürgern Geld zurückgeben, und da die Einkommenssteigerung hier durch steuerliche Entlastung erfolgt, können die Gewerkschaften im Idealfall gegen Null gehen bzw. mit sehr bescheidenen Margen ihren Beitrag dazu leisten, dass mehr Arbeitsplätze entstehen.

    Liminski: Das heißt Sie haben Verständnis dafür, dass die kleinen Leute auch mal etwas von den großen Gewinnen bekommen wollen, welche die Industrie und die Unternehmen in den letzten 20 Jahren gemacht haben?

    Brüderle: Das ist genau der Punkt, wo wir uns von dem unterscheiden, was die Gewerkschaften sagen. Unsere Unternehmen sind eben - deshalb haben wir die schlechteste Wachstumsrate - nicht so weit vorn in Europa. Das ist sehr unterschiedlich, je nach Branche und je nach einzelne Unternehmen. Ich schlage vor, dass wir die schon beschlossene Entlastung der Bürger, die Steuersenkung vorziehen und damit einen Rahmen setzen, so dass die Gewerkschaften wirklich sehr begründet mit ganz bescheidenen Lohnabschlüssen trotzdem verfügbares Einkommen bei den Arbeitnehmern steigern und damit die Konjunktur stabilisieren. Die Unternehmen sind in einer ganz schwierigen Situation, permanent beherrschen Entlastungen die Schlagzeilen der Wirtschaftsteile - gerade bei den großen Unternehmen, 10.000, 20.000 und mehr -. Deshalb müssen wir andere Weichen stellen. Die bisherige fantasielose Tarifpolitik reicht nicht aus.

    Liminski: Nun hat der Vermittlungsausschuss vom Bundestag und Bundesrat sich heute Nacht um die Fortentwicklung der Unternehmenssteuerreform auf einen Kompromiss geeinigt, zugunsten von kleineren und mittleren Unternehmen. Demnach können kleinere und mittlere Firmen künftig Beteiligungen an Kapitalgesellschaften verkaufen und einen Erlös von bis zu 500.000 Euro steuerfrei neu investieren. Das vom Bundestag beschlossene Gesetz sah nur einen Höchstbetrag von 50.000 Euro vor. Ist das denn das richtige Signal?

    Brüderle: Es ist sicherlich ein richtiges Signal, weil die Steuerreform eine schreiende Ungerechtigkeit hatte: sie hat den Mittelstand deutlich schlechter behandelt als die großen deutschen Konzerne, die sofort ihre steuerliche Entlastung bekamen, und andere nur in Schritten. Und hier ist eine zweite Ungerechtigkeit, dass große deutsche Bankkonzerne steuerfrei ihre Unternehmensbeteiligungen veräußern können, aber wenn ein Mittelständler, ein Handwerker einen Unternehmensanteil veräußert hat, dann war er voll in der Steuerpflicht mit drin. Das kann man so nicht machen, denn der Mittelstand, die kleinen und mittleren Unternehmen sind die Vorsätze der Arbeitsplätze in Deutschland. Dort haben wir am ehesten die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu kriegen, deshalb musste diese schreiende Ungerechtigkeit beseitigt werden. Es bleibt immer noch ein Stück Schieflage, große Konzerne steuerfrei unbegrenzt, bei den Kleinen sagt man, 500.000 Euro. Es war ein Skandal, dass die Regierung von Rot-Grün nur 50.000 Euro innerhalb des Bundestags zugestehen wollte und beschlossen hat. Das ist immer noch eine schlechte Stellung gegenüber dem Großkonzern - dort gibt es keine Auflagen, dort gibt es keine Höhenbegrenzung -, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, der die meisten Fälle in diesem Bereich mit erfassen wird und insofern im Prinzip begrüßenswert ist. Es kommt darauf an, wie auch die Gegenfinanzierungsseite aussieht, aber es kann nicht angehen, dass man den großen Konzernen viele Möglichkeiten gibt. Ich bin immer dafür, dass man es entflechtet. Die großen Banken gehören raus aus den großen deutschen Unternehmen, das ist eine ungute Allianz - diese Deutschland AG, wie es oft apostrophiert wurde -, man muss bitteschön den Mittelstand die gleiche Chance geben. Es ist noch nicht die gleiche Chance, aber ist ein großer Schritt in Richtung gleiche Chancen.

    Liminski: Gleiche Chancen, Herr Brüderle, würde das bedeuten, dass Sie auch eine Höhenbegrenzung für die großen Konzerne einführen wollen?

    Brüderle: Man könnte es umgekehrt machen, dass man auch beim Mittelstand keine Begrenzung macht. Bei den großen Banken geht es wahrscheinlich nur so, dass wir sie aus diesen vielfältigen Industriebeteiligungen rauskriegen, indem man es steuerfrei stellt. Vielleicht hätte man das auch mit 10 Prozent Besteuerung machen können. Aber wir kommen endlich zur Entflechtung. Sie haben es beim Fall Holzmann gesehen - da hatte eine Bank Anteile beim Unternehmen, eine Bank war der Kreditgeber, eine Bank war der Kontrolleur, eine Bank war der Treuhänder -, diese Entflechtung ist zwingend geboten. Ob das Null sein musste, da kann man viel drüber philosophieren, aber wenn man es so macht - was im Grundsatz richtig ist -, dann müsste man das beim Mittelstand einfach ohne Begrenzung genau so machen. Was bei den Großen billig ist, muss für die Kleinen recht sein.

    Liminski: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brüderle.

    Link: Interview als RealAudio