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Lokaljournalismus in Berlin
Neuer Blick in die Bezirke

Gemessen an der Einwohnerzahl entspricht jeder der zwölf Berliner Bezirke einer Großstadt. Trotzdem sparen viele Berliner Zeitungen an der Lokalberichterstattung. Eine neue Initiative will diese Lücke füllen.

Von Claudia van Laak | 13.05.2019
Straßencafé in der Oderberger Straße in Berlin
Zeitungsleser in einem Straßencafé in der Oderberger Straße in Berlin (imago stock&people)
"Prenzlauer Berg Nachrichten" – vor 9 Jahren hat Juliane Wiedemeier diese Online-Zeitung mit gegründet. Jetzt will die freie Journalistin gemeinsam mit anderen einen Schritt weiter gehen. Ziel ist ein politisches Online-Medium für die Berliner Bezirke. Der Name: "Die Stadt Berlin".
"Also das ist der Arbeitstitel. Es könnte zum Problem werden, wenn ich bei der Stadt Berlin anrufe und sage: Ich bin die Stadt Berlin."
Mehr kontinuierliche Berichterstattung
Die Stimmung ist gut an diesem Samstag im "Haus der Demokratie" im Prenzlauer Berg. Mehr als 20 Interessierte sind gekommen, wollen ihre Kompetenzen, ihre Zeit und vielleicht auch ihr Geld investieren in ein neues Medium, das sich um Lokales und Sublokales in Berlin kümmeren will. Juliane Wiedemeier sieht dafür einen großen Bedarf:
"Es gibt zwölf Berliner Bezirke mit eigenen Bezirksparlamenten. Das heißt, es braucht sehr viel Personal, um das kontinuierlich anzuschauen. Und ich denke, eine kontinuierliche Bezirksberichterstattung ist etwas, was auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient."
Die "Berliner Morgenpost" hat ihre Bezirksseiten schon vor Jahren eingestellt, der "Tagesspiegel" steigt wieder ein ins Sublokale, mit wöchentlichen Newslettern für Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und die anderen Bezirke. Das Besondere an der neuen Initiative: Hier sind neben Journalistinnen und Journalisten auch eine ganze Reihe IT-Spezialisten mit an Bord.
"Das Schöne ist, wenn wir jetzt tatsächlich 2019 eine Zeitung oder ein Medium neu gründen, dann denkt man das halt anders als die Zeitungen, die schon existieren. Und gerade auch dass hier so viele Gewerke mit gleich im Boot sind, und auch gerade die Techniker."
Terminhinweise für Ratssitzungen
Der Softwareentwickler Andrej Sandorf zum Beispiel. Er kümmert sich um die Arbeitsgruppe "Civic Tech" - also um die Frage, wie vorhandene Daten für die Zivilgesellschaft und für das neue Lokalmedium nutzbar gemacht werden könnten. Ein Beispiel:
"Wir machen ein Dossier über eine Baustelle, und dann lassen wir die Automatik alle Sitzungsprotokolle dazu anzeigen, die zu diesem Thema in den Ratsparlamenten besprochen worden sind. Und wann zum Beispiel die nächste Ratssitzung zu diesem Thema ist, so dass man auch hingehen kann."
Integrierte Datenbanken
Bestehende Online-Formate und Datenbanken könnten in das neue Medium integriert werden, um für mögliche zahlende Nutzer interessant zu sein. Ideal wäre ein digitaler Pfadfinder durch den Berliner Behördendschungel, für Eltern Datenbanken zu Kitas und Schulen in der Nähe, Karten und Geo-Informationssysteme, die anzeigen, ob und welche Art von Baustelle demnächst nebenan geplant sind. Ohne Datenjournalismus geht im Jahr 2019 gar nichts mehr, sagt Softwareentwickler Andrej Sandorf.
"Dass wir unsere Lesenden aufrufen, Daten zu sammeln und daraus eben die Geschichten zu entwickeln. Ein kurzes Beispiel war eine Lärmkarte. Dass wir Leute dazu aufrufen können, Sensoren bei sich aufzustellen, um den tatsächlichen Lärmpegel ihrer Straße zu messen, vergleichbar auch zu den schon existierenden Feinstaubprojekten."
Ziel ist unabhängiger Journalismus
Ohne eine Community, die das Ganze finanziell unterstützt und sich auch aktiv beteiligt, ist das neue Medium namens "Die Stadt Berlin" nicht denkbar. Doch: zahlende Abonnenten, also private Geldgeber einerseits und unabhängiger, kritischer Journalismus andererseits - das passt nicht immer zusammen, weiß auch Juliane Wiedemeier:
"Dass also niemand, der sagt, ja, ich bin doch hier zahlendes Community-Mitglied, also möchte ich, dass jetzt hier meine Bürgerinitiative besonders gefeatured wird, und alle Leute, die das blöd finden, was wir machen, dass die nicht auftauchen. Das kann natürlich nicht sein."
"Kein Elitenprojekt"
Ein weiteres Problem: "Die Stadt Berlin" möchte ein neues Medium für die gesamte Stadtgesellschaft sein. Ein Angebot für alle, nicht nur für diejenigen, die dafür bezahlen.
"Das heißt, wir können nicht Leute ausschließen, nur weil sie keine Kohle haben. Und es darf nicht zu elitär sein. Das war uns ganz wichtig: Es soll kein Elitenprojekt werden."
Ob das selbstverständlich interaktive und Smartphone-taugliche, politisch unabhängige neue Berliner Lokalmedium demnächst Realität wird - das hängt jetzt von den Akteuren selber ab.