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Lokaljournalismus
Wichtige Beobachter vor Ort

Im Medienrecht heißt es, dass die Presse an der Meinungsbildung mitwirkt. Und tatsächlich tue es vielen Debatten gut, wenn Journalistinnen und Journalisten sie beobachten, meint Marina Weisband. Doch viel zu oft fehle gerade in der Lokalberichterstattung das Geld dafür.

Von Marina Weisband |
Eine Passantin betrachtet in einem Aushang mehrere Zeitungsseiten.
Eine Passantin betrachtet die aktuelle Ausgabe der Zeitung "Kölnische Rundschau" (imago/ Future Image/ C. Hardt)
Es ist früher Morgen. Ich sitze an einem großen Tisch in einem Rathaus, um mit einer Ratsgruppe einen Entwurf für Bürgerbeteiligung vorzulegen. Um den Tisch herum liegen wohlsortierte Pressemappen. "Ich hoffe, es kommt auch jemand", sagt die Ratsfrau. "Warum sollte niemand kommen?", frage ich. "Oft kommen die Leute von der Zeitung nur, um die Pressemappe abzuholen, oder vielleicht für ein Bild. Sie haben wenig Zeit."
Es kommen Leute von der Zeitung. Und es kommen Leute von anderen Fraktionen. Unter anderem, weil Leute von der Zeitung gekommen sind. Und eine lebendige Debatte entsteht. Hier ist aber eine Wahrheit: Debatten in der Politik fallen sehr unterschiedlich aus, je nachdem, ob sie von der Öffentlichkeit beobachtet werden, oder nicht.
Die Anwesenheit von Presse kann die Anwesenheit und Beteiligung an Gesprächen erhöhen und auch die Kompromissbereitschaft. In jedem Fall macht sie die Gespräche politischer. Es lässt sich nicht so gut mit Gefallen handeln, sondern es muss mehr über Inhalte gesprochen werden. Das ist nicht in jeder Phase der Gesetzgebung sinnvoll. Aber es wäre verheerend, das überhaupt nicht mehr zu haben.
Immer weniger Mittel zur Verfügung
Das Problem ist allerdings, dass gerade im Lokaljournalismus immer weniger Mittel zur Verfügung stehen. Die Redakteure bekommen immer weniger Ressourcen, vor allem Zeit, um tatsächlich vor Ort zu beobachten. Vieles muss deshalb über Pressemappen, Textbausteine und reine Vermutungen abgehandelt werden. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, entstehen so oft Artikel von geringer Akkuratheit.
Das Problem ist ein systemisches. Es sind nicht die faulen Redakteure. Es ist ein Mangel an Zeit und Ressourcen. Es ist derselbe Grund, warum auch die Kriegsberichterstattung leidet. Viele Zeitungen haben einfach keine Leute mehr vor Ort und schreiben aus Drittquellen ab.
Bedeutung lokaler Berichterstattung
Ist das alles überhaupt nicht relevant für Sie und Ihr Leben? Sie leben in einem Ort. Die Politik dieses Ortes hat auf Sie unmittelbarste Auswirkungen. Und auf welchem Niveau diese Politik passiert, wie sehr die Interessen einiger weniger Menschen hinein spielen, welche Interessensgruppen Beachtung finden und welche nicht - dies alles hängt davon ab, wer den Prozess dieser lokalen Politik beobachtet.
Man kann als privater Bürger schon sehr viel tun. Öffentliche Sitzungen besuchen. Darüber twittern, facebooken, bloggen. Heutzutage kann jeder eine Öffentlichkeit aufbauen. Durch seine bloße Präsenz hat man dabei die große Macht, die Richtung einer Diskussion und ihre Inhalte zu beeinflussen.
Beobachtung des politischen Prozesses
Doch wir sollten uns darauf besinnen, dass es Menschen gibt, die speziell gelernt haben, dies zu tun. Die sich gut mit den Abläufen und den Menschen auskennen. Die Entwicklungen einzuordnen wissen, die Recherche betreiben können, die in Archiven stöbern und vergleichen können. Die aus der Informationsflut Wissen formen können. Das sind Journalistinnen und Journalisten.
Diese Menschen brauchen wieder die Möglichkeit, diese Arbeit auch wirklich zu tun. Hier ist es Aufgabe von Zeitungen, ihre Ressourcen sinnvoll zu bewerten und zu verteilen. Und die Leser*innen müssen verstehen, was sie von so einer Zeitung haben. Nicht nur durch die Infos, die sie zu lesen kriegen. Sondern durch die Auswirkung der Beobachtung auf den politischen Prozess.