Christoph Heinemann: Wehe der Partei, die solche Pressemitteilungen nötig hat: "Es ist richtig, dass wir beide freundschaftlich zusammenarbeiten. Alles andere ist falsch." Diese Sätze gab der SPD-Parteivorstand in diesen Tagen zum besten - anlässlich der Gerüchte, denen zufolge über die SPD-Kanzlerkandidatur entschieden worden sei. Mit solchen Sentenzen kann man Spekulationen nicht beenden. "Die SPD wird nervös", titelte die Tageszeitung "Die Welt" gestern - Unterzeile "Furcht vor Wahldesaster mit Kurt Beck, Steinmeier angeblich bereit". Als bedürfe es eines Beweises für die Unzulänglichkeiten der gegenwärtigen Parteiführung, kritisierten Spitzenpolitiker der SPD zunächst die Steuersenkungspläne der CSU, bevor Kurt Beck überraschend ein eigenes Steuerkonzept ankündigte. Schon bald, Ende Mai soll dies auf dem Parteikongress in Nürnberg vorliegen. Später stufte Beck dieses vorgeblich seriös berechnete Konzept zu ersten Orientierungen für ein Steuer- und Abgabenkonzept herunter. Für Becks Hü und Hott gibt es in der SPD auch schon einen eigenen Begriff: der Steuer-GAU.
Am Telefon ist Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen! Sie haben ja seltsame Nachrichten.
Heinemann: Herr Stiegler, wissen Sie zufällig, was Ihr Parteichef plant?
Stiegler: Ich weiß nicht, was er im Letzten plant, aber ich fand ihn bisher immer solide und berechenbar. Aber er ist nicht der Liebling der Medien in Berlin. Darum ist er ein ständiges Objekt von Mobbing. Man tut wirklich gut daran, das Ganze berlinerisch zu nehmen und zu sagen, "nicht mal ignorieren". Es ist wirklich unglaublich, was sich da einige Medien erlauben. Es finden sich immer ein paar Deppen, die dann die Stichworte geben. Wir haben einen Fahrplan, und an den halten wir uns. Nun müssen wir halt eine Spekulationswelle nach der anderen über uns ergehen lassen, nach dem Motto "Pfeif der Hund drauf". Das ist wirklich etwas, wo sich die SPD nicht aus der Ruhe bringen lassen darf.
Heinemann: Mit wem hatte Kurt Beck die Ankündigung eines Steuerkonzeptes abgesprochen?
Stiegler: Er hat kein Steuerkonzept angekündigt, sondern er ist gefragt worden, nachdem wir gesagt haben, so, wie die CSU es macht, ist es nicht seriös, was macht ihr denn dann, und dann hat er eben gesagt, wir werden hier eine seriöse Alternative dazu bieten. Und man muss ja sehen: Dieses CSU-Programm ist ja eine Mischung von Kaufen von Getreide auf dem Halm. Das, was die CSU kurzfristig verspricht, das kommt von Rechtswegen. Das muss man einfach sehen. Da wollen die ein Abstaubertor schießen, denn das Existenzminimum wird neu berechnet, und es ist mit Sicherheit höher als das gegenwärtig berechnete, dementsprechend auch der Grundfreibetrag und die Kinderfreibeträge. Die Entlastung für die Krankenversicherung muss eingerechnet werden. Die allermeisten gehen auch davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht das tut, was ich selber auch hoffe und erwarte, nämlich die Kilometerpauschale beziehungsweise die Werbungskosten für die Fahrten zur Arbeitsstätte wieder anzuerkennen. Das sind Dinge, die kommen ohnehin, und da muss ich kein Steuerprogramm machen wie Erwin Huber und versuchen, sozusagen das, was von Rechtswegen kommt, mir auf mein Brot zu schmieren.
Heinemann: Gleichwohl hatte doch die Ankündigung von Kurt Beck viele in der Partei und auch in der Fraktion überrascht. Noch mal die Frage: Mit wem hatte er das abgesprochen?
Stiegler: Ich weiß nicht, mit wem Kurt Beck sich täglich abspricht. Er hat einen vorzüglichen Finanzminister, der ihn berät. Er ist in engem Kontakt mit Joachim Poß bei all diesen steuerlichen Fragen und auch mit Florian Pronold, mit dem finanzpolitischen Sprecher, mit dem Kollegen Ulrich Krüger. Also da gibt es eine ganze Menge Kontakte, und die SPD arbeitet in Wahrheit schon seit Monaten an dem Thema in Richtung steuerpolitische Aussagen für die Bundestagswahl. Wir haben ja nun das Grundproblem: einerseits den ausgeglichenen Haushalt, andererseits jedenfalls nicht mehr wachsende Einnahmen, sondern eher stagnierende Einnahmen und Wünsche, dass einem die Augen übergehen. Dass das auf einen Nenner gebracht werden muss, das ist ja nun seit Monaten bei uns in der Diskussion. Deshalb muss man sich nicht wundern, dass Kurt Beck sagt in Nürnberg, wo es ja um die, sagen wir mal, Zwischenbilanz nach dem Hamburger Parteitag geht und um eine gewisse Grundorientierung für die Basis geht, da wird dazu was gesagt werden. Aber die Beck-Mobber in den deutschen Medien, die wollen ihm daraus einen Strick drehen, und ich sage: Schande über jeden, der sich dazu missbrauchen lässt.
Heinemann: Thomas Oppermann, Sie sprachen gerade von Steuerkonzept, der Parlamentarische Geschäftsführer Ihrer Partei meint, niedrigere Sozialabgaben seien zur Entlastung breiterer Schichten besser geeignet als Steuersenkungen. Noch mal die Frage: Was planen Sie jetzt, ein Steuerkonzept, ein Abgabenkonzept oder beides oder gar nichts?
Stiegler: Es gehört beides zusammen, es gehört beides zusammen. Wenn Sie die Staatsquote für den Brüsseler Vertrag rechnen, haben sie eben die Sozialabgaben genauso dabei, und die sind ja, was die Belastung anbetrifft, für die Masse der Menschen eher höher. Die unteren Einkommen zahlen fast keine Steuern, aber prozentual die gleichen Abgaben wie die bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Das ist ein Gesamtüberblick, der da erarbeitet wird, und daran sind wir an vielen Baustellen seit Monaten tätig, eben die Strukturen zu sammeln, die Daten zu sammeln und zu sehen, wie geht man das am besten an auch vor dem Hintergrund einer sich eintrübenden Konjunktur?
Heinemann: Also wir können heute Morgen festhalten: Die SPD arbeitet an einem Steuer- und Abgabenkonzept?
Stiegler: Ja. Aber ist das eine Überraschung?
Heinemann: Für viele Ihrer Parteifreunde ja.
Stiegler: Gut. Dann kann ich nur die fragend anblicken, die von so etwas überrascht sind. Aber dass wir für die Bundestagswahl 2009 ein Konzept, ein Wahlprogramm vorlegen werden, seit Monaten sind die geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden, die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, gebeten worden, für ihre Geschäftsbereiche Vorschläge zu erarbeiten, die dann in den großen Topf kommen, wo man dann die Prioritäten neu sortieren muss. Das ist seit Monaten im Gange, und das ist für den, der da in der Fraktion mitarbeitet, keine wirkliche Überraschung. Es war aber möglicherweise dieses Mobbing-Missverständnis mancher Medien, die meinten, dass da etwas im Busch sei wie das, was Huber macht. Aber Huber ist eine Show-Nummer!
Heinemann: Die Überbringer der schlechten Nachricht sind schuld.
Stiegler: Die sind es schuld, weil sie mobben. Er ist in Berlin, sie sind weit weg.
Heinemann: Sie haben gerade eben von der Bundestagswahl 2009 gesprochen. Wann sollte die SPD den Namen des Kanzlerkandidaten bekannt geben?
Stiegler: Ich denke, Kurt Beck hat mitgeteilt, das wird irgendwann nächstes Jahr geschehen und Feierabend! Da können die spekulieren, was sie wollen; dann werden sie halt ein Divertimento betreiben und zur Unterhaltung der Nation beitragen, aber uns nicht hier etwa vor sich hertreiben, was sie gerne täten. Wir sind stark genug, um diese Schweinereien auszuhalten.
Heinemann: Divertimento sagen Sie. Themen mit Variationen kann man gerade bei den US-Demokraten beeindrucksvoll beobachten, wie sich zwei Parteifreunde aneinander abarbeiten. Der lachende Dritte ist sicherlich kein Demokrat. Droht der SPD vergleichbarer Schaden?
Stiegler: Da sind wir weit weg. Wenn Sie die amerikanische Wahlkampfsituation betrachten, dann haben Sie eine völlig andere Situation als bei uns. Hier haben wir einfach das Bemühen der Hauptstadtpresse und mancher Medien, den Kurt Beck zu mobben, und es ist eine geprobte Solidarität, hier zu ihm zu stehen.
Heinemann: Das haben Sie jetzt mehrfach gesagt. Warum ist Kurt Beck in Berlin so unbeliebt?
Stiegler: Weil er vielleicht hier nicht nach ihren Regeln tanzen will, und das finde ich gut an ihm, dass er einfach sagt, ihr könnt mir den Buckel runterrutschen. Das ist ja wohl eine gute Haltung. Man muss nicht hier all den Infotainment-Fritzen ihre Bedürfnisse befriedigen, sondern man muss verantwortlich eine Partei leiten. Kurt Beck ist in der Partei tief verankert, draußen hoch anerkannt, aber er wird halt hier vom ersten Tag an gemobbt. Irgendwann hört das auch auf. Das ist eine Frage, wann es den Leuten langweilig wird.
Heinemann: Wäre Frank-Walter Steinmeier ein besserer Infotainment-Fritze?
Stiegler: Ich lasse mich auf solche Diskussionen nicht ein, weil ich jeden zur Rede stelle, der an diesem Quatsch mitspielt und der der SPD nur schaden soll. Deswegen haben wir einen Fahrplan im Parteipräsidium, im Parteivorstand, wie so etwas vorbereitet wird, und dabei bleibt es auch.
Heinemann: Herr Stiegler, geht es noch um die Kanzlerkandidatur oder längst um die Frage "Rette sich, wer kann!" oder um das Prinzip "Rette sich, wer kann!"?
Stiegler: Das würden uns manche gerne aufschreiben.
Heinemann: Da war sie wieder, die Hauptstadtpresse!
Stiegler: Ich kann Ihnen nur sagen, die Lebenserfahrung zeigt mir, dass die SPD immer auch zwischen den Wahlterminen durch tiefe Täler gegangen ist, aber die Berge wieder erreicht hat. Deswegen bin ich da überhaupt nicht in Panik zu bringen, weil die Stimmungen mal so, mal so sind. Zurzeit sind wir eben wieder einmal Gegenstand einer Spekulationswelle. Das geht ja fast wie im Währungsbereich und bei irgendwelchen Firmen. Und da heißt es eben, Nerven zu behalten und es abzuwettern und abzutropfen. Ich persönlich halte es damit wirklich wie die Berliner: "nicht mal ignorieren". Ich lese vielleicht fünf Prozent der Schlagzeilen, die es darüber gibt, aber daher weiß ich: Das ist nur Quatsch. Das musst du dir gar nicht antun.
Heinemann: Sie ärgern sich auf hohem Niveau.
Stiegler: Ich ärgere mich auf hohem Niveau.
Heinemann: Eine letzte Frage zu einem anderen Thema noch. Innerhalb der SPD-Fraktion regt sich Widerstand gegen die geplante Diätenerhöhung. Die schleswig-holsteinische Landesgruppe will der Erhöhung im Bundestag nicht zustimmen. Befürworten Sie eine solche Erhöhung?
Stiegler: Ich habe für sie gestimmt. Die Schleswig-Holsteiner haben in der Fraktion ihre Besorgnisse angemeldet. Ich gehe von einer ganz einfachen Wahrheit aus: In dem Gesetz steht, die Abgeordneten sollen bezahlt werden wie Bürgermeister kleinerer Städte oder in Bayern Oberbürgermeister kleinerer kreisfreier Städte oder Bundesrichter. Das ist seit 20 Jahren sozusagen erklärtes Ziel im Gesetz. Davon waren zuletzt etwa 75 Prozent und letztes Jahr etwa zwischen 80 und 90 Prozent erreicht, je nach dem, wie man rechnet. Wenn man jetzt die Erhöhung von B6 nicht nachvollzogen hätte, wäre der Anteil daran wieder gesunken. Die Abgeordnetendiäten sind eine Funktion von X, und wenn X sich verändert, ändert sich auch das. Oder man muss die Formel ändern. Ich habe das in der Fraktion auch deutlich gesagt, entweder wir sagen, diese Bezugsgröße ist falsch. Wenn wir aber alle der Meinung sind, diese Bezugsgröße ist eigentlich richtig, dann muss es irgendwann mal so sein, dass diese Bezugsgröße erreicht wird. Mit dieser jetzigen Anpassung geschieht nichts anderes, als die Diäten auf dem prozentualen Standpunkt zu halten, den sie vorher auch hatten. Aber nachdem B6 entsprechend gestiegen ist, würde der prozentuale Anteil wieder nach rückwärts gehen, und wir wollten ja irgendwann 2010, 2011 B6 erreichen.
Das ist der Vorgang, und dass der keine Freude auslöst, das ist auch klar. Diätenerhöhungen sind nie in die Zeit passend. Da kann sein, was mag. Und da muss man halt stehen. Ich habe eigentlich in x Versammlungen, wenn ich frage haltet ihr es für angemessen, dass die Abgeordneten bezahlt werden wie der Landrat in Bayern oder wie ein Oberbürgermeister einer kleinen kreisfreien Stadt, dann hat niemand was dagegen. Nur die Leute haben keine Vorstellung, was das für Beträge sind, weil dort steht nur, darüber wird nicht geredet. Da steht abstrakt B6.
Heinemann: Vielen Dank! Ludwig Stiegler, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, kein Freund von Infotainment-Fritzen und ein kritischer Leser der Hauptstadtpresse. Das haben wir jetzt gelernt. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Stiegler: Auf Wiederhören.
Am Telefon ist Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen! Sie haben ja seltsame Nachrichten.
Heinemann: Herr Stiegler, wissen Sie zufällig, was Ihr Parteichef plant?
Stiegler: Ich weiß nicht, was er im Letzten plant, aber ich fand ihn bisher immer solide und berechenbar. Aber er ist nicht der Liebling der Medien in Berlin. Darum ist er ein ständiges Objekt von Mobbing. Man tut wirklich gut daran, das Ganze berlinerisch zu nehmen und zu sagen, "nicht mal ignorieren". Es ist wirklich unglaublich, was sich da einige Medien erlauben. Es finden sich immer ein paar Deppen, die dann die Stichworte geben. Wir haben einen Fahrplan, und an den halten wir uns. Nun müssen wir halt eine Spekulationswelle nach der anderen über uns ergehen lassen, nach dem Motto "Pfeif der Hund drauf". Das ist wirklich etwas, wo sich die SPD nicht aus der Ruhe bringen lassen darf.
Heinemann: Mit wem hatte Kurt Beck die Ankündigung eines Steuerkonzeptes abgesprochen?
Stiegler: Er hat kein Steuerkonzept angekündigt, sondern er ist gefragt worden, nachdem wir gesagt haben, so, wie die CSU es macht, ist es nicht seriös, was macht ihr denn dann, und dann hat er eben gesagt, wir werden hier eine seriöse Alternative dazu bieten. Und man muss ja sehen: Dieses CSU-Programm ist ja eine Mischung von Kaufen von Getreide auf dem Halm. Das, was die CSU kurzfristig verspricht, das kommt von Rechtswegen. Das muss man einfach sehen. Da wollen die ein Abstaubertor schießen, denn das Existenzminimum wird neu berechnet, und es ist mit Sicherheit höher als das gegenwärtig berechnete, dementsprechend auch der Grundfreibetrag und die Kinderfreibeträge. Die Entlastung für die Krankenversicherung muss eingerechnet werden. Die allermeisten gehen auch davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht das tut, was ich selber auch hoffe und erwarte, nämlich die Kilometerpauschale beziehungsweise die Werbungskosten für die Fahrten zur Arbeitsstätte wieder anzuerkennen. Das sind Dinge, die kommen ohnehin, und da muss ich kein Steuerprogramm machen wie Erwin Huber und versuchen, sozusagen das, was von Rechtswegen kommt, mir auf mein Brot zu schmieren.
Heinemann: Gleichwohl hatte doch die Ankündigung von Kurt Beck viele in der Partei und auch in der Fraktion überrascht. Noch mal die Frage: Mit wem hatte er das abgesprochen?
Stiegler: Ich weiß nicht, mit wem Kurt Beck sich täglich abspricht. Er hat einen vorzüglichen Finanzminister, der ihn berät. Er ist in engem Kontakt mit Joachim Poß bei all diesen steuerlichen Fragen und auch mit Florian Pronold, mit dem finanzpolitischen Sprecher, mit dem Kollegen Ulrich Krüger. Also da gibt es eine ganze Menge Kontakte, und die SPD arbeitet in Wahrheit schon seit Monaten an dem Thema in Richtung steuerpolitische Aussagen für die Bundestagswahl. Wir haben ja nun das Grundproblem: einerseits den ausgeglichenen Haushalt, andererseits jedenfalls nicht mehr wachsende Einnahmen, sondern eher stagnierende Einnahmen und Wünsche, dass einem die Augen übergehen. Dass das auf einen Nenner gebracht werden muss, das ist ja nun seit Monaten bei uns in der Diskussion. Deshalb muss man sich nicht wundern, dass Kurt Beck sagt in Nürnberg, wo es ja um die, sagen wir mal, Zwischenbilanz nach dem Hamburger Parteitag geht und um eine gewisse Grundorientierung für die Basis geht, da wird dazu was gesagt werden. Aber die Beck-Mobber in den deutschen Medien, die wollen ihm daraus einen Strick drehen, und ich sage: Schande über jeden, der sich dazu missbrauchen lässt.
Heinemann: Thomas Oppermann, Sie sprachen gerade von Steuerkonzept, der Parlamentarische Geschäftsführer Ihrer Partei meint, niedrigere Sozialabgaben seien zur Entlastung breiterer Schichten besser geeignet als Steuersenkungen. Noch mal die Frage: Was planen Sie jetzt, ein Steuerkonzept, ein Abgabenkonzept oder beides oder gar nichts?
Stiegler: Es gehört beides zusammen, es gehört beides zusammen. Wenn Sie die Staatsquote für den Brüsseler Vertrag rechnen, haben sie eben die Sozialabgaben genauso dabei, und die sind ja, was die Belastung anbetrifft, für die Masse der Menschen eher höher. Die unteren Einkommen zahlen fast keine Steuern, aber prozentual die gleichen Abgaben wie die bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Das ist ein Gesamtüberblick, der da erarbeitet wird, und daran sind wir an vielen Baustellen seit Monaten tätig, eben die Strukturen zu sammeln, die Daten zu sammeln und zu sehen, wie geht man das am besten an auch vor dem Hintergrund einer sich eintrübenden Konjunktur?
Heinemann: Also wir können heute Morgen festhalten: Die SPD arbeitet an einem Steuer- und Abgabenkonzept?
Stiegler: Ja. Aber ist das eine Überraschung?
Heinemann: Für viele Ihrer Parteifreunde ja.
Stiegler: Gut. Dann kann ich nur die fragend anblicken, die von so etwas überrascht sind. Aber dass wir für die Bundestagswahl 2009 ein Konzept, ein Wahlprogramm vorlegen werden, seit Monaten sind die geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden, die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, gebeten worden, für ihre Geschäftsbereiche Vorschläge zu erarbeiten, die dann in den großen Topf kommen, wo man dann die Prioritäten neu sortieren muss. Das ist seit Monaten im Gange, und das ist für den, der da in der Fraktion mitarbeitet, keine wirkliche Überraschung. Es war aber möglicherweise dieses Mobbing-Missverständnis mancher Medien, die meinten, dass da etwas im Busch sei wie das, was Huber macht. Aber Huber ist eine Show-Nummer!
Heinemann: Die Überbringer der schlechten Nachricht sind schuld.
Stiegler: Die sind es schuld, weil sie mobben. Er ist in Berlin, sie sind weit weg.
Heinemann: Sie haben gerade eben von der Bundestagswahl 2009 gesprochen. Wann sollte die SPD den Namen des Kanzlerkandidaten bekannt geben?
Stiegler: Ich denke, Kurt Beck hat mitgeteilt, das wird irgendwann nächstes Jahr geschehen und Feierabend! Da können die spekulieren, was sie wollen; dann werden sie halt ein Divertimento betreiben und zur Unterhaltung der Nation beitragen, aber uns nicht hier etwa vor sich hertreiben, was sie gerne täten. Wir sind stark genug, um diese Schweinereien auszuhalten.
Heinemann: Divertimento sagen Sie. Themen mit Variationen kann man gerade bei den US-Demokraten beeindrucksvoll beobachten, wie sich zwei Parteifreunde aneinander abarbeiten. Der lachende Dritte ist sicherlich kein Demokrat. Droht der SPD vergleichbarer Schaden?
Stiegler: Da sind wir weit weg. Wenn Sie die amerikanische Wahlkampfsituation betrachten, dann haben Sie eine völlig andere Situation als bei uns. Hier haben wir einfach das Bemühen der Hauptstadtpresse und mancher Medien, den Kurt Beck zu mobben, und es ist eine geprobte Solidarität, hier zu ihm zu stehen.
Heinemann: Das haben Sie jetzt mehrfach gesagt. Warum ist Kurt Beck in Berlin so unbeliebt?
Stiegler: Weil er vielleicht hier nicht nach ihren Regeln tanzen will, und das finde ich gut an ihm, dass er einfach sagt, ihr könnt mir den Buckel runterrutschen. Das ist ja wohl eine gute Haltung. Man muss nicht hier all den Infotainment-Fritzen ihre Bedürfnisse befriedigen, sondern man muss verantwortlich eine Partei leiten. Kurt Beck ist in der Partei tief verankert, draußen hoch anerkannt, aber er wird halt hier vom ersten Tag an gemobbt. Irgendwann hört das auch auf. Das ist eine Frage, wann es den Leuten langweilig wird.
Heinemann: Wäre Frank-Walter Steinmeier ein besserer Infotainment-Fritze?
Stiegler: Ich lasse mich auf solche Diskussionen nicht ein, weil ich jeden zur Rede stelle, der an diesem Quatsch mitspielt und der der SPD nur schaden soll. Deswegen haben wir einen Fahrplan im Parteipräsidium, im Parteivorstand, wie so etwas vorbereitet wird, und dabei bleibt es auch.
Heinemann: Herr Stiegler, geht es noch um die Kanzlerkandidatur oder längst um die Frage "Rette sich, wer kann!" oder um das Prinzip "Rette sich, wer kann!"?
Stiegler: Das würden uns manche gerne aufschreiben.
Heinemann: Da war sie wieder, die Hauptstadtpresse!
Stiegler: Ich kann Ihnen nur sagen, die Lebenserfahrung zeigt mir, dass die SPD immer auch zwischen den Wahlterminen durch tiefe Täler gegangen ist, aber die Berge wieder erreicht hat. Deswegen bin ich da überhaupt nicht in Panik zu bringen, weil die Stimmungen mal so, mal so sind. Zurzeit sind wir eben wieder einmal Gegenstand einer Spekulationswelle. Das geht ja fast wie im Währungsbereich und bei irgendwelchen Firmen. Und da heißt es eben, Nerven zu behalten und es abzuwettern und abzutropfen. Ich persönlich halte es damit wirklich wie die Berliner: "nicht mal ignorieren". Ich lese vielleicht fünf Prozent der Schlagzeilen, die es darüber gibt, aber daher weiß ich: Das ist nur Quatsch. Das musst du dir gar nicht antun.
Heinemann: Sie ärgern sich auf hohem Niveau.
Stiegler: Ich ärgere mich auf hohem Niveau.
Heinemann: Eine letzte Frage zu einem anderen Thema noch. Innerhalb der SPD-Fraktion regt sich Widerstand gegen die geplante Diätenerhöhung. Die schleswig-holsteinische Landesgruppe will der Erhöhung im Bundestag nicht zustimmen. Befürworten Sie eine solche Erhöhung?
Stiegler: Ich habe für sie gestimmt. Die Schleswig-Holsteiner haben in der Fraktion ihre Besorgnisse angemeldet. Ich gehe von einer ganz einfachen Wahrheit aus: In dem Gesetz steht, die Abgeordneten sollen bezahlt werden wie Bürgermeister kleinerer Städte oder in Bayern Oberbürgermeister kleinerer kreisfreier Städte oder Bundesrichter. Das ist seit 20 Jahren sozusagen erklärtes Ziel im Gesetz. Davon waren zuletzt etwa 75 Prozent und letztes Jahr etwa zwischen 80 und 90 Prozent erreicht, je nach dem, wie man rechnet. Wenn man jetzt die Erhöhung von B6 nicht nachvollzogen hätte, wäre der Anteil daran wieder gesunken. Die Abgeordnetendiäten sind eine Funktion von X, und wenn X sich verändert, ändert sich auch das. Oder man muss die Formel ändern. Ich habe das in der Fraktion auch deutlich gesagt, entweder wir sagen, diese Bezugsgröße ist falsch. Wenn wir aber alle der Meinung sind, diese Bezugsgröße ist eigentlich richtig, dann muss es irgendwann mal so sein, dass diese Bezugsgröße erreicht wird. Mit dieser jetzigen Anpassung geschieht nichts anderes, als die Diäten auf dem prozentualen Standpunkt zu halten, den sie vorher auch hatten. Aber nachdem B6 entsprechend gestiegen ist, würde der prozentuale Anteil wieder nach rückwärts gehen, und wir wollten ja irgendwann 2010, 2011 B6 erreichen.
Das ist der Vorgang, und dass der keine Freude auslöst, das ist auch klar. Diätenerhöhungen sind nie in die Zeit passend. Da kann sein, was mag. Und da muss man halt stehen. Ich habe eigentlich in x Versammlungen, wenn ich frage haltet ihr es für angemessen, dass die Abgeordneten bezahlt werden wie der Landrat in Bayern oder wie ein Oberbürgermeister einer kleinen kreisfreien Stadt, dann hat niemand was dagegen. Nur die Leute haben keine Vorstellung, was das für Beträge sind, weil dort steht nur, darüber wird nicht geredet. Da steht abstrakt B6.
Heinemann: Vielen Dank! Ludwig Stiegler, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, kein Freund von Infotainment-Fritzen und ein kritischer Leser der Hauptstadtpresse. Das haben wir jetzt gelernt. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Stiegler: Auf Wiederhören.