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Luftangriffe auf Idlib
Hunderttausende Menschen in Syrien wieder auf der Flucht

In der syrischen Provinz Idlib fliehen die Menschen seit Wochen Richtung Norden vor den Bomben von Machthaber Baschar al-Assad und seinen Verbündeten. Doch die Grenze zur Türkei ist geschlossen und die Flüchtlingslager sind überfüllt. Eine humanitäre Katastrophe droht.

Von Isabel Gotovac |
Syrische Zivilisten fliehen vor Luftangriffen und Kämpfen in der Provinz Idlib.
Syrische Zivilisten fliehen vor Luftangriffen und Kämpfen in der Provinz Idlib. (dpa-Bildfunk / AP / Ghaith al-Sayed)
Auf den Straßen in der Region Idlib herrscht das Chaos. Kreuz und quer bahnen sich Autos, kleine Lastwagen ihren Weg - raus aus der Stadt. Es ist ein nur sehr langsames Vorankommen. Die Fahrzeuge voll bepackt, mit den wenig wichtigen Dingen, die den Menschen bleiben. Sie alle versuchen, dem Beschuss der syrischen Truppen zu entkommen, wie Imam Mohamad Abdallah:
"Granaten und Luftbombenangriffe, alle fünf Minuten explodieren Fassbomben und Granaten. Wir sind weggerannt, um uns davor zu verstecken. Wir flohen nur mit unseren Kleidern, mit unseren Pyjamas. Wir fanden kein Zuhause und niemanden, der uns half. Die Kinder weinten, als sie die Granaten gesehen haben. Wir sind in die Moschee, um uns zu verstecken. Maarat al-Numan wurde völlig zerstört. Warum bombardieren sie uns den ganzen Tag? Wir sind weggelaufen. Als wir ein Auto fanden, stiegen meine Frau, meine Kinder und ich ein."
"Möge Gott uns beistehen"
Der Imam ist einer von Tausenden, die sich vor den Bomben der Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad in Sicherheit bringen. Früher hatte die Stadt Maaret al-Numan einmal mehr als 90.000 Einwohner. Videoaufnahmen von Helfern der Weißhelme der syrischen Opposition zeigen die Zerstörung – zerbombte Häuser, aus einzelnen dringt Rauch, die Straßen voller Trümmer.
"Die Stadt wird bald leer sein", sagt der Leiter der Weißhelme dort. Nach den jüngsten Entwicklungen in der Region fliehen mehr und mehr Menschen – inzwischen zählt die Hilfsorganisation "Response Coordination Group" seit November rund 217.000 Geflüchtete. Mohammad Ghazal vom Entwicklungsministerium kennt die Zahlen.
"Die Zahl der Familien, die sich bei uns registrieren ließen, erreichte heute 8.000. Insgesamt wurden inzwischen rund 22.000 Menschen aus Maarat al-Numan und Umgebung vertrieben. Die Menschen, die bei uns registriert sind, haben wir auf drei Unterkünfte verteilt, eine ist in Sarmada, die zweite in der Stadt Idlib, die dritte in Harem", erklärt Ghazal inmitten eines provisorischen Camps im Norden der Region Idlib. In weiß-blauen Zelten auf einer einfachen Schotterpiste müssen hunderte Familien mit Kindern ausharren, es regnet, der Boden ist aufgeweicht. Ein Mann versucht mit einer Schaufel das Wasser vom Zelt fernzuhalten.
"Wir kamen von Kafr Roma wegen des Beschusses in dieses Lager. Wir können hier kaum überleben, weil alles voller Schlamm ist. Die Menschen leiden unter der Kälte. Möge Gott uns beistehen."
"Das Regime beschießt Zivilisten"
Die Kämpfe in Maarat al-Numan sind so schwer, dass die syrisch-amerikanische Ärztekammer inzwischen zwei große Krankenhäuser schließen musste. Davor hätten beide Krankenhäuser noch etwa 300.000 Zivilisten versorgt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte vor ein paar Tagen eine sofortige Waffenruhe gefordert - stattdessen, pausenlose Angriffe.
"Die Angriffe der Regimekräfte auf das Gebiet bei Idlib gehen weiter. Sie beschießen Straßen, um zu verhindern, dass die Zivilbevölkerung die Region verlässt. Das Regime beschießt Zivilisten, die aus der Region fliehen. Es gibt viele Tote und Verwundete."
Zuletzt in einer Schule, in der Flüchtlinge untergebracht waren. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte gab es bei dem Angriff russischer Kampfjets mindestens zehn Tote, darunter sechs Kinder. Die Menschen in der Region Idlib – sie finden keine Ruhe. Und dennoch gibt es sie: die, die trotz des Leids, die Hoffnung auf Frieden in Syrien nicht aufgeben.
"Wir in Maarat al-Numan werden trotz der Tyrannen und der Böswilligen standhaft bleiben. Trotz Russland und Iran und trotz Präsident Baschar al-Assad. Wir halten zu diesem Land, wir verlassen es nicht. Wenn man uns tötet, dann werden unsere Kinder dieses Land verteidigen. Und wenn auch sie sterben, dann werden unsere Frauen es verteidigen. Aber wir werden dieses Land niemals aufgeben."
Es ist der Appell eines Einzelnen. Bei den Truppen von Präsident Baschar al-Assad bleibt er ungehört.