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Luftfahrt-Experte: Chancen für die Datenauslese stehen gut

Sebastian Steinke, Redakteur des Fachmagazins "Flug-Revue", hofft, dass die Stimmaufzeichnung der Piloten aus dem geborgenen Rekorder geholt werden können, um den Hergang und die Unglücksursache des Airbus 330 zu rekonstruieren. Die Maschine war am 1. Juni 2009 von Rio de Janeiro nach Paris mit 228 Menschen im Südatlantik abgestürzt.

Sebastian Steinke im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Sebastian Steinke, Redakteur beim Fachmagazin "Flug-Revue". Guten Tag, Herr Steinke.

    Sebastian Steinke: Guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Steinke, zwei Jahre lang haben die Geräte, die jetzt in den letzten Tagen geborgen worden sind, in 3.900 Metern Tiefe im Meer gelegen. Sind die Hoffnungen, da tatsächlich noch Daten retten zu können, wirklich berechtigt?

    Steinke: Ja. Die Chancen stehen wohl sehr gut. Ich habe mich da aus Luftfahrtindustrie-Kreisen informiert, die allerdings nicht genannt werden wollen, aber wirklich an der Quelle, und die sagen, wenn die Chips, so wie man sie jetzt hat, vorliegen und diese Gehäuse davon, dann sind die Chancen sehr gut. Das Problem mit dem Wasser ist gar nicht so groß. Das größere Problem würde entstehen, wenn man die Datengehäuse jetzt aus dem Wasser rausnimmt und Luft daran kommt, so dass da irgendwas oxidieren kann. Deswegen werden die jetzt in so einer Art mobilem Aquarium transportiert. Das heißt, die liegen jetzt weiterhin im Wasser und eigentlich dürfte da nichts weiter passieren. Wie gesagt, die Chancen stehen wohl gut, dass man da wirklich Daten auslesen kann.

    Kapern: Können Sie uns ein wenig erklären, wie so ein Datenrekorder aufgebaut ist, dass er einen Sturz aus mehreren Tausend Metern Höhe überlebt und dann auch noch reichlich unbeschadet jahrelang in Meerestiefen herumliegen kann?

    Steinke: Ja. Das sind zwei Geräte, ungefähr jeweils so groß wie ein Schuhkarton. Die sind aus Metall, aus Stahl, die Behälter, und dann mit Isolierschichten einmal gegen Stöße und auch gegen Hitze innen geschützt. Die sind beide im Heck des Flugzeuges befestigt, und zwar hinter dem Druckschott. Das ist sozusagen die letzte Wand in der Passagierkabine. Ein sehr stabiles Teil, was diesen Druckunterschied aushalten muss und der sicherste Ort nach Meinung der Ingenieure und Statistiker in einem Flugzeug. Dort hinten sind die eingebaut und man hat schon mal von diesem Ort her eine relativ gute Chance, dass es beim Aufschlag nicht gleich zerstört wird.

    Dann sind die gegen extreme Hitze geschützt, gegen alle möglichen Stäube, gegen magnetische Strahlungen, Vibrationen, also gegen wirklich alle Umstände, die bei einem Absturz dazukommen können. Beide Teile haben jeweils einen Datenschreiber. Das sind heute Speicherchips, also wie Speicherchips, die man auch im Computer drin hat, keine traditionellen Festplatten mehr. Da dreht sich also nichts. Sie sind sehr, sehr robust. Und wie durch ein Wunder hat man diese Teile jetzt aufspüren können. Das ist wohl die eigentliche Sensation - das ist ja wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen -, dass man die auf dem Meeresgrund gefunden hat, nachdem man noch mal neu angesetzt hat und ein anderes Suchgebiet als ursprünglich abgegrast hat.

    Kapern: Selbst wenn diese Kisten nun tatsächlich einigermaßen heil in Frankreich ankommen, stellt sich ja die Frage: die Daten, die sie bergen, würden die reichen, um das Geheimnis zu lüften um den Absturz dieses Fluges? Was denken Sie?

    Steinke: Mal angenommen, man kriegt die Daten da ganz normal heraus - das ist ja ein modernes Flugzeug und ein besonders moderner Flugdatenschreiber, da sind bis zu 700 Parameter drauf, und jetzt hat man ja auch den Cockpit-Voice-Recorder mit den Stimmenaufzeichnungen aus dem Cockpit und auch mit den Geräuschen, die auch sehr viele Hinweise geben können, zum Beispiel Warntöne -, dann, denke ich mal, wird man den Verlauf des Absturzes sehr genau rekonstruieren können und dann auch früher oder später wissen, wie es dazu gekommen ist. Man kann zunächst mal den Ablauf herstellen und dann kann man natürlich feststellen, was passiert sein muss, in welcher Reihenfolge, und dann kommt man ziemlich schnell auf die Unglücksursache. Ich würde mal toi toi toi hoffen, dass es jetzt wirklich nur noch eine Frage der Zeit ist.

    Kapern: Was kann man anhand dieser Warntöne, die Sie gerade erwähnt haben, als Experte erkennen?

    Steinke: Es gibt natürlich Warnmeldungen, wenn bestimmte Systeme sich abschalten, also sagen wir mal der Autopilot geht aus, oder bestimmte andere Warnansagen. Es gibt auch Computerstimmen, die man im Cockpit hören kann.

    Kapern: Es sind also jeweils unterschiedliche Töne?

    Steinke: Es sind unterschiedliche Töne und dann hören sie natürlich, was die Piloten zueinander sagen. Die beginnen ja dann im Fall von Störungen eine ganze eingespielte drillmäßige Routine, bei der sie versuchen, den Fehler festzustellen und zu isolieren und auf ein Reserve-System umzuschalten. Das hat jetzt hier nicht geklappt, aber man sieht dann oder man hört dann an diesen Dialogen auch, was die Piloten wahrgenommen haben und was die Piloten gestört hat, oder was ihnen angezeigt wurde.

    Kapern: Nun ist es ja seit längerem bekannt, dass es möglicherweise Probleme mit diesen Geschwindigkeits-Messsonden gegeben hat, die da an diesem Flugzeug angebracht waren. Gibt es eigentlich noch Zweifel daran, dass die eigentlich die Hauptursache dieses Absturzes gewesen sein dürften?

    Steinke: Sie sind wohl eine Art von contributing factor, wie die sagen, also ein Einflussfaktor. Aber die eigentliche Ursache können sie nicht sein. Es gibt ja mehrere Geschwindigkeitssensoren und die sind beheizt, damit sie eigentlich gerade nicht vereisen können. Hier wurde wohl eine besondere Bauart von Sensoren benutzt. Das darf sich der Flugzeugbetreiber aussuchen, wessen Bauart er dort nimmt. Möglicherweise sind die vereist, aber das wird sich dann im Zuge dieser Entwicklung und Untersuchung auch erst herausstellen. Und die Vereisung könnte wiederum dazu geführt haben, dass die Computer des Flugzeuges völlig widersinnige Geschwindigkeitsmeldungen bekommen haben, was eigentlich jetzt auch nicht so einfach abläuft, wie ich das jetzt erzähle. Da gibt es noch bestimmte Sicherungen. Aber mal angenommen, das wäre so gekommen, hätte es sein können, dass der Computer derartig verwirrt war, dass da bestimmte Anzeigen ausgefallen sind und möglicherweise den Piloten bestimmte Schutzmechanismen auch nicht mehr zur Verfügung standen. Das ganze Kuddelmuddel, Durcheinander muss man jetzt aufklären, aber wie gesagt, die Chancen stehen ganz gut.

    Kapern: Herr Steinke, wir haben, das als Schlussfrage, eben in dem Beitrag gehört, dass die Angehörigen es lieber gehabt hätten, wenn diese Datenuntersuchungen in den USA gemacht worden wären, weil die den französischen Behörden nicht über den Weg trauen. Halten Sie das für möglich, dass da in Frankreich was unter den Teppich gekehrt wird?

    Steinke: Ehrlich gesagt nicht. Ich kann das verstehen, den Schmerz der Angehörigen, und man darf die ganzen Opfer nicht vergessen und das menschliche Leid, was daran hängt. Aber mal aus rein technokratischer Sicht: Die ganze Branche interessiert sich sehr für diesen Unfall und ich glaube auch nicht, dass die Franzosen da irgendwas vertuschen wollen. Der Hersteller dieser Flugdatenschreiber und des Stimmenrekorders ist Honeywell, eine amerikanische Firma. Die Amerikaner sind da sowieso auch mit involviert. Die Brasilianer sind auch mit drin. Sowohl bei Airbus, als auch bei den Untersuchungsbehörden in Frankreich habe ich ehrlich gesagt das Gefühl, dass die wirklich ehrlich das Ding aufgeklärt haben wollen.

    Kapern: Sebastian Steinke war das, Redakteur beim Fachmagazin "Flug-Revue". Danke für das Interview und auf Wiederhören!

    Steinke: Vielen Dank!