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Luftfahrtpionier vor 250 Jahren geboren
Erster Fallschirmakt der Welt - vor Zeugen

André-Jacques Garnerin absolvierte vor 250 Jahren in Paris den ersten von Zeugen bestätigten Fallschirmabsprung. Mit seinen publikumswirksamen Luftakten tourte er danach erfolgreich durch Europa und avancierte in Russland zum "Großen Aeronauten des Nordens".

Von Mathias Schulenburg | 31.01.2019
    André-Jacques Garnerin, in einer Zeichnung
    Luftfahrtpionier André-Jacques Garnerin (imago - Abecasis/Leemage ABH1610)
    Der alte Parc Monceau ist einer der schönsten Parks von Paris, im englischen Stil, mit architektonischen Miniaturen aus der Welt des 18. Jahrhunderts, mit Statuen bedeutender Künstler wie Chopin, und, natürlich, einem kleinen, bunten Karussell. Alles wie geschaffen als Schauplatz für den ersten Fallschirmakt der Welt.
    Frankreich im Ballonfieber
    Am Vorabend der Revolution befand sich Frankreich in einem Ballonfieber. Ballons stiegen zu jeder Gelegenheit auf, nach der Revolution wurde der Sonne und den Wolken sogar mit großem Pomp die neue Verfassung vorgelesen – vom Ballon aus, in 3,65 Kilometern Höhe. Doch am 22. Oktober 1797 sollte über dem Parc Monceau ein Wasserstoffballon mit einer ganz unpolitischen Mission schweben: An seiner Unterseite hing eine Art zusammengefalteter Gartenschirm mit der Spitze an einem Trageseil, das – durch das Rohr des Gartenschirms führend – mit dem Boden einer mülltonnengroßen Korbgondel verbunden war.
    In der Gondel: der Initiator, Passagier und Mit-Konstrukteur des Ganzen, André-Jacques Garnerin, geboren am 31. Januar 1769 in Paris. Was im Herbst 1797 im Park Monceau geschah, als sich der Ballon in die Luft erhob, schildert der Amerikaner Garret Soden in seinem Buch über die Kunst des Fallens, "Defying Gravity", so:
    "Garnerin winkte, als seine Konstruktion das dunkelgrüne Blätterdach des Parks durchstieß und, immer kleiner werdend, zum Himmel fuhr. Während sich Schatten über den Park legten, ließ die sinkende Sonne Ballon und Schirm orangefarben erglühen, und nach einem langen Aufstieg sah man in 600 Metern Höhe einen kleinen goldenen Mond am dunkelblauen Abendhimmel von Paris leuchten."
    Garnerin war ergriffen: "Als ich kurz davor war, die Leine zu zertrennen, die mich zwischen Himmel und Erde hielt, versuchte ich, mit meinen Augen diesen großen Raum zu erfassen, der mich vom Rest der Menschheit trennte."
    "Wohlkalkuliert so theatralisch wie möglich"
    Dann, plötzlich, zerlegte sich der Ballon und Garnerin begann zu fallen. Das Publikum hatte gerade noch Zeit für einen kollektiven Entsetzensschrei, als der Schirm aufklappte und Garnerin wild taumelnd zu Boden trug. Eine ihm gefolgte begeisterte Menge setzte den danach nur schwach an einem Fuß lädierten Luftfahrer auf ein Pferd und geleitete ihn jubelnd zurück zum Park.
    Der Publizist Wilfrid de Fonvielle merkte an: "Garnerin machte das Ganze wohlkalkuliert so theatralisch wie möglich, um eine handfeste Sensation zu produzieren. Er hatte einen Mechanismus eingebaut, der den Ballon aufschlitzte, sobald das Seil zum Tragekorb gekappt wurde."
    Wilbur Wright, Pionier des Motorfluges, bezeichnete das Unternehmen später als eine der mutigsten Taten der Luftfahrtgeschichte. Dabei waren Fallschirmsprünge schon vorher gemeldet worden, nur hatten die Beteiligten keine Zeugen.
    Im Juli 1798 lud Garnerin eine ansehnliche Bürgerin zu einem Ballonabenteuer ein: Mademoiselle Célestine Henry. Es gab Ärger, die Polizei schritt ein, wohl auch – wie Zeitungen vermuteten –, weil man das unverheiratete Paar im hohen Himmel nicht von unzüchtigen Handlungen hätte abhalten können. Nach zähen Verhandlungen lenkte die Polizei ein; der erste Abstieg mit der Dame jedoch stieß – zum Entzücken der Presse – auf ein gänzlich unerwartetes Hindernis:
    "Die erste Landung fand im Dorf Dugny statt. Eine Ordnungskraft verlangte, die Pässe der Gelandeten zu sehen. Als sie die nicht vorweisen konnten, wurden sie ins Gefängnis geworfen."
    Erfolgreich tourte Garnerin durch Europa
    Und nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit wieder freigelassen. Das Glück war André-Jacques Garnerin in der Folgezeit gewogen. Er tourte mit großem Erfolg durch Europa, bei seinen Luftakten meist assistiert von Bruder, Frau und Nichte. 1803 absolvierte er zu Ehren des Königs von Preußen einen Ballonaufstieg in Berlin. Von einer Reise nach Russland kehrte Garnerin reich mit Rubeln beladen zurück, mit dem Titel "Großer Aeronaut des Nordens". Er starb am 18. August 1823 in Paris, bei der Vorbereitung eines Ballonflugs von einem Holzbalken erschlagen.