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Luftverschmutzung
Smog über Sarajevo

Der Hals kratzt, die Augen brennen, dichter Nebel hängt über der Stadt: Alljährlich liegt Sarajevo im Winter unter einer giftigen Smogglocke. Die Luftverschmutzung in der Stadt ist weltweite eine der höchsten, die Bevölkerung oft krank. Die Politik könnte das ändern - doch es geschieht nichts.

Von Sabine Adler | 06.12.2018
    Blick auf Sarajevo, Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, aufgenommen am 14.11.2006.
    Ein Kessel voller schlechter Luft: Sarajevo liegt 511 Meter über dem Meeresspiegel, die Vororte reichen bis auf über 900 Meter - das Ganze von Bergen umgeben (picture alliance / Matthias Schrader)
    In der Altstadt von Sarajewo fährt kein Auto, trotzdem ist die Luft zum Schneiden, kann man von unten im Tal die nahen Berge ringsherum nicht erkennen. Es kratzt im Hals, die Augen brennen, dicker Nebel hängt in der Luft, viele Einwohner zücken ihr Handy und klicken die Smog App an. Links oben erscheint ein dunkelrotes Viereck, daneben eine Zahl: 469 Mikrogramm pro Kubikmeter, hundert gelten als hinnehmbar, Sarajewo ist derzeit fünfmal schmutziger als erlaubt. Entsprechend die Warnung: stark gesundheitsgefährdend. Solche hohen Feinstaub-, Schwefel- und Stickstoffdioxidwerte sind im Winter die Regel. Der Wissenschaftler Sead Turcalo leidet dann unter Dauerkopfschmerzen.
    "Das ist ein großes Thema. Es beginnt immer im Oktober, November und dauert bis Februar. Ich fühle mich wie in Peking."
    Leute heizen mit Kohle, Holz - oder Plastik
    "Wir haben hier laut World Health Organisation die zweithöchste Mortalitätsrate weltweit in Bezug auf die Luftverschmutzung, die Werte sind mitunter höher als in Peking. Und wir haben zusammen mit einem Partner eine App auf den Marktgebracht, damit man das Problem erstmal sichtbar macht."
    Blick auf eine Straße in Sarajevo im Herbst bei Regen - die Luft ist grau verhangen.
    Es beginnt im Oktober und dauert bis Februar - mit der Heizperiode kommt der Smog (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Sagt Marion Kraske von der Heinrich-Böll-Stiftung, die die Smog-App mit der bosnischen NGO Eco Akcija entwickelt hat. In Bosnien-Herzegowina wird wie zu Kriegszeiten einfach alles verfeuert. Vor den Wohnblocks werden in Drahtverschlägen große Vorräte von Brennholz gestapelt, dabei verfügen die Häuser über Gasheizungen. Doch die sind zu teuer.
    "Das große Problem ist, dass das nicht strategisch angegangen wird. Viele Leute heizen hier immer noch mit Kohle und mit Holz. Und das ist ein Riesenproblem, weil sie auch noch nasses Holz nehmen, Emissionen damit auch noch mal hochtreiben. Es gibt ein Riesenproblem in diesem Bereich: Energie-Armut. Die Leute wissen nicht, was sie zum Heizen nehmen sollen und schmeißen dann auch noch Plastik in die Öfen, damit sie irgendwas verfeuern können und der Staat guckt zu."
    Auf den Müllkippen rund um die Hauptstadt brennt ebenfalls Abfall, zwei Drittel der vielen Autos sind Diesel, oft vor 1991 gebaut. Anes Podic von der NGO "Eko Akzija" hat die Smog-App entwickelt, deren alarmierende Werte die Politik aber einfach nicht zur Kenntnis nimmt.
    "Sie scheren sich nicht um die Umwelt, Oppositions- wie Regierungspolitiker. Dabei müsste man nur die alten Öfen mit ihrer geringen Effizienz austauschen. Dann würden die Emissionen würden nur noch ein Zehntel betragen, die Luft wäre viel sauberer. Und die Menschen, die ohnehin sehr arm sind, müssten viel weniger Feuerholz kaufen. Die Öfen würden eine Million Euro kosten. Viel sinnvoller angelegtes Geld, als die Benzinsteuer zu erhöhen und für Milliarden Autobahnen zubauen, die leer sind, weil niemand die Mautgebühren zahlen kann."
    Das halbe Land ist im Winter krank
    Brüssel hat Bosnien-Herzegowina langfristig eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Der bosnische Umweltaktivist Podic bedauert, dass der Kandidatenstatus nicht an höhere Öko-Standards gebunden wird. Wegen des Smogs war 2013 halb Sarajewo krank, die Regierung tat: nichts. Selbst von den Ärzten kam kein Aufschrei.
    "Es würde wirklich helfen, wenn die Ärzte mitzögen, aber die meisten arbeiten in staatlichen Krankenhäusern und dürfen nichts sagen."
    Selbst im dicksten Smog gibt es keine Warnungen, nicht in Sarajewo, nicht anderswo, sagt die Chefin der Böll-Stiftung in Sarajewo.
    Die Politik reagiert nicht
    "Die Politik hat nicht reagiert, es gibt keinerlei Ansätze, dieses Problem zu lösen. In Tuzla gibt es steigende Kinderkarzinomrate. Tuzla und Zenica sehen aus wie am Anfang der industriellen Revolution. Man ist wirklich geschockt. Es gibt kaum Filter. In Bosnien wird das einfach nicht angegangen. Das heißt, wir haben keinen öffentlichen Nahverkehr, in Sarajewo gibt es eine einzige Straßenbahn, die fährt nach Ilidza raus, die gab es in den 70er Jahren auch."
    Hielt sich früher die Smogglocke vielleicht eine Woche pro Winter, hängt sie jetzt meist monatelang im Kessel von Sarajewo. Dabei produziert Bosnien rund 40 Prozent seiner Energie sauber, nämlich in Wasserkraftwerken, doch dieser Strom wird exportiert beziehungsweise in der veralteten Industrie verbraucht.