Montag, 29. April 2024

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Luksic: Personalpolitik der Bahn war nicht nachhaltig

Statt riesige Gewinne aus dem Netzbereich herauszuziehen, müsse die Bahn sich auf diese Kernaufgabe konzentrieren, sagt Luksic. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP betont, dass das Mainzer Chaos eine Spätfolge des früheren Sparkurses unter Vorstand Hartmut Mehdorn sei.

Oliver Luksic im Gespräch mit Mario Dobovisek | 10.08.2013
    Mario Dobovisek: Hier bei uns im Deutschlandfunk in unserer aktuellen Redaktion haben wir natürlich einen Dienstplan. Den bei unseren täglich wechselnden Schichtdiensten zusammenzustellen, gleicht einem Sudokuspiel einer höheren Schwierigkeitsstufe, so sagt es jedenfalls immer unser Dienstplaner. Da gibt es Faktoren wie Urlaub, Krankheit, freie Tage, Teilzeitmitarbeiter, Dienstplanwünsche und natürlich die Arbeitszeitverordnung. Wenn er einen Fehler macht, gibt es keine Sendung – undenkbar also. Immer muss es eine Reserve geben, einen Puffer, einen Ersatz. Auch wenn es manchmal holpert. Das ist überall dort der Fall, wo ein durchgehender Service gewährleistet werden muss, auch bei der Bahn. Eigentlich. Denn in Mainz halten weiter viele Züge nicht, weil Personal im Stellwerk fehlt, und das könnte bis in den September hinein so weitergehen. Dirk Roderich:

    Dirk Roderich: Die Liste der Pleiten und Pannen bei der Bahn ist um einen Höhepunkt reicher. Dabei übertreffen die dauerhaften Zugausfälle im Mainzer Hauptbahnhof so einiges, was sich die Deutsche Bahn bisher geleistet hat. Auch das Bundesverkehrsministerium zeigt sich wenig amüsiert und macht Druck auf den Bahnvorstand. Das Ministerium hat den Bahnvorstand aufgefordert, sicherzustellen, dass künftig auch in Urlaubszeiten Personalreserven vorhanden sind und Mitarbeiter als Springer auszubilden, damit diese an verschiedenen Bahnhöfen eingesetzt werden können. Gewerkschaften und Verkehrspolitiker betrachten die Probleme als hausgemacht. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Hofreiter, von den Grünen kritisierte, die Bahn betreibe keine vorausschauende Personalpolitik. Auch für die Bahngewerkschaften war der Personalmangel absehbar. Der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft Kirchner sagte, die Vorgänge in Mainz seien kein Einzelfall. Bundesnetzagentur und Eisenbahn-Bundesamt haben wegen der Zugausfälle jeweils Verfahren gegen die Bahn eingeleitet. Ein Sprecher des Eisenbahn-Bundesamtes sagte, es gehe um den Verdacht, dass die Bahn gegen ihre Betriebspflicht verstoßen habe.

    Dobovisek: Dirk Roderich berichtete, und am Telefon begrüße ich Oliver Luksic, den verkehrspolitischen Sprecher der FDP im Bundestag. Guten Tag, Herr Luksic!

    Oliver Luksic: Schönen guten Tag!

    Dobovisek: Warum schafft es die Bahn nicht, ihr Personal so zu planen, dass die Züge fahren können?

    Luksic: Ich glaube, die Bahn leidet jetzt an dem Sparkurs, an den Spätfolgen des Sparkurses unter Herrn Mehdorn. Es wurde zu viel Personal im Netz abgebaut, und es ist in der Tat ein Unding, dass in einer Ferienzeit nur wenige Ausfälle dazukommen, dass dann ein regionaler Knotenpunkt wie Mainz lahmgelegt wird. Das droht wahrscheinlich auch an anderen Stellen. Es wurde hier auf Kante genäht, es gibt keine Puffer, und deswegen hat die Bahn angefangen umzusteuern, aber das dauert eben ein gutes Stück.

    Dobovisek: Spart die Bahn am falschen Ende, um dann auch den Renditewunsch des Bundes zu erfüllen, dem Eigentümer der Bahn?

    Luksic: Also auf jeden Fall wurde hier in der Vergangenheit am falschen Ende gespart. Jetzt investiert ja die Bahn so viel wie noch nie zuvor. Die Eigenmittel steigen ja, und es werden ja eine Reihe an Stellen ausgeschrieben, die auch zum Teil gar nicht besetzt werden konnten jetzt. Aber solche Umstellungen dauern relativ lange, das sind hier im Kern Fehler aus der Vergangenheit, vor allem aus der Zeit von Herrn Mehdorn, die jetzt letzten Endes bezahlt werden müssen. Wir haben an vielen Stellen im Netz eben keine Puffer, es wurde vieles auf Kante genäht, es gibt keine Reserven, und darunter leidet jetzt letzten Endes die Situation in Mainz, weil es eben auch nicht so einfach ist, jemand anderen dorthin zu bringen, weil Orts- und Streckenkenntnisse notwendig sind bei den Stellwerken.

    Dobovisek: Nach wie vor gibt es diese Probleme bei der Bahn, nach wie vor verlangt der Bund aber auch, seine Rendite weiter zu erhalten. Ist der Druck auf die Bahn damit zu groß, ähnlich wie es damals auch bei der Berliner S-Bahn der Fall war?

    Luksic: Nein, die Bahn macht ja über knapp zwei Milliarden Gewinne, und sie macht sie auch aus zahlreichen anderen Bereichen. Also das Problem liegt dort nicht, das Problem ist, dass die Bahn aus dem Netz riesige Gewinne rauszieht und in andere Bereiche leitet. Die Bahn ist ja auch ein großes Logistikunternehmen, sie ist einer der größten Busbetreiber und auch Speditionsunternehmen sozusagen, und deswegen meinen wir, dass die Bahn sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren muss. Es zeigt aber auch, dass die Politik und hier auch vor allem die Regulierungsbehörden – Netzagentur, EBA – hier stärker hinschauen müssen. Deswegen haben wir auch ein Eisenbahnregulierungsgesetz auf den Weg gebracht, damit wir gerade diese Institutionen stärken, das ist allerdings leider auch im Bundesrat gescheitert.

    Dobovisek: Mit EBA meinen Sie das Eisenbahn-Bundesamt, das aktuelle Chaos im Schienenverkehr in der Region Mainz sei vorhersehbar gewesen und kein Einzelfall, sagt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Wer hätte es denn vorhersehen müssen?

    Luksic: Ich muss in der Tat in dem Punkt der EVG ein Stück weit recht geben. Also es gab ja auch in der Politik in de letzten Jahren …

    Dobovisek: …das klingt ja so, als fiele Ihnen das schwer.

    Luksic: Ja, die FDP ist nicht immer spontan einer Meinung mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, aber in diesem Punkt ist es leider nicht ganz falsch, dass in der Vergangenheit oft drauf hingewiesen wurde, dass die Personalpolitik der Bahn eben nicht nachhaltig war.
    Jetzt haben wir eben viel Personal, der demografische Wandel spielt sich eben auch bei der Bahn ab, und jetzt gibt es hier eben einen Mangel. Die Bahn hat jetzt angefangen, schon vor ein, zwei Jahren hier gegenzusteuern, hat ja auch angekündigt, dies weiter fortzusetzen, aber das geht eben leider nicht so schnell. Es ist eben auch mit Reserven in dem Punkt nicht so einfach, weil wie gesagt, bei diesen komplizierten Tätigkeiten brauchen sie Orts- und Streckenkenntnisse. Also insofern muss hier in der Tat umgesteuert werden. Damit wurde angefangen…

    Dobovisek: …aber noch mal, Herr Luksic, die Frage: Wer hätte es vorhersehen müssen?

    Luksic: Die Bahn natürlich selbst. Auch innerhalb der Bahn wurde dieser Sparkurs bei der DB Netz ja immer sehr kritisch gesehen, und die DB Netz ist ja der große Gewinnbringer der Bahn. Es gibt eine Reihe an Subventionen – nicht nur vom Bund, sondern auch von den Bundesländern – für die Trassenpreise, und da wurde in der Tat zu wenig Personal in den letzten zehn Jahren eingestellt. Und das war eben nicht sehr nachhaltig. Und jedes Unternehmen muss ja dafür sorgen, dass das Kerngeschäft funktioniert, deswegen wurden dort betriebswirtschaftlich falsche Entscheidungen getroffen, von denen wir heute die Spätschäden erkennen.

    Dobovisek: Eigentümer der Bahn ist der Bund, ich sagte es bereits, vertreten durch die Bundesregierung, durch Ihre Koalition, Herr Luksic. Wer hat da nicht aufgepasst?

    Luksic: Meines Erachtens wurden die Fehler, wie gesagt, in der Vergangenheit gemacht, und es wurde in den letzten Jahren umgestellt. Wir haben bei der Bahn jetzt im Moment über 1000 offene Stellen und weniger Bewerber als Stellen. Also der Kurs auch unter Herrn Grube hat sich ja geändert, auch auf Druck des Bundes. Es wird so viel investiert wie noch nie, aber es stimmt, der Bund muss hier seiner Verantwortung als Eigentümer nachkommen…

    Dobovisek: …wie?

    Luksic:...und macht deswegen auch zu Recht Druck auf die Bahn, um eben die Personalpolitik im Bereich des Netzes zu ändern. Nur das wird eben leider etwas dauern. Man kann in zwei Jahren nicht alle Fehler, die in den letzten zehn Jahren gemacht wurden, sehr schnell ausmerzen.

    Dobovisek: Der Vorstand Produktion der Deutsche-Bahn-Tochter DB Netz AG werde von seinen Aufgaben entbunden, berichtet die "Stuttgarter Zeitung", die Bahn selbst will sich dazu heute nicht äußern. Müssen personelle Konsequenzen gezogen werden?

    Luksic: Ich glaube, die Bahn hat sich ja in vielen Bereichen schon neu aufgestellt, DB-Netz-Personalvorstand, und hat ja wie gesagt auch die Politik, was das Thema Personal angeht, ein Stück weit geändert. Und es ist in der Tat leider wieder ein Imageschaden für die Bahn entstanden.
    Zur Verteidigung der Bahn muss allerdings gesagt werden, dass a) die Politik sich geändert hat und b)trotz aller Reformen, die auf den Weg gebracht werden, jedes Jahr mehr Menschen mit der Bahn transportiert werden. Also es gibt auch eine Reihe an Erfolgsgeschichten, die allerdings leider durch solche Ausfälle – sei es im Bereich der Technik oder hier durch einen Mangel an Personal – immer wieder überlagert werden.

    Dobovisek: Bahnchaos in Mainz und das vielleicht auch noch in den nächsten Wochen. Oliver Luksic, der verkehrspolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Interview!

    Luksic: Herzlichen Dank, auf Wiederhören!


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