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Lungenärzte machen Medienkarriere
"Eine kleine Minderheit mit fragwürdigen Zahlen"

107 Lungenärzte haben sich gegen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide in Städten gestellt. Doch nun zeigt sich: Die Zahlen, mit denen sie arbeiten, stimmen offenbar nicht. Für taz-Redakteur Malte Kreutzfeldt, der das recherchiert hat, ein Beispiel für falsche Medienaufmerksamkeit.

Von Michael Borgers | 14.02.2019
    Das Titelbild der taz vom 14.02.2019.
    Die taz hat recherchiert: 107 Lungenärzte können nicht rechnen (Deutschlandfunk/Michael Borgers)
    Seit Monaten streiten Politiker und Experten über die Folgen hoher Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Werte in deutschen Großstädten. Im Januar ging eine Gruppe von 107 Lungenärzte in der "Bild"-Zeitung an die Öffentlichkeit. Die Mediziner bezweifeln größere Gefahren für die Gesundheit durch Feinstaub- und Stickstoffdioxid. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lobte die Initiative dafür, "Sachlichkeit und Fakten in die Diesel-Debatte" zu bringen. Gesicht der Ärzte-Gruppe war der Lungenarzt Dieter Köhler, der seine Thesen in zahlreichen Interviews verbreiten konnte.
    "Während alle Medien breit über sein Papier berichteten und Köhlner von einer Talkshow zur nächsten wanderte, sorgten seine Äußerungen in der Fachwelt nur für Kopfschütteln", heißt es nun in der Berliner "tageszeitung" (taz) vom 14. Februar, gut drei Wochen nach der ersten Berichterstattung in "Bild". Der Autor, Wirtschaftsredakteur Malte Kreutzfeldt, weist in seinem Artikel nach, dass Köhler mit den von ihm ermittelten Werte an zentralen Stellen daneben liegt.
    Zu viel Raum für eine Einzelmeinung
    Mit Blick auf die Wellen, die Köhlers Thesen in den Medien erzeugt hatten, sagte Kreutzfeldt im Deutschlandfunk:
    "Medien haben ja immer eine Tendenz, wenn jemand mit einer neuen, ungewöhnlichen These daherkommt, dem erstmal viel Aufmerksamkeit zu schenken. Das kann aber bei so wissenschaftlichen Diskussionen oft zu sehr verzerrenden Effekten führen. Dass eine Einzelmeinung viel mehr Raum bekommt und dadurch der Eindruck von einem echten Expertenstreit entsteht. Auch wenn da in Wirklichkeit nur eine kleine Minderheit mit fragwürdiger Qualifikation und, wie sich jetzt zeigt, zusätzlich noch mit fragwürdigen Zahlen in die Öffentlichkeit drängt.
    Das Thema verdient Aufmerksamkeit. Aber ich denke, unsere Aufgabe als Journalisten muss es sein – und vielleicht noch mehr, als es tatsächlich ist – Aussagen auf Plausibilität einerseits zu überprüfen. Und andererseits auch zu überprüfen, gerade wenn es um wissenschaftliche Fragen geht, ob diese Person wissenschaftlich zu dem Thema arbeitet.
    Denn das Peer-Review-Verfahren, wo sich Wissenschaftler auch der Kritik von anderen Wissenschaftlern stellen, ist es ja, was einer wissenschaftlichen Aussage dann einen gewissen Wert und Glaubwürdigkeit verleiht."