Donnerstag, 28. März 2024

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Luxus
Die Philosophie entdeckt ein teures Phänomen

Bisher galt in der Wirtschafts-, Kultur- und Sozialforschung: Luxus ist entweder die Krone des Kapitalismus oder perverser Ausdruck ungerechter Lebensverhältnisse. Jetzt hat sich auch die Philosophie mit dem Phänomen befasst und dem Begriff Luxus eine grundlegend neue Sichtweise hinzugefügt.

Von Doris Arp | 09.08.2018
    Eine Halskette mit Diamanten in Blumenform.
    Für die einen ist teurer Schmuck Luxus, für andere freie Zeit ohne Smartphone und Co (AFP / Franck Fife)
    "Ich liebe Dinge, die Qualität haben. Ach und ich liebe Edelsteine und halte dann auch meine Hände mit den Ringen gerne ins Sonnenlicht und dann freue ich mich, wie das funkelt und blitzt./ Aber ich liebe die Dinge nicht, weil sie teuer sind, sondern weil sie schön sind."
    "Das ist sicherlich eine Funktion von Luxus, die sich vielleicht eher nach innen richtet und nicht an die Gesellschaft, sich mit materiellen Gütern vielleicht sogar die Natur einzufangen und das Glänzen der Sonne und auch des Lebens, des Glücklichseins einzufangen. Das kann durchaus Luxus sein in einem kulturwissenschaftlichen Sinne."
    Die ältere Dame liebt was edel ist und glänzt. Nicht um ihr Geld zu zeigen, sagt sie, sondern um die Schönheit zu genießen. Auch Thomas Hensel, Professor für Kunst- und Designtheorie ist fasziniert vom Luxus, allerdings weniger von den teuren Dingen als vom Phänomen selbst. Der Professor für Kunst- und Designtheorie an der Hochschule Pforzheim hat seine Studenten ein Semester lang zum Luxus forschen lassen und das Projekt mit einer Fachtagung beendet.

    "Das Faszinierende am Luxusbegriff oder Phänomen des Luxus ist, dass dieses nicht einhellig ist, dass ich das nicht auf einen Nenner bringen kann. Es gibt gegenwärtig sowohl einen Luxus, der sich in 'mehr ist mehr' ausdrückt, wie in einem Luxus, der sich in einem 'weniger ist mehr' ausdrückt. Das 'mehr ist mehr' drückt sich in einem Bling-bling-Luxus, einem Oligarchen-Luxus aus. Denken Sie an das Penthouse von Donald Trump im gleichnamigen Tower, das über und über mit Blattgold überzogen ist."
    Einen anderen Blick auf das Thema wagt der Philosoph Lambert Wiesing von der Universität Jena:
    "Von Luxus scheint mir sinnvoll die Rede zu sein, wenn wir es nicht an einen symbolischen Akt nach außen binden, also an eine Darstellung binden, sondern an eine bestimmte Erfahrung im Akt des Besitzens."
    Das könnte die stille Freude am Glanz eines Schmuckstücks sein oder sich Zeit zu nehmen für Schweige-Exerzitien in einem Kloster, einfach mal offline zu gehen oder den teuren Luxus nur für sich selbst zu fühlen, wie die französische Modedesignerin Coco Chanel es definierte:
    "Luxus ist nicht das Gegenteil von Armut, sondern von Vulgarität. Luxus heißt ein Stoffmantel mit Seidenfutter oder mit Pelz, aber innen. Man wirft den Mantel auf einen Stuhl, und das Futter kommt zum Vorschein. Sonst nicht. Die Dame allein weiß, dass sie Seide oder Pelz trägt. Sie hat es nicht nötig, darauf hinzuweisen. Das ist Luxus."
    Blick in den Salon des Appartments von Coco Chanel in der Pariser Rue Cambon
    Der Name Coco Chanel steht für puren Luxus und teure Mode (picture-alliance/ dpa)
    Arbeiten am Luxus-Begriff
    "Je feiner wir unterscheiden, umso genauer können wir beschreiben."

    Sagt Lambert Wiesing. Und so hat er getan, was Philosophen tun: Sie arbeiten am Begriff.

    "Ich glaube genaue Beschreibung schützt vor zu großer Reduktion. Wir haben ja die Möglichkeit zwischen Protz und Luxus zu unterscheiden. Protz ist ein Wort, das man vollkommen synonym mit Prestige verwenden kann.
    Glamouröse Frau mit Sonnenbrille in einem Sportwagen 
    Schon seit Anbeginn der Menschheit fasziniert uns Luxus (imago stock & people)
    Protz und Prestige sind nach außen gerichtet und brauchen Zuschauer. Jemand zeigt, was er hat. Das hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu 1979 in seiner Studie "Die feinen Unterschiede" als Prinzip der sozialen Distinktion beschrieben. Es ist vor allem die materielle Seite, die dem Luxus stets anhängt und ihn ansiedelt zwischen Abscheu und Faszination. Bis heute trifft der schottische Philosoph, Historiker und Ökonom David Hume mit seinem 1752 veröffentlichten Essay "Über Luxus" einen Kern, der inzwischen natürlich Frauen mit einschließt:
    Männer mit freiheitlichen Prinzipien loben sogar lasterhaften Luxus und bezeichnen ihn als sehr vorteilhaft für die Gesellschaft, während andererseits Männer von strenger Moral sogar den harmlosesten Luxus verurteilen und ihn als Quelle aller Verdorbenheit, Unruhen und Faktionen bezeichnen.
    "Schon die antiken Philosophen wetterten gegen Luxuskonsum, denken Sie an Diogenes, der in seinem Fass lebt, der auf seinem zusammengefalteten Mantel schlief und der seine Mahlzeiten ohne Besteck zu sich nahm und der tatsächlich zum Lebensprogramm nur das Leben von Notwendigkeiten machte und jeden Überschuss, jeden Luxus verabscheute." Erklärt Thomas Hensel.
    Luxuskritik als Zivilisationskritik
    Wenn sich Philosophen, Soziologen, Theologen oder Wirtschaftswissenschaftler überhaupt mit dem Phänomen befassen, dann sind es bis heute vor allem soziale und moralische Gründe, die sie problematisieren. Luxus wird gewissermaßen zu einer Diskussion um richtige oder falsche Lebensweisen. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau verteufelte in seinem Erziehungsroman "Emile" jeden Luxus und plädierte für natürliche Einfachheit.
    "Das geht bis hin zu Wirtschaftstheoretikern und Soziologen wie Max Weber im 20. Jahrhundert, die eine protestantisch geprägte Arbeitsethik, eine innerweltliche Askese auf ihre Fahnen schrieben und Selbige als Motor unserer Gesellschaft erachteten. Also Zivilisationskritik war oftmals Luxuskritik oder umgekehrt Luxuskritik ist oft Zivilisationskritik."

    Den Design- und Kunsttheoretiker interessieren die Dinge und weniger die Moral. Kunst war schon immer mit Luxus liiert, weil sie stets etwas anderes ist, als das rein Notwendige im Leben. Thomas Hensel bevorzugt deshalb die schlichte Luxusdefinition des Soziologen und Volkswirtes Werner Sombart:
    "Sombart hat Anfang des 20. Jahrhunderts Luxus sehr einschlägig und knapp als jeden Aufwand definiert, der über das Notwendige hinausgeht."
    Doch was ist notwendig und welcher Aufwand ist überflüssig, zu viel, eben reiner Luxus?
    "Nehmen wir das Beispiel fließendes Wasser. In Entwicklungsländern mag fließendes Wasser in der eigenen Behausung als Luxus erachtet werden, aber in Industrieländern wird der eigene Wasseranschluss als notwendig erachtet und das private Freibad vielleicht als ein Luxusgut."
    "Ja, mein Smaragdarmband. Die Steine sind ziemlich angeschlagen. Manchmal runzelt mein Mann die Stirn. Dann sage ich, du, du hast es mir geschenkt, damit ich mich dran freue und nicht damit ich den Krempel in den Safe tue."
    Ist Luxus also vollständig Ansichtssache, entsteht nur im Auge des Betrachters oder in der materiellen Sehnsucht der Neider? Unterliegt er einem steten Wandel je nach Individuum, Kultur und ökonomischem System? Ja, sagt der Philosoph, aber es steckt noch etwas anderes im Luxus:
    "Die Luxuserfahrung wird an einem Gegenstand gemacht, der die Zweckmäßigkeit erfüllt wie die Uhr, der Teppich, das Haus der Garten, die Bibliothek oder was auch immer. All diese Dinge erfüllen einen Zweck. Aber es gibt sie in einer Variante, die so aufwendig ist, dass man nicht mehr von zweckmäßig sprechen kann."
    Eine Frau entspannt sich bei Yoga-Übungen im Licht der untergehenden Sonne an einem Strand in Kalifornien.
    Für manche Menschen ist Einssein mit der Natur purer Luxus (picture alliance / dpa / Chad Ehlers)
    Auszeichnung für Luxus-Forschung
    Und dieses Tüpfelchen zu viel – ist ein spezieller Luxus, meint Lambert Wiesing, der sich angeschaut hat, welche Phänomene mit dem Begriff Luxus verbunden sind. Für diese Arbeit ist er kürzlich mit dem diesjährigen Thüringer Forschungspreis ausgezeichnet worden, und zwar in der Kategorie Grundlagenforschung, was für die Philosophie durchaus selten ist. Er verfolgt eine phänomenologische Begriffsbestimmung, hergeleitet aus den Kontexten in denen man sinnvoll von Luxus sprechen kann.
    "Man kann sich sehr schnell einigen, dass die Gegenstände, die wir als Luxus bezeichnen nicht durch naturwissenschaftliche Methoden also durch einen Physiker, Chemiker oder sonst wie bestimmt werden können. Sie können halt nicht eine Uhr zu einem Uhrmacher bringen und ihn fragen, ist die Uhr Luxus? Also man kann es nicht messen, wiegen oder sonst irgendwie technisch oder materiell feststellen. Das ist eine Eigenschaft, die Philosophen immer interessiert."

    Das Gleiche gilt für Schönheit, Kunst, Wahrheit und Gerechtigkeit – alles unbestimmte Begriffe, die ganze Bibliotheken philosophischer Diskurse füllen. Luxus allerdings hat die Philosophie bislang kaum berührt.
    "Dass es diese Jacke jetzt nur 10 Mal auf der Welt gibt, das ist mir eigentlich egal. Es geht eigentlich darum, dass es ein besseres Stück ist, in dem ich mich dann eben auch besser fühle."
    Zwei Blondinen betrachten die Auslagen eines Schmuckgeschäfts im Shopping-Center Boulevard Berlin. 
    Zwei Frauen betrachten die Auslage eines Juweliers - hier kann bald Gold mit Fairtrade-Siegel ausliegen. (picture alliance / dpa / M. C. Hurek)
    Schiller und seine Sicht auf Luxus
    Die junge Künstlerin leistet sich exquisite Kleidungsstücke, obwohl sie jeden Cent zweimal umdrehen muss. Genau solche Luxuserfahrungen interessieren den Philosophen. Protz und Luxus haben Schnittstellen, so Wiesing, aber sie sind eben nicht identisch. Luxus ist nach seiner Definition eine höchst individuelle Erfahrung, erlebt an vollkommen überflüssigen Gegenständen. Ihr Besitz muss nicht, aber kann ein Gefühl von Freiheit vermitteln. In seiner Argumentation folgt er dabei Friedrich Schiller, der in seinen Briefen "Über die Ästhetische Erziehung des Menschen" das Spielen als einen Moment der Freiheit begreift, in dem der Mensch die Erfahrung machen kann, was es überhaupt heißt Mensch zu sein.
    "Schiller scheint mir insofern ein wegweisender Philosoph zu sein, obwohl er selbst kaum über Luxus spricht, aber Schiller hat etwas entdeckt, dass der Mensch sich als Mensch dadurch auszeichnet, dass er zu sich selbst, zu seinen Zwängen, zu seinen Vorgaben Stellung nehmen kann."
    Schiller sieht den Menschen abhängig von zwei Zwängen: Das eine sind seine natürlichen Triebe, seine physische Konstitution. Gibt er sich diesem Zwang hin, ist der Mensch nur von Lust bestimmt. Der andere Zwang sei die Vernunft, die den Menschen zum Barbaren mache.
    "Der Begriff ist vielleicht ein bisschen ungünstig, gemeint sind sogenannte Rigoristen, die immer ganz genau wissen, was der Mensch braucht, was notwendig ist, was vernünftig ist, was man machen muss, was korrekt ist. Er sieht in ihnen auch ein Verfallsmoment, eine Einseitigkeit des Menschen."
    Schiller setzt den Zwängen das Spiel entgegen. Wie man in diesen besonderen Zustand des Spielens kommt, hat er allerdings offengelassen. Wichtig sei aber vor allem, so Lambert Wiesing, die grundlegende Behauptung es gäbe einen Zustand, in dem der Mensch die Erfahrung seines Menschseins macht. Schiller spricht von einem "Fruchtbaren Moment", der nur im Spiel auftaucht. Lambert Wiesing sieht auch andere Orte für diese existenzielle Erfahrung: in der Kunst, im Sport und eben im Luxus.
    "Erfahrungen, in denen der Mensch spürt, was es heißt ein Mensch zu sein. Also zu einem Gefühl, dass man als Mensch ein lebendes Wesen ist."
    Luxus ist dann nicht nur das zu tun, was entweder die Natur oder die Vernunft von uns verlangen. Sondern im Gegenteil - etwas vollkommen Unsinniges tun.
    Luxus ist der Dadaismus des Besitzens.
    Überschreibt Lambert Wiesing ein zentrales Kapitel seiner Arbeit über Luxus.
    "Der Dadaismus ist eine Kunstströmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zeichnet sich dadurch aus, dass sie programmatisch mit den bürgerlichen Vorstellungen von Kunst bricht und dass sie bewusst eine Unvernünftigkeit proklamiert. Kurt Schwitters hat es mal auf diese wunderbare Formel gebracht: Es liegt ein Sinn im Unsinn. Der Dadaismus ist immer eine Verweigerungshaltung. Luxus entsteht dann, wenn man bewusst etwas mit seinem Besitz macht, von dem er weiß, dass es nicht vernünftig ist."
    Luxus als Ort des Widerstandes
    Das kann der Oldtimer-Narr sein, der Autos besitzt die er mehr repariert als fährt. Doch die eine Spritztour im Jahr vermittelt ihm das Hochgefühl von Freiheit. Oder der Obdachlose, der sein gesammeltes Geld nicht in den Schlafplatz für die nächste Nacht steckt, sondern sich im besten Café am Platz ein Stück Sahnetorte leistet. Luxus als Trotz.
    "Eine Verweigerungsgeste, dass man als Mensch nicht ganz in einen Funktionalismus und einem Zweckmäßigkeitsdenken aufgehen möchte."
    Luxus als Ort des Widerstands zu denken, liegt quer zu unserem Alltagsverständnis. Gemeinhin wird er als Krone des Konsums verstanden. Und Konsum folgt dem Diktat des Wirtschaftens. Von Freiheit also keine Spur, meint die Kunstwissenschaftlerin Änne Söll.
    "Dass Luxus die Bastion der Autonomie darstellen soll, das würde ich stark bezweifeln, weil das meiner Meinung nach sehr viel stärker an dem Konsumverhalten dranhängt, das schon extrem stark durch soziale Stratifizierung gesteuert ist. Und was wir als Genuss wahrnehmen, ist auch dadurch gesteuert.
    Ich würde stark bezweifeln, dass Luxus ohne Protz funktioniert. Ich glaube Luxus ist immer daran gebunden, dass das andere Menschen wahrnehmen, und zwar essenziell. Ohne Repräsentation, ohne soziale Distinktion gibt es Luxus nicht per Definition."
    Die Professorin an der Ruhr Universität Bochum befasst sich mit dem Phänomen von Glanz als Ausdruck luxuriöser Materialien. Freiheit und Autonomie sieht sie nicht in der Kunst und schon gar nicht im Luxus.
    "In Bezug zu Luxus ist es natürlich sehr interessant, dass seit der Herstellung von künstlichen Materialien, also in der Mode seit den 20er-Jahren, werden immer mehr Gegenstände hergestellt, die künstlich glänzen, und sich dieser Glanzeffekt auch demokratisiert hat. Und dieser billige Glanz, dieser demokratisierte Glanz stellt natürlich diesen Hochglanz, der durch preziose Gegenstände immer noch hergestellt wird, infrage. Dann muss man sich davon wieder distanzieren."
    Luxus ist oft soziale Zurschaustellung
    Eine endlose Spirale von Schein und Sein also? Dem würde Lambert Wiesing kaum widersprechen. Luxus ist oft reine Zurschaustellung. Aber ihm gehe es nicht um soziale Prozesse, sondern um die Vielfalt des Begriffs. Und der gehe nicht in Angeberei auf. Er erweitert den Horizont des Begriffs in Anlehnung an Schiller, Kant bis hin zum autonomen Kunstbegriff von Theodor W. Adorno. Das entfaltet er in seinem Buch Luxus auch für den philosophischen Laien nachvollziehbar. Um am Ende dem Leser jede Gewissheit wieder zu entziehen: Beweise für die besondere Erfahrung von Luxus als Moment der Freiheit gegenüber reiner Zweckrationalität gibt es nicht. Denn eine Erfahrung macht bekanntlich jeder für sich allein. So schließt Lambert Wiesing in seinem Buch über Luxus lediglich mit einem vorsichtigen Hinweis:
    "Leitend ist einzig die Hoffnung, durch Beschreibung dafür zu sensibilisieren, dieses Phänomen als ein solches zu bemerken – sollte es sich zeigen."