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Maas kritisiert soziale Schieflage in der Reformpolitik

Jochen Spengler: Die Wahl in Hamburg ist gelaufen, die SPD hat es nicht geschafft, Ole von Beust aus dem Amt zu drängen, sie erreichte noch nicht einmal 31 Prozent. Das ist das schlechteste Ergebnis in Hamburg für die Sozialdemokraten seit 1946. Am Telefon begrüße ich Heiko Maas, den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten im Saarland, wo in diesem Herbst auch ein neuer Landtag gewählt werden wird. Guten Morgen, Herr Maas.

Moderation: Jochen Spengler |
    Heiko Maas: Guten Morgen.

    Spengler: Herr Maas, das Hamburger Ergebnis kann für Ihren eigenen Wahlkampf keine Ermutigung sein, oder?

    Maas: Na ja, ich hatte mir natürlich auch zum Anfang dieses Jahres einen Erfolg für die SDP gewünscht, der letzte liegt ja bei Landtagswahlen, einmal Bremen ausgenommen, schon relativ lange zurück, aber in Hamburg fließt die Alster, im Saarland fließt die Saar, insofern kann man das nicht Eins zu Eins umlegen. Bis zum fünften September ist es noch einige Zeit.

    Spengler: Aber Chancen haben Sie da im Saarland auch nicht?

    Maas: Also, wissen Sie, das habe ich jetzt schon öfter gehört in der Vergangenheit, dass so ein halbes Jahr, drei Viertel Jahr vor dem Wahltermin gesagt wurde, das ist alles gelaufen, so etwa bei der Bundestagswahl im Jahr 2002. Dann ist das alles anders gekommen. Wir wissen, dass Stimmungen immer stärker schwanken und immer flexibler sind und ich glaube, dass diejenigen in Berlin innerhalb der SPD, insbesondere Franz Müntefering, erkannt haben, dass es so nicht einfach weitergehen kann, sondern dass, wenn wir Vertrauen zurückgewinnen wollen, wir uns mehr um die soziale Balance in der Reformpolitik kümmern müssen, denn da gibt es einiges aufzuarbeiten.

    Spengler: Was oder wer soll denn für den Stimmungsumschwung sorgen? Müntefering selber?

    Maas: Das ist nicht nur eine Frage von Personen, aber ich glaube, Franz Müntefering hat verstanden, dass wir viele Wählerinnen und Wähler und im Übrigen auch viele Mitglieder verloren haben in der letzten Zeit, weil die der Auffassung waren, man kann bei den Reformen nicht nur die Rentnerinnen und Rentner, Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen zu einem Beitrag veranlassen, sondern man muss das einigermaßen gerecht verteilen in der Gesellschaft. Auch die besser Verdienden, auch die Wirtschaft, und da gibt es ja einige Ansätze etwa beim Thema Ausbildungsplatzabgabe, beim Thema Erbschaftssteuer oder Bürgerversicherung Beschlüsse unseres letzten Parteitages in Bochum und Franz Müntefering ist gewillt, das alles umzusetzen.

    Spengler: Da wird immer so getan, von Ihnen zum Beispiel, irgendwie, als würden die besser Verdienenden überhaupt nicht herangezogen, aber die sind doch auch Rentner, da sind auch Betriebsrenten, und die tragen doch auch ihr Teil bei und prozentual natürlich auch immer ein bisschen mehr?

    Maas: Na ja, wissen Sie, beim Thema Rente oder beim Thema Gesundheitsreform sagen wir den Leuten, wir müssen auf Grund der demographischen Entwicklung, weil nicht mehr so viel Geld da ist, auch Leistungen kürzen. Da ist ja auch durchaus etwas dran, aber genauso hat der Staat anscheinend Geld genug, um denjenigen, die bei den Steuern den Spitzensteuersatz zahlen, denselben von 53 Prozent auf 42 Prozent, also um elf Prozentpunkte zu senken.

    Spengler: Aber die Steuersätze für die Normalverdiener sind doch auch gesenkt worden.

    Maas: Richtig. Das ist ja auch richtig, aber ich kann Ihnen ja nur berichten von dem, was mir in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird, ganz einfach werden die Dinge so wahrgenommen, bei uns, die wir kleine Einkommen haben, wir müssen Beiträge leisten, bei uns wird gekürzt, und Ihr habt noch genug Geld, um den besser Verdienenden auch noch den Spitzensteuersatz zu senken.

    Spengler: Und Sie überzeugen die nun nicht vom Gegenteil, sondern Sie wollen, dass die Politik irgendetwas anders macht?

    Maas: Doch, ich versuche sie zu überzeugen, weil es ja nicht nur so ist, dass der Eingangsteuersatz mehr gesenkt wurde als der Spitzensteuersatz. Es ist das Kindergeld drei Mal erhöht worden, es sind die Freibeträge für Familien erhöht worden. Man bezahlt erst ab 36.000 Euro in Deutschland überhaupt Steuern. Und im Übrigen, das, was wir von den anderen 1998 hinterlassen bekamen, das war das ungerechteste und das Steuersystem mit den höchsten Steuersätzen. Aber ich muss nun einmal zur Kenntnis nehmen, dass einem Großteil der Leute diese Erklärung nicht genügt und dass sie das dann auch bei Umfragen oder bei Wahlen wie gestern in Hamburg deutlich machen, indem sie die SPD nicht mehr wählen.

    Spengler: Aber ich verstehe immer noch nicht, was Sie meinen. Hat denn nun die Reform soziale Schlagseite oder hat sie es nicht?

    Maas: Ja, nach meiner Auffassung hat sie soziale Schlagseite, weil es ganz einfach in der Kumulation der Belastungen beim Thema Gesundheitsreform, beim Thema Rente zum Beispiel dazu kommt, dass insbesondere die Rentnerinnen und Rentner stark beansprucht werden. Und das ist ein Punkt, bei dem wir nachsteuern müssen und deshalb halte ich es für richtig, dass man jetzt darüber redet, bei den Renten über ein Mindestniveau zu reden oder dass man bei den Betriebsrenten darüber redet, Freibeträge einzuführen, um dort die Situation etwas zu entspannen.

    Spengler: Das wären also Maßnahmen, um die soziale Schlagseite weg zu kriegen?

    Maas: Also, das Problem besteht ja für die SPD darin, dass bei all den Reformen, die jetzt ab dem ersten Januar dieses Jahres gelten, es sich um Beschlüsse handelt, die zusammen mit der CDU/CSU gemacht worden sind. Das gilt für das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, Praxisgebühr ist eine Erfindung der CDU, nicht der SPD, und das gilt für das Thema Steuern und Arbeitsmarkt, das sind Ergebnisse des Vermittlungsausschusses vom Dezember. Das heißt, die SPD kann überhaupt nicht alleine all das wieder zurück drehen. Deshalb warne ich davor, den Menschen jetzt Erwartungen oder Hoffnungen zu machen, die nachher nicht zu erfüllen sind.

    Spengler: Müssen Sie denn nicht an sich selber vor allen Dingen die Warnung richten, wenn Sie eine Bürgerversicherung fordern? Das werden Sie doch niemals alleine durchsetzen können?

    Maas: Ja, aber wissen Sie, ich kann ja jetzt nicht über die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, die so oder so sind, das, was ich für politisch richtig halte, einfach so einstellen, sondern es muss einen Wettbewerb der Ideen geben, es muss eine Diskussion geben auch mit denen, die die Mehrheit im Bundesrat haben, und auf diese Auseinandersetzung bin ich dann doch einmal gespannt. Wenn die SPD mit einem solidarischen Modell zur Finanzierung der Krankenversicherung antritt, alle zahlen ein, wirklich alle, es gibt keine Sonderprivilegien für einzelne Gruppen, und die CDU kommt mit ihrem Kopfprämien-Modell, wo alle 210 oder 250 Euro Krankenversicherungsbeitrag bezahlen sollen, egal, ob sie 1.000 oder eine Million verdienen im Monat, also auf die Auseinandersetzung würde ich mich dann doch schon freuen.

    Spengler: Herr Maas, fühlen Sie sich eigentlich auch mitverantwortlich für das Hamburger Ergebnis, insofern Sie ja auch zu dem Bild mangelnder Geschlossenheit beitragen, indem Sie die offizielle Politik in Berlin kritisieren?

    Maas: Nein, ich glaube nicht, dass das Bild mangelnder Geschlossenheit die Ursache ist für das Hamburger Ergebnis. Die Analysen sagen eigentlich klar, dass liegt zum einen an der Popularität von Ole von Beust, der sich ja erfolgreich vom Schill-Steigbügelhalter zum Schillkiller entwickelt hat, und zum anderen auch von den Problemen, die wir in Berlin haben. Und im Übrigen glaube ich, dass das Problem der SPD insgesamt nicht die mangelnde Geschlossenheit ist, sondern ganz einfach die Tatsache, und das ergeben alle Umfragen, also das können Sie sich da angucken, dass die Menschen in Deutschland die Reformpolitik als nicht sozial ausgewogen genug empfinden.

    Spengler: Darüber haben wir gesprochen. Ich bedanke mich. Das war Heiko Maas, der sozialdemokratische Spitzenkandidat im Saarland.