Heinlein: Herr Maas, wird die Justiz heute der Politik Beine machen und den Anfang vom Ende der Wehrpflicht einläuten?
Maas: Ich weiß mittlerweile schon gar nicht mehr, das wievielte Urteil es heute geben wird zum Thema Wehrpflicht. Ich bin allerdings der Auffassung, dass man das nicht den Gerichten überlassen kann und deshalb streite ich schon seit langem dafür, eine klare Entscheidung zu treffen, die da lautet, die Wehrpflicht abzuschaffen, beziehungsweise auszusetzen, weil ich denke, sie ist sicherheitspolitisch völlig überholt. Und das, worum es heute in Leipzig geht, nämlich zu fragen, ob die Wehrgerechtigkeit überhaupt noch gewährleistet wird. Das ist nach meiner Einschätzung nicht mehr der Fall und deshalb muss eigentlich die Politik tätig werden. Wir können das einfach nicht so lassen, dass da ständig die Gerichte darüber entscheiden. Es bedarf ja einer politischen Grundsatzentscheidung, ob man die Wehrpflicht noch will oder nicht.
Heinlein: Warum tut es sich ihre Partei so schwer, diese Grundsatzentscheidung zu fällen?
Maas: Das ist ja keine einfache Frage. Und die Umstellung der Bundeswehr als Wehrpflichtigenarmee auf eine Freiwilligenarmee, das ist, das wäre ein außerordentlich starker und tiefer Einschnitt. Und deshalb muss man das schon ausführlich und sehr ernsthaft und diskutieren. Und wir haben in der SPD entschieden, dass wir das tun. Wir hatten vor kurzem einen Kongress zu diesem Thema und wir werden im November diesen Jahres einen Parteitag haben und auf diesem Parteitag wird diese Frage entgültig geklärt werden. Weil ich denke, die Argumente sind ausgetauscht.
Heinlein: Aber ein wichtiger Mann, Verteidigungsminister Struck, hat heute noch einmal klipp und klar betont, er wolle an der Wehrpflicht festhalten. Also die Fronten scheinen relativ starr innerhalb ihrer Partei.
Maas: Ja, es gibt schon seit längerem Befürworter der Wehrpflicht, zu denen gehört Peter Struck, aber auch viele Gegner der Wehrpflicht bis in die Bundesregierung hinein. Renate Schmidt zum Beispiel macht aus ihrer Meinung keinen Hehl. Das ist eine Frage, da gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen in der SPD, deshalb muss man das ja auch mal klären, damit wir auch nach außen sprachfähig sind. Und wenn das nun mal so ist, dass über ein Thema gestritten wird, dann muss irgendwann die Mehrheit entscheiden. Und ich glaube, das ist an der Zeit.
Heinlein: Was ist Ihr Eindruck, wie sind die Mehrheiten innerhalb Ihrer Partei?
Maas: Ich kann das schwer entscheiden oder auch abschätzen, wie das jetzt aussieht, deshalb sollten wir uns ja endgültig mal entscheiden, dann würde man es nämlich wissen. Aber ich stelle fest, dass in der Vergangenheit eine Vielzahl von Leuten in der SPD sich auf die Seite derer gestellt haben, die für die Abschaffung der Wehrpflicht sind, weil die Argumente, die es dafür gibt, dass die Bundeswehr einen anderen Auftrag hat, der Kalte Krieg vorbei ist, die Wehrgerechtigkeit nicht mehr vorhanden ist und so weiter. Das sind Argument, die kann man nicht so einfach vom Tisch wischen. Also, je länger es dauert, je größer wird die Anzahl der Wehrpflichtgegner.
Heinlein: Ist denn das zuletzt diskutierte dänische Modell eine mögliche Übergangsvariante? Also, man hält rechtlich an der Wehrpflicht fest aber de facto werden nur Freiwillige zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Wäre das ein Modell, das für eine Übergangszeit zumindest denkbar wäre?
Maas: Ich will mich Kompromissen nicht verschließen aber dennoch bin ich sehr skeptisch, weil ich befürchte, dass das dann auch wieder zu Klagen führen wird und dann auch dieses Modell irgendwann wieder infrage gestellt wird, weil es auch hier außerordentlich schwierig sein wird, abzugrenzen, wer dann zur Bundeswehr soll und wer eben nicht mehr. Das ist außerordentlich schwierig. Ich glaube, das ist eine so wichtige Frage, dass man auch eine grundsätzliche Entscheidung treffen muss. Die klarste Entscheidung ist, dass man sagt, wir halten an der Wehrpflicht fest oder wir setzen sie aus. Deshalb sollte man das klar entscheiden, damit jeder weiß, wo er dran ist.
Heinlein: Ein wichtiger Aspekt der Wehrpflicht ist der Zivildienst. Schon jetzt gibt es in diesem Bereich ernorme personelle Engpässe. Wie soll denn der Zivildienst, wie soll denn die Versorgung im sozialen Bereich sichergestellt werden ohne die Wehrpflicht?
Maas: Zunächst finde ich das ja schon außerordentlich bemerkenswert, dass mittlerweile viele sozusagen als ein Argument für die Wehrpflicht den Zivildienst anführen. Also wir sind jetzt schon soweit, das die Wehrpflicht gehalten werden muss, damit es auch in Zukunft den Zivildienst geben kann. Das halte ich für relativ grotesk, denn wir müssen die Wehrpflicht und die Zukunft der Wehrpflicht entscheiden an den Kriterien, sicherheitspolitisch, verfassungsrechtlich. Es ist auch ein tiefer Eingriff in die persönlich Freiheit junger Menschen. Und ich glaube, es gibt auch Alternativen im Bereich des Ersatzdienstes. Es ist möglich, mit einem attraktiven zum Beispiel freiwilligen sozialen Jahr, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass viele Menschen weiterhin den Wohlfahrtsverbänden zur Verfügung stehen, in Altenheimen, in Krankenhäusern. Und deshalb glaube ich, kann der Zivildienst oder die Aufrechterhaltung des Zivildienstes in seiner jetzigen Form, kein Argument dafür sein, dass wir die Wehrpflicht weiter aufrecht erhalten. Das muss voneinander getrennt werden und die Wehrpflicht muss sich alleine für sich rechtfertigen oder sie tut es eben nicht.
Heinlein: Ein klares Argument aus der Sicht der Wehrpflichtbefürworter für die Beibehaltung der bisherigen Regelungen ist, dass die Bundeswehr sagt, ohne die Wehrpflicht gibt es in Zukunft nicht ausreichend, vor allem qualifizierten, Nachwuchs für die Truppe.
Maas: Das ist ein Argument, das ich sehr ernst nehme. Ich halte das für das ernstzunehmendste Argument der Wehrpflichtbefürworter. Ich stelle aber dennoch fest, dass es in anderen Staaten Freiwilligenarmeen gibt. Da wird dann immer gesagt, die haben dann eben nicht die Qualität. Aber trotzdem stelle ich fest, dass es zum Beispiel bei gemeinsamen Nato-Manövern mit den Armeen zusammengearbeitet wird, man sich dann auch immer gerade für die gute Zusammenarbeit mit den Armeen anderer befreundeter Staaten bedankt. Also, das scheint gut zu funktionieren, besser, als getan wird. Deshalb glaube ich, dass mit einer Armee, die möglicherweise etwas kleiner ist aber dafür besser ausgebildet und besser ausgestattet, es auch möglich sein wird, genug qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr, auch als Freiwilligenarmee zu gewinnen.
Heinlein: Weiteres Argument pro Wehrpflicht, das hat heute ihr Parteigenosse Robin noch einmal erwähnt, ist das Geld. Die Berufsarmee ist viel teurer, sieben Milliarden Euro, sagte er.
Maas: Es gibt auch welche, die das Gegenteil behaupten, nämlich dass die Wehrpflichtigenarmee teurer ist. Das kann ich nur bedingt einschätzen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass eine kleinere Armee, die besser ausgestattet ist, die Ausstattung der Bundeswehr muss ja ohnehin umfänglich erneuert werden und auf den neusten Stand gebracht werden, dass das soviel teurer ist, habe ich meine Zweifel. Aber auch das kann nicht das letztlich entscheidende Argument sein, den Eingriff in die persönliche Freiheit junger Menschen zu rechtfertigen. Die Wehrpflicht muss sicherheitspolitisch und verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Sie alleine finanziell zu rechtfertigen, geht nicht, wobei ich, um das noch mal zu sagen, diese Zahlen bezweifle. Es gibt auch andere, die genau das Gegenteil behaupten.
Heinlein: Der saarländische SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende, Heiko Maas, heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Herr Maas, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.