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Macbeth in der Medienbranche

Der vierte Roman der österreichischen Autorin Olga Flor ist eng angelehnt an Shakespeares schottisches Königsdrama "Macbeth". Die krankhaft ehrgeizige Zahlenneurotikerin Lilly wird von ihrem Mann, Medientycoon Duncan, abserviert und schmiedet gemeinsam mit dessen Stellvertreter einen mörderischen Plan.

Von Katrin Hillgruber | 17.04.2013
    In der 54. Folge der Fernsehserie "Columbo" mit dem Titel "Schleichendes Gift" versucht sich ein Zahnarzt namens Wesley am perfekten Verbrechen. Zu seinen Patienten zählt der nichtsahnende Liebhaber seiner Frau Lydia. Da Wesley finanziell von Lydia abhängig ist, implantiert er dem Nebenbuhler unter die neue Zahnkrone ein Gift mit verzögerter, doch letaler Wirkung.

    "Uneasy lies the Crown", heißt der Krimi aus dem Jahr 1990 im Original, etwa: Unbehaglich liegt die Krone auf. Dieser Titel würde auch trefflich zu Olga Flors neuem Roman "Die Königin ist tot" passen. So stellt Lilly, die selbsternannte Königin eines Medienimperiums, nach dem Mord an ihrem Ex-Mann Duncan befriedigt fest:

    All die Details wunderbar ausgetüftelt, Zahn in Zahn gegriffen wie bestellt, und manches sogar noch besser: Duncans Witwe und Lieblingsjournalistin Ann taucht wieder auf und arbeitet sich an den möglichen politischen Hintergründen der Tat ab. […] Dass die Medienräder dann gar so geschmiert laufen, lässt das Blut im Kopf übermütig aufschäumen.

    Dennoch liegt der Täterin die Krone unbehaglich auf dem Kopf, so wie sie den Geruch frischen Blutes nicht verdrängen kann. Lilly trägt als moderne Lady Macbeth jetzt blond, lange rotblonde Locken. Sie stammt nicht aus Shakespeares nebel- und moorgeschwängertem Schottland, aber immerhin aus Europa. Der alte, sanfte Kontinent hat sich samt seiner humanistischen Ideale im Zuge der Euro-Finanzkrise endgültig überlebt.

    Am Romanschauplatz USA wiederum streifen die Armen in marodierenden Horden um die Wohn- und Geschäftstürme der Reichen. China zieht als lachender dritter Gewinn aus der "europäischen Demokratiekonkursmasse", wie Olga Flor ihre Heldin verkünden lässt.

    Aber was darf man dieser Lilly, ehedem Liftgirl im Lake Point Tower, einem der markantesten Hochhäuser Chicagos, überhaupt glauben? Das lässt sich bis zum Schluss nicht entscheiden. Olga Flor, die technisch so versierte Erzählerin, überantwortet ihre Leser diesmal völlig der Ich-Perspektive einer krankhaft ehrgeizigen, post-feministischen Zahlenneurotikerin.

    Der Aufzug im Lake Point Tower hält ab dem 46. Stockwerk nicht mehr bis zur Chefetage im 68. Stock. Das teilt der ergraute Medientycoon Duncan genüsslich seiner jungen Angestellten mit. Daraufhin lässt sie ihm einen sogenannten Blowjob angedeihen. Mit dieser oralen Dienstleistung befördert sie sich zielgerichtet nach oben, in ein anderes Leben als Duncans Ehefrau.

    Dann doch lieber Helicopter-Skiing in Kanada. Lieber ehrlich dekadent als unehrlich naturnah, das sagte ich zu Duncan, später, und er lachte und sagte, das sähe mir ähnlich. Sein schottischer Name war nur das Vermächtnis eines Urgroßvaters, wenn ich mich recht erinnere.

    Emotionslos stellt sich Lilly im kapitalistischen Warenkreislauf als Sexualobjekt zur Verfügung und gebiert Duncan zwei Söhne. Mit diesen darf sie sich in einem Ferienhaus am Meer aufhalten. Es ist der einzige autarke Gegenort zum Hochhaus in Chicago, mit Blick auf ein falsches Meer, den Michigansee.

    Lilly kann ihre Fernsichtbadewanne nicht lange genießen, denn Duncan tauscht sie gegen eine noch jüngere, farbige Fernsehjournalistin aus. Im Gegenzug reicht er seine Ex-Frau an seinen Stellvertreter Alexander weiter. Damit hat er sein eigenes Todesurteil gesprochen, denn Alexander und Lilly gebärden sich als Neuauflage des mörderischen Königspaars Macbeth.

    Von einer gewissen "Lustangst" sprach Olga Flor in einem Interview zu ihrem letzten Roman "Kollateralschaden". Er spielte in einem Supermarkt und war nach Minuten getaktet. Diese Lustangst, jetzt mit einem Ausschlag ins Mörderische, bestimmt auch "Die Königin ist tot". Doch dieser Text ist nicht horizontal in Zeiteinheiten gegliedert, sondern nach Art eines Baumkuchens – oder Hochhauses - vertikal geschichtet. Das mutet sehr künstlich an, bildet aber die Voraussetzung für Olga Flors blühenden Sarkasmus, für ihre herrlich kühnen, ins Technische tendierenden Sprachbilder. Problematisch dabei ist, dass Lilly sich und ihre Hirngespinste permanent selbst beobachtet und beurteilt.

    Einkapseln muss man sich in der Lüge und immunisieren gegen den absichtslosen Verrat (kein falsches Wort im richtigen Satzgefüge).

    Durch diese fortwährende Selbstinterpretation bleibt kaum Spielraum für die Phantasie des Lesers. Allzu deutlich sind zudem die Referenzen an Elfriede Jelineks "Quelltext"-Suche und ihre masochistischen Schlussfolgerungen eines weiblichen Ichs:

    Nur hinter unmittelbarer Gegenwart kann ich die Tatsache verstecken, dass in mir niemand mehr drin ist außer mir, und dass ist nicht viel.

    Auch sonst haben die "bestangezogene Staatsfeindin Österreichs" (Elfriede Jelinek über sich selbst) und die Physikerin Olga Flor viel gemein, vor allem die musikalische Virtuosität der Sprache und den eisgekühlten Zugriff auf alles Lebendige. Aber bei Olga Flor bleibt die Küche diesmal von Anfang an kalt, genau wie die aufblitzende Klinge, mit der Duncan erledigt wird. Ein freundlicher Detective tritt übrigens auch noch auf. Er trägt ganz wie Trenchcoat-Liebhaber "Columbo" …

    …trotz der deutlichen Gebrauchsspuren korrekte Dienstbekleidung.

    Ob Peter Falk alias Columbo in dieser selbstreferentiellen Diskursanordnung eine Chance hätte, das Verbrechen aufzuklären? Selbst wenn er das mörderische Königspaar von Chicago überführt hätte: Es ließe doch eher kalt.

    Olga Flor: "Die Königin ist tot"
    Zsolnay Verlag, Wien 2012. 240 Seiten, 18,90 Euro.