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Machos in der Politik
"Mache uns die Welt weniger kompliziert"

Putin, Erdogan und Trump ständen für einfache Lösungen, sagte die politische Journalistin Sylke Tempel im DLF. Sie wollten ihr Land wieder groß machen. Und die Methoden, die sie dafür anböten, seien relativ simpel: Wir werden uns von der Welt abwenden, wir werden das alleine schaffen. Das sei aber unrealistischer Quatsch.

Sylke Tempel im Gespräch mit Christine Heuer | 28.12.2016
    Sylke Tempel
    Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik". (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Es gehe bei dieser Frage um Machos. Sie wollten die Welt zurückzudrehen, ein Gesellschaftsmodell zurückzudrehen. Die alten Eliten - und das seien die weißen Männer - sollen wieder mehr zu sagen haben.
    Auch Frauen würden diese Politiker wählen, weil sie eine Welt anböten, die weniger kompliziert wirke. Für viele Wählerinnen von Donald Trump sei es wichtiger, dass ihr Mann einen Job habe, auch wenn er frauenfeindliche Bemerkungen mache. Diese Sichtweise müsse man auch ernst nehmen, sagte Tempel.
    Lösungen seien nur mit unendlicher Geduld möglich
    Allerdings: Die Welt sei nun mal komplex, man könne nicht mit einem Schwert den gordischen Knoten durchschlagen und sagen, nun sind wir wieder groß. Im Gegenteil: Lösungen seien nur mit unendlicher Geduld möglich. Zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel stehe für diese Arbeit auf europäischer und internationaler Ebene. Und deshalb sei sie auch außenpolitisch so enorm respektiert.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christine Heuer: Donald Trump ante portas, Putin auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit und seiner Macht, Recep Erdogan bastelt sich eine autoritäre Präsidialdiktatur – ein paar Beispiele für tatsächlich oder vorgeblich starke Männer an der Macht. Offenbar ist dieses Modell für viele Bürger in westlichen Demokratien wieder attraktiv genug, um es zu wählen.
    - Warum ist das so? Das möchte ich jetzt mit Sylke Tempel besprechen, sie ist Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird, einem traditionsreichen außenpolitischen Thinktank in Berlin. Guten Morgen, Frau Tempel!
    Sylke Tempel: Schönen guten Morgen!
    Heuer: Putin, Trump, Erdogan und Co., es fallen einem noch ein paar andere ein. Was haben diese Politiker gemeinsam?
    Tempel: Eine gewisse Skrupellosigkeit in der Propaganda, würde ich sagen, wenn man als Propaganda das versteht, was sie als einfache Lösungen anbieten. Also Putin, natürlich, alle wollen ihr Land jeweils wieder groß machen, und zwar möglichst unabhängig von den anderen. Putin möchte Russland wieder zur Weltmacht machen, Trump möchte die USA wieder groß machen, Marine Le Pen, die eigentlich in die Riege der großen Kerle gehört, obwohl sie eine Frau ist, der scheinbar großen Kerle, möchte Frankreich wieder groß machen. Das ist eigentlich der Standardspruch, den wir von allen hören. Und die Methoden und die Wege, die dafür angeboten werden, sind ja relativ simpel. Wir werden uns von der Welt abwenden, wir werden das allein schaffen. Und das halte ich ehrlich gesagt für unrealistischen Quatsch.
    Heuer: Also Isolationismus sozusagen als das Mittel zum Ziel, nämlich die Macht zu stärken. Sind da Machos an der Macht?
    Tempel: Ja, es geht schon um Macho. Es geht ja bei vielen darum, auch die Welt so ein bisschen zurückzudrehen, die komplizierter geworden ist, nicht nur wegen der Verknüpfungen nach außen, und dass Wirtschaften eigentlich wesentlich mehr beeinflusst werden von den technologischen Neuerungen als von anderen Ländern. Das verraten sie ja immer nicht, aber es geht schon auch darum, so ein Gesellschaftsmodell zurückzudrehen. Wir haben jetzt in diesen westlichen Ländern, die Putin ja immer so dekadent findet, die sind diverser geworden, die sind bunter geworden, die sind im Übrigen in einer gewissen Weise weiblicher geworden, nicht in der Art, weil ich wüsste gar nicht, was das sein sollte, sondern allein an der Tatsache, dass andere Gruppierungen jetzt mitreden, die in den 70ern, daran dürfen wir uns mal erinnern, noch nicht mitreden durften politisch. Das waren Frauen, das waren Minderheiten, et cetera. Und wenn man den Leuten zuhört, dann merkt man ja schon, dass sie sich eine Gesellschaft vorstellen, in der die alten Eliten, und das sind eigentlich die weißen Männer, hauptsächlich wieder das Sagen haben und die anderen wieder mal dahin zurückkehren, wo sie eigentlich besser aufgehoben sind, am Herd oder weiter in der zweiten und dritten Reihe und sich nicht so frech mit dran beteiligen. Das wird ja gerade bei Trump ganz besonders deutlich. Und wenn man sich Putin anguckt, würde man sagen, Frauen haben auch in seinem Russland nicht allzu viel zu sagen.
    Heuer: Frau Tempel, das klingt schrecklich, finde ich persönlich. Was macht denn diesen Politikertyp attraktiv auch für westliche Wähler und übrigens ja auch für Frauen? Erinnern wir uns dran, Donald Trump wurde von besonders vielen Frauen gewählt.
    "Feminismus ist für die urbanen Eliten – bei uns geht es um Jobs"
    Tempel: Ja, früher oder jetzt vor ein paar Wochen habe ich flapsig gesagt, es gibt auch Frauen, die sind entweder Kollaborateurinnen oder haben das Stockholm-Syndrom. Aber es ist schon ein bisschen komplexer. Ich glaube, das ist eine Frage der Prioritäten. Was diese Politiker anbieten, ist einfach eine Welt, die wesentlich weniger komplex ist als diese. Und das ist attraktiv. Und das ist für viele Wähler von Trump, da kann man es einigermaßen sehen, weil die Wahlen dann halt eben dennoch offen waren, was man von Russland so nicht sagen kann:
    Das sind viele Frauen, die sagen, für mich ist es wichtiger, dass mein Mann wieder einen Job hat als diese frauenfeindlichen Dinge, die Trump da jetzt von sich gibt. Das ist eine Prioritätenliste, die sagt, Feminismus ist was für die urbanen Eliten – bei uns geht es um Jobs. Das muss man auch ernst nehmen, das ist wirklich ernsthaft. Und da kann man auch politisch was machen. Und bei vielen anderen ist es schon das Gefühl, auch für Frauen, dass sie wieder in eine Welt zurück wollen, die für sie scheinbar einfacher war. Der Mann ist eben derjenige, der den Familienunterhalt beisteuert. Und sie sind diejenigen, die ihm den Rücken freihalten, denn so eine Existenz als ebenfalls arbeitende Ehefrau, die dann auch noch für die Kinder zu sorgen hat, das ist ja alles schwierig. Wie gesagt, auch hier ist eine totale Vereinfachung da, die offensichtlich für viele Leute attraktiv oder auch wie eine Erleichterung wirkt. Mach uns die Welt weniger kompliziert.
    Heuer: Dazu ist Angela Merkel, um nach Deutschland zu schauen, eigentlich das genaue Gegenmodell. Hat diese Frau eine Macht, die Möglichkeit, eine Chance, sich durchzusetzen? Wir haben ja auch Wahlen in Deutschland nächstes Jahr.
    "Unendliche Geduld ist notwendig"
    Tempel: Ich fürchte, es wird sehr darauf ankommen, mit welchen unerwarteten oder halb erwarteten Ereignissen wir es zu tun kriegen im nächsten Jahr. Wir wissen ja, dass bei jedem Ereignis, das im Grunde genommen dem Anti-Flüchtlingsgefühl in die Hände spielt oder dem Gefühl, dass die Welt da draußen brutal und komplex und gemein und schwer zu managen ist, dass es eigentlich eher den Vereinfachern in die Hände spielt. Deswegen würde ich – zum ersten Mal in meinem Leben würde ich nicht wagen, auch nur Prognosen über den nächsten Monat rauszugeben.
    Aber ich glaube schon, dass es eine Menge Leute gibt, denen man einiges zutrauen kann und die wissen, die Welt wird man nicht durch einen Handstreich weniger komplex machen. Sie ist es nun mal. Sie ist kompliziert, und man muss mit unendlicher Geduld, und das ist ja etwas, was Merkel eigentlich am besten kann, kann man da nicht, was die starken Männer anbieten, mit dem Schwert den gordischen Knoten durchhauen und sagen, so, ab jetzt ist unser Land wieder groß. Sondern man muss mit unglaublich viel Geduld uns Spucke komplizierte Verknotungen auflösen. Und das kann sie eigentlich ganz gut, sowohl auf europäischer Ebene wie global. Deswegen ist sie ja auch außenpolitisch so enorm respektiert.
    Heuer: Eine ganz große Frage zum kleinen Schluss unseres Gesprächs, Frau Tempel: Glauben Sie, die Deutschen verstehen das und sind – also jetzt aus Ihrer Perspektive gesprochen – vernünftig genug, das Komplexe zu sehen und das Schwierige möglicherweise zu wählen?
    Tempel: Ich glaube, dass viele Bürger das verstehen. Das, glaube ich, verstehen viele Deutsche. Es gibt eine Minderheit, und ich merke die auch irgendwie in den Reaktionen, die am liebsten die Welt auch einfach hätte und die irgendwie findet, dass die Amerikaner schlecht und die Russen gut sind – seltsam. Aber ich glaube, dass die meisten Leute das sehr gut verstehen, weil sie das aus ihrem persönlichen Leben kennen. Und weil sie eben durchaus auch Geduld dafür haben, dass man für komplexe Dinge mal ein bisschen länger braucht. Wenn sie irgendwas aufregt, dann ist es dieses Vorgeben auch von den sogenannten Mainstream-Politikern, dass sie es schon hinkriegen. Ich glaube, es wäre manchmal ganz hilfreich, wenn man sagt, es ist schwierig, aber wir versuchen unser Bestes.
    Heuer: Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", über Machos in der Politik. Danke schön!
    Tempel: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.