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Machtkampf im Thyssenkrupp-Konzern
Chef-Kontrolleur Lehner geht

Thyssenkrupp hat erst vor wenigen Tagen seinen Vorstandschef verloren, jetzt geht auch der Vorsitzende des Aufsichtsrates. Ulrich Lehner versteht seinen Rücktritt als Protest gegen eine mögliche Zerschlagung des Unternehmens. Anders als zwei Fonds, die ThyssenKrupp aufspalten wollen, möchte er das Traditionsunternehmen als Mischkonzern erhalten.

Von Jörg Marksteiner | 17.07.2018
    Das Logo von Thyssenkrupp
    Machtkampf bei Thyssenkrupp: Nach dem Vorstandschef Heinrich Hiesinger hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Lehner das Handtuch geworfen. (picture alliance / Patrick Seeger/dpa)
    Betriebsräte aus allen Konzernteilen sind am Morgen nach Essen gekommen, in die Firmenzentrale, das Thyssenkrupp Quartier. Die Sitzung war schon länger geplant, doch klar: Dass nach dem Firmenchef völlig überraschend auch noch der zweitwichtigste Mann im Konzern, der Aufsichtsrats-Chef abtritt, ist jetzt natürlich Gesprächsthema Nummer eins, auch für Freddi Biedermann, Betriebsratsvorsitzender in Mülheim an der Ruhr.
    "Wir waren gestern geschockt, wir haben es gestern Abend erfahren. Das ist schon auf den Magen geschlagen, muss man ganz ehrlich so sagen."
    In Mülheim an der Ruhr bauen 300 Mitarbeiter bauen elektrische Lenksysteme für Autos. Die Autosparte ist aber nur ein Bereich von Thyssenkrupp, dazu kommen der Stahlhandel, der Aufzugbau, der Fabrikbau und die Werften. Genauso dieses Konglomerat finden aber Finanzinvestoren zu komplex und zu schwerfällig. Das wissen auch die Betriebsräte:
    "Viele reden von der Zerschlagung, aber im Unternehmen und Arbeitnehmervertreter, die reden eigentlich gar nicht davon. Sondern wir reden eigentlich nur davon, den Konzern zusammen zu halten."
    Ob ihnen das gelingt, ist aber offen. Denn mit dem Firmenchef und dem Aufsichtsrats-Chef sind jetzt innerhalb kürzester Zeit genau die beiden Topmanager abgetreten, die sich gegen eine Aufspaltung oder Zerschlagung des über 200 Jahre alten Essener Traditionskonzerns gewehrt hatten. Noch beim Aktionärstreffen im Januar hatte Ulrich Lehner als Aufsichtsrats-Chef genau diesen Kurs verteidigt:
    "Wir sehen deutlich die Vorteile einer starken Dachmarke Thyssenkrupp."
    Und in seinem Abschiedsbrief gestern Abend deutete er – genau wie Firmenchef Hiesinger zwei Wochen vorher - mehr oder weniger unverhohlen an, dass ihm dafür im wichtigsten Gremium der Firma, dem Aufsichtsrat, der Rückhalt fehlt.
    Mischkonzern oder Zerschlagung
    "Es geht in Richtung Strategiewechsel", vermutet denn auch ThyssenKrupp-Experte Thomas Hechtfischer vom Aktionärsschützerverein DSW.
    "Man hat den Eindruck, als wäre Herr Lehner der Einzige im Aufsichtsrat gewesen, der noch gegen Zerschlagung war. Und da hat er gesagt: dann macht es doch allein."
    Damit steckt Thyssenkrupp mitten im Führungschaos. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem größten Aktionär, der Krupp-Stiftung zu. Sie verwaltet seit 51 Jahren das Erbe des letzten Alleininhabers Alfried Krupp und soll sich eigentlich für die Einheit der Firma einsetzen. Doch wie genau sie diesen Auftrag künftig interpretiert oder ob sie sich den Forderungen des Finanzinvestors Cevian annähert, der auch schon 18 Prozent der Anteile bei TK hält – das weiß im Moment niemand.
    Einer der wenigen, die den Rücktritt Lehners heute als konsequent begrüßten, ist Fondsvertreter Ingo Speich. Doch auch er glaubt nicht an einen baldigen Kahlschlag im Unternehmen:
    "Eine Zerschlagung von ThyssenKrupp ist nach derzeitigem Stand eine Illusion, vielmehr gilt es jetzt, Ruhe in das Unternehmen rein zu bringen und über eine Veränderung der bestehenden Strategie nachzudenken, damit auch der Aktienkurs wieder Fantasie erhält."
    Wer das aber bewerkstelligen soll, wer die beiden Top-Posten bei Thysstenkrupp übernimmt und die Unterstützung sowohl der Investoren als auch der traditionell starken Arbeitnehmerseite bekommen könnte, ist im Moment noch völlig offen.