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Machtprobe im Bundesrat bei Gesetz gegen Lohndumping

Meurer: Erstmals seit elf Jahren kommt heute der Bundesrat in Berlin zu einer Sitzung zusammen, bei der die unionsgeführten Länder wieder die Mehrheit haben nach der gewonnenen Wahl in Sachsen-Anhalt. Und schon könnte es zur Sache gehen, zu einer ähnlichen Machtprobe zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber kommen wie zuletzt beim Zuwanderungsgesetz. Heute wird nämlich über das Tariftreuegesetz gegen Lohndumping abgestimmt. Die Gewerkschaften sind vehement für dieses Gesetz, das Kommunen verpflichtet, Aufträge nur an die Unternehmen zu vergeben, die nach vor Ort gültigem Tarif bezahlen. Der Kanzler stellt sich hinter die Gewerkschaften. Sein Herausforderer Edmund Stoiber dagegen will das Gesetz in den Vermittlungsausschuss bringen. Im Bundestag war es beschlossen worden, und am Telefon begrüße ich Wilhelm Schmidt, den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Schmidt!

    Schmidt: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Werden wir heute ähnliche Tumulte im Bundesrat erleben wie zuletzt?

    Schmidt: Nein, erstens ist die Konstellation etwas anders, etwas deutlicher zu Ungunsten der Regierungskoalition im Bundestag. Und auf der anderen Seite ist es so, dass wir natürlich gucken müssen, wie wir denn in der Sache auch vorankommen, die jetzt vielleicht tatsächlich noch zu retten ist. Also wir setzen darauf, dass die CDU/CSU-geführten Länder doch noch Vernunft zeigen. Es scheint ja so zu sein, dass auch sie im Prinzip so etwas wollen, nur vielleicht zu etwas anderen Bedingungen. Man muss mal sehen, was dabei rauskommt.

    Meurer: Was sagen Sie zur Möglichkeit, dass das in den Vermittlungsausschuss geht? Würden Sie das begrüßen?

    Schmidt: Begrüßen würde ich es nicht, aber ich kann es nicht verhindern. Wenn es dann heute so kommen sollte, dann werden wir damit umgehen müssen. Ich bin ja Verhandlungsführer der Koalition im Vermittlungsausschuss und das ist ein Auftrag. Das, was mich etwas mit Sorge erfüllt, ist, dass wir wahrscheinlich von den 97 Tagesordnungspunkten des heutigen Bundesrates 15 in den Vermittlungsausschuss überwiesen bekommen. Und ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wie ich das am nächsten Mittwoch, am 12. Juni, dann schaffen soll. Aber das ist eine rein technische und zeitliche Frage. Es bedarf intensiver Vorbereitungen in allen Bereichen.

    Meurer: Ich verstehe Sie recht: Das könnte nächsten Mittwoch schon im Vermittlungsausschuss zur Sprache kommen?

    Schmidt: Ja, das ist so. Das ist schon so weit vorbereitet wegen anderer Gesetze, die wir ohnehin noch im Vermittlungsausschuss haben. Wir haben ja das Vergabegesetz, das eng mit dem Tariftreuegesetz zusammen hängt, schon in der vorherigen Sitzung des Bundesrates in den Vermittlungsausschuss überwiesen bekommen. Das würde dann als ein Paket behandelt werden. So ist es vorgesehen, wenn den auch das Tariftreuegesetz überwiesen wird.

    Meurer: Wir haben ja von diesem Tariftreuegesetz erstmalig am letzten Montag erfahren, als Busse und Bahnen stillstanden aus Protest gegen eine Verhinderung dieses Gesetzes. Warum ist aus Ihrer Sicht das Tariftreuegesetz so wichtig?

    Schmidt: Wir müssen wirklich zusehen, dass wir nicht dem Lohndumping in diesen Bereichen anheimfallen. Es ist ja so, dass auch bei Bussen und Bahnen neue Auftragnehmer vor der Tür stehen, zum Beispiel aus dem europäischen Ausland. Die kommen dann hier mit untertariflicher Bezahlung, und dann können sich deutsche Auftragsinteressenten nicht mehr in diesem Bereich durchsetzen. Das kann nicht im Sinne aller Beteiligten sein. Die Busfahrer, nehmen wir dieses Beispiel, die zu Tarifen fahren, sind dann die eine Seite. Und die anderen, die unter Tarif fahren, weil sie dem ausländischen Anbieter als Arbeitnehmer angehören, sind dann praktisch benachteiligt. Also es gibt große Ungerechtigkeit in solchen Sektoren. Und dass das dann auch zu schlechterer Versorgung führt, ist nur der nächste Schritt. Das kann man sich ja leicht vorstellen.

    Meurer: Wenn sich deutsche Arbeitnehmer aber schützen, Herr Schmidt, schaden sie deutschen Kommunen damit, die mehr Geld ausgeben müssen für ihre Aufträge.

    Schmidt: Nein, ich denke, dass das auch im Interesse von Bus- oder Bahnbenutzern sein wird, dass diejenigen, die dort beschäftigt sind, auch zu ordentlichen Löhnen arbeiten. Wenn wir das alles anfangen, dann können wir demnächst alle unsere Tarife in den Teich schmeißen und sagen: Interessiert uns alles nicht mehr. Wir machen alles untertariflich und nach Wildwestmanier. Dies kann nicht im Interesse aller Beteiligten sein, die in Deutschland den sozialen Frieden über 50 Jahre gesichert haben.

    Meurer: Was sagen Sie denn zu der Argumentation des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber? Von ihm stammt ja die Initiative, das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zu bringen: Das Tariftreuegesetz schadet den ostdeutschen Unternehmen.

    Schmidt: Ja, dann soll er doch den Gang in den Vermittlungsausschuss gar nicht erst machen, sondern es gleich ablehnen, wenn er diese Überzeugung hat. Der Gang in den Vermittlungsausschuss ist doch dann nur ein Umweg, der so ein bisschen in das Versteck führen soll, in das er hinein will, damit er die öffentliche Auseinandersetzung nicht führt. In der Sache selbst ist es eindeutig, dass auch in Ostdeutschland die Betriebe, die unter Tarif arbeiten, dies auch nicht lange durchhalten. Es kann ja auch nicht ein untertarifliches Lohngebiet Ost geben, das dann zu Lasten des Westens versucht, zurecht zu kommen. Stellen Sie sich vor, wenn die europäische Einigung sich weiter fortsetzt, dann wird sich der gleiche Zustand mit Konkurrenten aus Polen oder Tschechien fortsetzen. Dann haben auch die ostdeutschen Untertarifbezahlten keine Chance mehr, weil das dann in dieser Weise fortgeht. Das Springen auf diesem Sektor unter die Tarife kann eigentlich nicht im Interesse aller Beteiligten sein. Und damit ist das alles viel zu kurz gegriffen, was Edmund Stoiber da vertritt.

    Meurer: Es gibt ja in Bayern selbst ein Tariftreuegesetz, das nur für Bayern gilt. Das sind ja eigentlich gute Gegebenheiten für die SPD. Misslingt es trotzdem, hier einen Erfolg für die SPD aus diesem Thema zu machen?

    Schmidt: Das werden wir sehen, aber das ist natürlich ein sehr technokratischer Ansatz, das heißt, es ist sehr schlecht, populär klar zu machen, was sich dahinter verbirgt. Aber eins ist eindeutig: Die Gewerkschaften und die SPD sind sich darin schon mal einig. Und dieser Schulterschluss wird auch den Leuten draußen klar machen, dass es bei uns nicht nur um reine Politik gegen einen politischen Gegner geht, sondern wir wollen wirklich etwas für die Menschen erreichen, nämlich für die, die in solchen Tarifgebieten arbeiten und die unter solcher Konkurrenz nachhaltig leiden würden.

    Meurer: Wird das Gesetz noch vor der Bundestagswahl kommen?

    Schmidt: Ich bin optimistisch. Ja, ich glaube schon. Wir kriegen es auch rein technisch noch hin. Wir haben zwar zeitliche Schwierigkeiten, aber wenn wir am 12. Juni die Ergebnisse im Vermittlungsausschuss haben werden - egal ob dieses Gesetz oder bei den anderen - dann haben wir noch am 21. Juni den Bundesrat und in der Woche danach den Bundestag, die das beide bestätigen könnten, wenn es zu positiven Ergebnissen in den Verhandlungen käme. Von daher ist das zeitlich durchaus möglich.

    Meurer: Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Schmidt, besten Dank und auf Wiederhören.