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Machtwechsel in Berlin

Ensminger: Das Magdeburger Modell. Es steht seit sechs Jahren für die erste PDS-tolerierte Minderheitsregierung. Damals, 1994, wurde bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt die CDU knapp stärkste Fraktion. Doch die SPD ging mit den Grünen eine Koalition ein, toleriert von der PDS. Vier Jahre später bildete Ministerpräsident Reinhard Höppner eine reine SPD-Minderheitsregierung, weiterhin von der PDS toleriert. Das Magdeburger Modell, es scheint, dass es sich überlebt hat, denn die PDS in Sachsen-Anhalt sprach sich am Wochenende auf ihrem Landesparteitag für die Übernahme von Regierungsverantwortung aus. In Berlin dagegen erlebt jenes Modell von Magdeburg gerade eine Neuauflage. Am Telefon begrüße ich nun den SPD-Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner. Schönen guten Morgen!

    Höppner: Guten Morgen Frau Ensminger.

    Ensminger: Herr Höppner, Regierungswechsel in Berlin mit Hilfe der Stimmen der PDS. Was halten Sie denn davon?

    Höppner: Im Grunde genommen waren ja in Berlin ähnliche Verhältnisse eingetreten, wie wir sie 1994 in Magdeburg gehabt haben. Da war in Magdeburg ja von der CDU die Geschichte ziemlich vor die Wand gefahren worden, drei Regierungen in einer Legislaturperiode, und da brauchte es einen Neuanfang. Der ließ sich mit einer Mehrheitsregierung nicht machen, denn mit der CDU hätten wir die ganzen Probleme noch mal in die neue Legislaturperiode transportiert. Ähnlich ist es jetzt in Berlin der Fall. Berlin braucht einen Neuanfang. Das weiß im Grunde genommen jeder. Der muss jetzt auch schnell kommen. Bei den Mehrheitsverhältnissen ist es momentan so, dass es im Moment nur mit einer Minderheitsregierung zu machen ist, die von der PDS toleriert ist. Allerdings gibt es einen Unterschied. Das muss man ganz deutlich sagen. Wir haben das jetzt ja längere Zeit gemacht, inzwischen sieben Jahre. In Berlin geht das wirklich bloß bis zur nächsten Wahl fürs Abgeordnetenhaus, denn dort sind so viele Probleme anzupacken, die jetzt doch Brocken sind was das Sparen anbetrifft, was den Personalabbau anbetrifft, was das Konzept für Berlin anbetrifft, dass man das wohl nur in einer Regierung machen kann, die dann auch eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat.

    Ensminger: Nur ist Berlin nicht Sachsen-Anhalt. Das heißt durch die Beteiligung der PDS wird hier in der Hauptstadt ein anderes Signal gesetzt?

    Höppner: Gut, die Hauptstadt ist in dem Punkt etwas Besonderes. Aber der entscheidende Unterschied in dem Bereich ist die Tatsache, dass wir es in Sachsen-Anhalt mit einem reinen Ostland zu tun hatten. Berlin ist hingegen gespalten. Berlin ist wirklich tief gespalten. Das ist übrigens die größte Sorge, die ich habe im Blick auf den Wahlkampf, der dort ansteht, dass die Linie des kalten Krieges, die dort von der CDU so ein bisschen im Wahlkampf gezogen wird, die Stadt weiter spalten könnte. Jetzt muss eine Konstellation kommen, wo die Teile zusammengebracht werden. Das geht übrigens auch nur unter Führung der SPD, die in beiden Teilen der Stadt gleich stark ist. Manche würden vielleicht sagen gleich schwach ist, aber das wird sich ändern. Da die CDU im wesentlichen den Westen repräsentiert und die PDS den Osten, muss nun auch mal dieser Ostteil mehr zum Zuge kommen. Dieses Zusammenwachsen war auch in einer großen Koalition nicht mehr möglich.

    Ensminger: Nun ist das Szenario eines kalten Krieges, das die CDU zum Teil zieht, die eine Seite. Die andere Seite: die SED-Nachfolgepartei wird vom Verfassungsschutz beobachtet und das soll voraussichtlich auch so bleiben. "Regieren mit Verfassungsfeinden" hat es "Spiegel online" ein wenig zugespitzt formuliert. Kann das nicht kritisch werden?

    Höppner: Das glaube ich ist erstens eine falsche Formulierung. Zweitens haben wir das ja wie gesagt sieben Jahre. Wir haben natürlich das zusammengetragen, was auch über die verschiedenen Strömungen in der PDS zusammentragbar ist. Aber geheimdienstliche Beobachtung gibt es bei uns nicht. Das finde ich übrigens auch richtig. Ich sehe da auch keinen ernsthaften grund. Es gibt problematische Gruppen und einzelne in anderen Parteien auch. Das ist nicht nur eine Angelegenheit der PDS.

    Ensminger: Trotzdem gibt es inzwischen auch aus den Reihen der SPD kritische Stimmen. Der ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel beispielsweise wirft der PDS vor, sie habe sich bis heute nicht konsequent mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Ist da nicht wirklich was dran?

    Höppner: Darüber kann man immer streiten, ob das konsequent genug ist. Dann muss ich allerdings dazu sagen, das trifft nun auch auf die CDU, das trifft auch auf die FDP zu. Ich denke mal gerade in Berlin an das Thema Mauerbau. Die Volkskammer seinerzeit mit der CDU, mit den damaligen Formen der Liberalen hat diesem Mauerbau zugestimmt. Ich habe da auch noch nichts gehört von öffentlichen Entschuldigungen und Bekenntnissen dazu, dass man dort Fehler gemacht hat. Die sind seinerzeit 1990 ohne solche Bekenntnisse von Helmut Kohl und von der CDU-West geschluckt worden. Insofern würde ich sagen: Wenn solche Vorwürfe kommen, bitte ein bisschen mehr Redlichkeit in dieser Angelegenheit. Und im übrigen: öffentliche Schuldbekenntnisse die erinnern mich auch immer ein bisschen an DDR-Zeiten mit Kritik und Selbstkritik, mit der man dann wieder auf die Reihe gebracht wurde. Das ist schon höchst kompliziert. Ich denke, wir sollten uns genau erinnern, sollten historisch ordentlich werten und darüber diskutieren und daran muss sich die PDS beteiligen.

    Ensminger: Kommen wir mal zu Sachsen-Anhalt. Nach Mecklenburg-Vorpommern nun auch in Berlin möglicherweise eine rot/rote Koalition. Macht Sie das auch in Sachsen-Anhalt mutiger, darüber nachzudenken?

    Höppner: Wir haben eine klare Beschlusslage, übrigens schon eine ganze Weile, dass wir keine Minderheitsregierung mehr bilden werden nach der nächsten Wahl. Wir haben auch beschlossen, dass wir die Frage, mit wem wir zusammenarbeiten, auch erst nach der nächsten Wahl entscheiden wollen. Die SPD ist einfach Mitte. Wenn die SPD dann von allen Seiten Koalitionsangebote bekommt, dann wäre es dumm, vor den Wahlen schon Entscheidungen zu treffen. Das schwächt die eigene Position und schließlich will man ja mit dem zusammenarbeiten, mit dem man seine Politik am besten durchsetzen kann.

    Ensminger: Nun haben es die Grünen bei den vergangenen Landtagswahlen nicht gepackt. Da scheint die Alternative nicht allzu groß?

    Höppner: Ja, die Grünen haben es nicht gepackt, werden es wohl vermutlich auch in den Ostländern diesmal nicht packen. Wir haben im Moment aber die CDU und die PDS als Angebot. Man weiß ja nicht - das weiß man ja auch in Berlin nicht so ganz genau -, was die FDP für eine Rolle spielen wird. Jedenfalls ist es keine Konstellation, wo man sich vorher entscheiden könnte.

    Ensminger: Bleiben wir bei Regierungsbeteiligung der PDS. Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel glaubt, dass die SPD allein um der Macht Willen mit den Erben der Mauerbau-Partei kooperiere, und sie sagt, Ziel sei es, mit einer klaren Strategie über Mecklenburg-Vorpommern, dann Sachsen-Anhalt und jetzt Berlin ihre Koalitionsoptionen im Bund erweitern zu wollen. Was antworten Sie ihr?

    Höppner: Das habe ich 1994 alles schon gehört. Reine Machtpolitik! Ich finde das insofern Unsinn, als wenn man sich die betroffenen Personen anguckt, da ist keiner machtgeil. Natürlich braucht man, um politische Programme durchzusetzen, um etwas zu verändern, auch Macht. Selbstverständlich geht es auch um Macht, aber die CDU hat natürlich Angst. Das muss man verstehen, dass da so bittere Töne kommen. Wenn dieses noch eine Option wird, weil auch durch Hineinnehmen in die Verantwortung die PDS regierungsfähig wird, dann hat die CDU natürlich kaum noch Chancen. Sie hat keine Partner. Sie hat nicht so viele Angebote. Sie wird auf Jahre auf der Oppositionsbank sitzen. Und dass das bitter macht und dass das zu solchen Reaktionen führt, ist doch zumindest menschlich verständlich.

    Ensminger: Trotzdem: die CDU hat ja nicht nur Angst. Sie droht auch. Hessens Ministerpräsident Koch und sein Kollege in Baden-Württemberg Teufel haben gewarnt, die Beteiligung der PDS an der Berliner Landesregierung könne die Suche nach einem neuen Länderfinanzausgleich erschweren, weil sie eben nicht für mehr Wettbewerb zwischen den Ländern, sondern für Subventionsmentalität stehe. Wie sehen Sie das?

    Höppner: Bestrafung im Länderfinanzausgleich ist in unserem Grundgesetz nun wirklich nicht vorgesehen. Ich kann nur sagen: Dieser Gedanke alleine geäußert lässt mich fragen, ob jemand, der das sagt, noch auf dem Boden der Verfassung steht. Tut mir leid, wir haben Föderalismus. Für bestimmte politische Konstellationen wird man in Deutschland nicht bestraft und schon gar nicht im Länderfinanzausgleich.

    Ensminger: Reinhard Höppner war das, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. - Vielen Dank!

    Link: Interview als RealAudio