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Machtwechsel
"Indien kann jetzt den großen Sprung schaffen"

In Indien gibt es nach der Parlamentswahl einen historischen Regierungswechsel. Die Hindu-nationalistische Partei BJP als Wahlsieger und ihr Spitzenkandidat Modi stünden vor großen Herausforderungen, könnten aber auch viel erreichen, sagte der Politologe Christian Wagner im Deutschlandfunk.

Christian Wagner im Gespräch mit Oliver Ramme | 17.05.2014
    Anhänger der indischen Oppositionspartei BJP feiern ihren Wahlsieg.
    Anhänger der indischen Oppositionspartei BJP feiern ihren Wahlsieg. (pa/dpa/EPA/Solanki)
    Oliver Ramme: Die weltweit größte Demokratie Indien steht vor einer neuen Ära. Bei der Parlamentswahl musste die bisher regierende Kongresspartei der Gandhi-Partei, die das Land seit Jahrzehnten prägt, eine historische Niederlage einstecken. Dagegen kamen die Hindu-Nationalisten der BJP und ihre Verbündeten auf eine absolute Mehrheit im Unterhaus. Die Menschen in Indien haben die Nase voll von Korruption, rasant steigenden Preisen und Arbeitslosigkeit. Sie wählten den Wandel. Wahlsieger Modi verspricht Entwicklung für alle. Doch so mancher warnt vor den übermächtigen Hindu-Nationalisten.
    Die BJP also mit einem Kantersieg, die einst allmächtige Kongresspartei der Gandhis schwer geschlagen. Was bedeutet das für die nächsten fünf Jahre für Indien? Darüber spreche ich jetzt mit Dr. Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Wahlsieger Modi sagte, wir müssen jetzt die Träume der Menschen erfüllen. Es geht ihm ja um Armutsbekämpfung und um wirtschaftlichen Aufschwung. Nimmt Modi den Mund zu voll, wenn er gar ganze Träume erfüllen will?
    Wagner: Ja. Vor ihm liegt sicherlich eine sehr schwierige Aufgabe, denn das Land steht natürlich vor gigantischen Problemen. Nicht nur die Korruption, sondern vor allem auch die Arbeitslosigkeit und die steigenden Preise belasten die Menschen, und das ist natürlich hier eine Herkulesaufgabe für Modi, für Linderung zu sorgen und die wirtschaftliche Entwicklung wieder in Gang zu bringen.
    "Besser wird es nicht mehr werden"
    Ramme: Ist er dazu fähig? Was glauben Sie?
    Wagner: Ja, er hat eine ganz klare Mehrheit. Er hat ein klares Mandat. Wenn Indien den großen Sprung schaffen möchte in den nächsten fünf Jahren, dann sicherlich unter einer Regierung mit einer solchen Stabilität. Besser wird es nicht mehr werden.
    Ramme: Stabil ist die Regierung, ja. Aber ist sie denn auch kompetent? Was sagen Sie?
    Wagner: Das wird man abwarten müssen, wer die Ministerposten übernimmt. Es wird vor allem darum gehen, auch die Bürokratie abzubauen. Das dürfte einige Hindernisse hervorrufen. Zum zweiten wird es auch darum gehen, natürlich mit den Bundesstaaten zusammenzuarbeiten. Viele der Versprechungen, die Modi macht, gehen natürlich auch zulasten der Bundesstaaten oder greifen in deren Kompetenzen ein. Hier wird man abwarten müssen, ob seine Partei trotz der Mehrheit nicht noch mit einigen Regionalparteien zusammenarbeiten will, um dann auch seine Gesetzesvorhaben in den beiden Kammern des Parlamentes durchzubringen.
    Ramme: Schauen wir uns mal den Wahlgewinner, den Herrn Modi, den künftigen Ministerpräsidenten genauer an. Der gilt ja als Polarisierer, ein Mann, der angeblich Blut an seinen Händen hat. Gegner beschuldigen ihn gar, als Regierungschef seines Heimatstaates Gujarat die brutalen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Hindus 2002 absichtlich nicht gestoppt zu haben. Es gab damals über tausend Tote. Hat Modi Ihrer Ansicht nach tatsächlich das Zeug, Indien zu spalten? Hat er das sogar vielleicht vor?
    "Balance finden zwischen seinem wirtschaftsliberalen Teil und den religiös-konservativen Kreisen"
    Wagner: Ich glaube nicht, dass er es vorhaben wird, denn das würde natürlich die politische Stabilität des Landes doch sehr stark ins Wanken bringen. Ausschreitungen zwischen den Religionsgruppen würden natürlich das Investitionsklima dramatisch verschlechtern, würden natürlich auch Indiens Ansehen in der Welt deutlich eintrüben. Modi hatte ja aufgrund dieser Ausschreitungen in Gujarat unter anderem auch Einreiseverbot in die USA. Also er muss hier vor allem in den nächsten Jahren eine Balance finden zwischen seinem wirtschaftsliberalen Teil der BJP und den religiös-konservativen Kreisen, die natürlich dieses klare Mandat auch als Auftrag sehen, jetzt ihre hindu-nationalistische Agenda durchzusetzen und damit auch die religiösen Privilegien der Minderheiten einzuschränken.
    Ramme: War Modi mal radikaler?
    Wagner: Er war vielleicht mal radikaler, aber ich denke, er muss natürlich jetzt auch auf den Konsens bedacht sein. Er kann natürlich Indien nicht in der Form regieren, wie er seinen Bundesstaat Gujarat regiert hat. Er ist ja auf die Zusammenarbeit auch mit den Bundesstaaten, auch mit der Opposition angewiesen, und ich denke, das wird ihn sicherlich auch in der Alltagspolitik deutlich moderater werden lassen.
    "Modi steht für die Aufstiegshoffnung"
    Ramme: Modi ist ja vom Teeverkäufer jetzt zum Ministerpräsidenten aufgestiegen, ein Mann des Volkes also, aber auch gleichzeitig ein Mann der Wirtschaft. Wie kommt das? Wie kann er beide Lager vereinen?
    Wagner: Ja, er steht natürlich für die Aufstiegshoffnung, für die Träume der wirtschaftlichen Entwicklung. Er steht vielleicht auch für das ungelöste Potenzial, das man Indien ja seit vielen Jahren zuschreibt. Die Menschen träumen natürlich davon, dass unter seiner Regierung jetzt sich ihre Aufstiegshoffnungen erfüllen werden. Das wird sicherlich auch viele Enttäuschungen hervorrufen, denn Modi ist natürlich auch sehr stark von sehr einflussreichen Kreisen in der Wirtschaft unterstützt worden. Das heißt, er muss auch die Liberalisierung des Landes vorantreiben, und das stößt auch in seiner eigenen Partei, der BJP, nicht immer unbedingt auf Gegenliebe. Hier wird es auch innerhalb der Mehrheitspartei, glaube ich, in den nächsten Wochen und Monaten sehr kontroverse Diskussionen geben, wie man den wirtschaftsliberalen Flügel mit dem religiös-konservativen Flügel miteinander aussöhnen kann.
    Ramme: Schauen wir zum Schluss auf den großen Verlierer, die Kongresspartei. Wird die sich denn in den nächsten fünf Jahren wieder berappeln, oder geht die nun in die ewige Versenkung?
    Wagner: Vielleicht läutet diese Wahl auch das Ende der Kongresspartei ein und vielleicht werden wir jetzt auch ein Indien ohne die Gandhis sehen, was ich aber nicht unbedingt als Nachteil sehen würde, denn es zeigt vielleicht auch die Weiterentwicklung der indischen Gesellschaft, dass man sich von diesen Dynastien löst, dass die Ausdifferenzierung, die Modernisierung des Landes voranschreitet und diese großen Dynastien und Namen, die seit der Unabhängigkeit das Land geprägt haben, mittlerweile ihre Geltung verloren haben. Rahul Gandhi wird vermutlich jetzt keine weitere politische Karriere mehr anstreben, dazu waren seine Leistungen im Wahlkampf, auch in vorangegangenen Wahlen zu schlecht. Eventuell werden die Hoffnungen jetzt auf seiner Schwester Priyanka liegen, die ja jetzt bereits im Wahlkampf auch schon aufgetreten ist, und vielleicht wird sie es schaffen, die Kongresspartei zu erneuern.
    Ramme: Indien hat den Wechsel gewählt - Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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