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Männer können nicht tanzen, Frauen nicht einparken

Bereits im Alter von drei bis vier Jahren lernen Kinder, soziale Gruppen zu unterscheiden. Vorurteile übernehmen Kleinkinder dabei zunächst von den Eltern, später spielt die Einstellung von Freunden eine zentrale Rolle. Doch es gibt Möglichkeiten, Kinder früh zur Toleranz zu erziehen.

Von Barbara Leitner | 15.03.2012
    "Da waren die Kinder alle vier, als ich die Gruppe übernommen habe, und da stellte ich erschüttert fest, da gab es solche Ausgrenzungen von manchen Kindern, so ne Etikettierung. Und ich hörte von den Kindern immer, der ist nicht mein Freund, und der haut immer und der schupst immer, und ich habe gedacht, ich hör nicht richtig."

    Petra Beutel, Erzieherin in der Kita "Tausendfüßler" in Berlin-Lichtenberg.

    "Ich hatte mal eine Situation, da hatte ein Junge eine Strumpfhose an, die war geringelt und da war ein rosa Streifen drin, und da haben mehre Jungs gesagt, das ist eine Mädchenstrumpfhose."

    Bereits im Kleinkindalter nutzen Kinder Zuschreibungen, zu allererst darüber, was Frauen und Männer unterscheidet und was Mädchen und Jungen können und dürfen. Das sind noch nicht wirklich Vorurteile.

    "Wenn wir von Vorurteilen reden in der Öffentlichkeit, meinen wir meist schon vor-gefertigte Meinungen, Zuschreibungen, die sehr negativ sind. Natürlich können wir solche ausgeprägten Muster bei Kindern noch nicht finden. Aber was wir finden können, dass sie die eigene soziale Gruppe anders einschätzen als eine andere soziale Gruppe, und das beginnt sehr früh, und das hängt zusammen mit der sozialen Kategorisierung. "

    Professor Andreas Beelmann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Psychologe analysiert mit seinem Team die Entwicklung von Vorurteilen bei Kindern.

    "Menschen neigen dazu und das ist auch ganz normal, dass sie ihre soziale Umwelt in Kategorien einteilen. Das ist für die eigne Identitätsentwicklung wichtig, und später ist es umso wichtiger, um mit der komplexen Lebenswirklichkeit zu Recht zu kommen. Da ist es eben so, dass ganz früh in der Entwicklung, mit drei, vier Jahren, wenn Menschen an-fangen mit sozialen Kategorien zu leben automatisch diese Bewertungsunterschiede auf-treten. Die sind aber vergleichsweise klein."

    Deshalb sind Klischees wie, Mädchen könnten nicht Fußballspielen und Jungen würden nicht tanzen im Kindergarten zunächst normal – weil veränderbar. Und genau das interessiert den Psychologen. Er forscht über die Diskriminierung und soziale Toleranz zwischen sozialen Gruppen, über Aggression und Gewaltprävention. Er will wissen, woher Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus erwachsen, um darauf Einfluss nehmen zu können. Deshalb untersucht sein Team die Bewertungsunterschiede bei Grundschülern.

    "Das eine ist die Frage nach der Sympathie. Wie sehr magst du Kinder, die aus Russland kommen? Wie sehr magst du chinesische Kinder? Oder: Wie sehr mag man Kinder, die aus Deutschland kommen? Aus der Differenz sehen wir den Bewertungsunterschied. Eine zweite Möglichkeit ist, man legt Eigenschaftsworte vor, die dann zugeordnet werden. Da schreibt man positive Merkmale wie freundlich, hilfsbereit, aber auch negative wie gemein, sucht Streit, ist faul. Und diese Merkmale werden dann bestimmten sozialen Gruppen zugeordnet. Eine dritte Dimension ist, was wir Verhaltensintention nennen, wo es in die Richtung von Diskriminierung geht. Bei Kindern macht man das, in dem man sie fragt, wie gerne möchtest du mit xy aus einer sozialen Gruppe spielen, einer anderen Klasse, einer anderen Nationalität.

    Bereits im Alter v on drei bis vier Jahren lernen Kinder, soziale Gruppen zu unterscheiden. Vorurteile übernehmen Kleinkinder dabei zunächst von den Eltern, später spielt die EInstellung von Freunden eine zentrale Rolle. Doch gibt es Möglichkeiten, Kinder früh zur Toleranz zu erziehen.

    Wie gern würdest du ihn nach Hause einladen oder zum Geburtstag. Man kann auch fragen, da kommt eine neue Familie aus Russland, aus China in deine Stadt. Wo sollen die wohnen, und da hat man eine Landkarte, und aus der Distanz zum eigenen Haus schafft man dann eine soziale Distanzeinschätzung und dann wieder im Unterschied zu einer deutschen Familie, die in den gleichen Ort zieht."

    Diese Haltungen übernehmen die Kinder aus dem Umfeld, vorzugsweise von den Eltern. Sie prägen sich nach und nach aus, werden dann aber weniger bedeutsam. Das wissen die Jenaer Wissenschaftler auch aus einer Reihe von internationalen Forschungsergebnissen.

    Aktuelle amerikanische Studien beispielsweise sagen, dass die Peers und die Alltagserfahrungen in der frühen Jugend den Einfluss der Familie beinahe auflösen.

    Wann aber ist dann der richtige Zeitpunkt, einer Voreingenommenheit entgegen zu wirken und Toleranz zu entwickeln? Andreas Beelmann ist davon überzeugt - im Grundschulalter.

    "Weil wir gemerkt haben, dass es in der geistigen Entwicklung von Kindern eine Phase gibt, die dazu beiträgt, dass solche Bewertungsunterschiede fallen, und das ist im Alter zwischen sieben und zehn Jahren. Da nimmt die kognitive Komplexität zu, wie wir sagen, das heißt auch ihr Differenzierungsvermögen nimmt zu und aufgrund dieses Differenzierungsvermögens sind sie in der Lage, auch individuell Personen einzuschätzen und nicht auf der Basis ihrer sozialen Kategorie."

    Die Kinder können dann sagen: Ich weiß, dass es in meinem Umfeld Vorurteile gegenüber Zuwanderern gibt. Ich mag es aber, mit Dana aus Russland zu spielen oder habe durch Dan viel über das Leben in Vietnam erfahren.
    Genau auf solche Erweiterungen des Blickwinkels zielt das multikulturelle Trainings-programm, das Professor Beelmann und sein Team nutzt. Es vermittelt zum einen Informationen über und zum anderen Kontakt mit Menschen anderer Kulturen.

    "Ganz typischerweise liegt das vor, wenn man im Sportverein zusammen unterschied-liche Ethnien Sport treibt, Mannschaftssport. Das wäre ein Paradebeispiel für einen guten Kontakt. Wenn man dann noch Freundschaften aufbaut, echte soziale Freundschaft, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dort jemand extreme Vorurteile entwickelt, minimal."

    Die 450 Schüler allerdings, die das Forscherteam inzwischen von der 2. bis zur 7. Klasse begleitet, leben in ländlichen Regionen Thüringens. Dort sind wenige Menschen nichtdeutscher Herkunft zu Hause. Um etwas über andere Kulturen, Sitten und Gebräuche zu erfahren, lesen die Mädchen und Jungen deshalb Geschichten über Gleichaltrige. Auf diese Weise lernen sie die Welt mit den Augen anderer zu betrachten. Auch dadurch können Vorurteile im gewissen Maße verringert werden, ergaben die Tests der Wissenschaftler. Doch Andreas Beelmann schränkt gleichzeitig ein:

    "Wir stellen in unserer Längsschnittstudie fest, dass die Höhe der Bewertungsunter-schiede relativ stabil ist. Also ein Kind, dass mit sechs Jahren relativ hoch lag mit den Be-wertungsunterschieden ist es auch mit neun Jahren und das ist schon erstaunlich, weil in diesem Altern die menschliche Entwicklung sehr sehr flexibel ist. Wie sich das dann fort-trägt, dass man dann im jugendlichen Alter sagt, das sind ganz gemeine Menschen, aggressive Menschen, die sollen raus aus Deutschland, das kann man noch nicht mit zu-verlässiger Gewissheit sagen. Ich vermute aber mal, dass es nicht bedeutungslos ist, weil es bereits in dem Alter bis zehn, zwölf Jahre eine relativ hohe Stabilität hat."

    Umso wichtiger ist es, dass Erwachsene und vor allem Pädagogen sich ihrer Vorurteile bewusst werden, sich um eine wertfreie Begegnung bemühen und die Kinder anleiten, ihre Positionen zu hinterfragen. Das tut die Erzieherin Petra Beutel.

    "Wie ich mit den Kindern spreche, hat sich verändert. Dass ich versuche erst mal zuzuhören und nicht zu bewerten, weil man als Erzieherin auch dazu neigt, man möchte die Dinge bewerten. Ich möchte die Kinder so sensibilisieren, dass sie genau hingucken und auch Sachen hinterfragen. Ich frage dann auch manchmal stimmt denn das wirklich. Wollen wir doch mal gucken, ob das wahr ist. "