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"Mahmud Abbas ist ein Präsident, dessen Präsidentenperiode abgelaufen ist"

Mit Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas verhandeln nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Helga Baumgarten von der Universität Birzeit zwei Politiker, die in ihrer Heimat sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Viele Palästinenser sprächen Abbas die Legitimität ab, während Netanjahu die breite israelische Bevölkerung hinter sich habe, sagt Baumgarten.

Helga Baumgarten im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Das Atmosphärische stand im Vordergrund, eben das Ziel, das Eis zu brechen zwischen der israelischen und der palästinensischen Führung. Das ist in Washington nun offenbar gelungen. Shake Hands an Hillary Clinton vorbei. Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas haben sich beim Handschlag freundlich und offen in die Augen geschaut. Der Zeitplan für den Fortgang der Friedensverhandlungen steht und beide Seiten haben glaubwürdig versichert, wir meinen es diesmal ernst.

    Schauen wir noch einmal auf das Atmosphärische in Washington, was offenbar so wichtig war. Darüber sprechen wollen wir nun mit der Politikwissenschaftlerin Helga Baumgarten von der Universität Birzeit bei Ramallah im Westjordanland. Guten Tag!

    Helga Baumgarten: Einen schönen guten Tag.

    Müller: Frau Baumgarten, haben Sie Benjamin Netanjahu so viel Freundlichkeit zugetraut?

    Baumgarten: Nun, es war nicht nur Freundlichkeit seitens Herrn Netanjahu, es war genauso überraschend die Freundlichkeit seitens des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Das hat sicher alle überrascht, wie diese herzliche Atmosphäre - anders kann man es, glaube ich, gar nicht benennen - entstanden ist zwischen zwei politischen Führern, die bis dato keinerlei Bereitschaft zur Kommunikation gezeigt haben.

    Müller: Warum sind die jetzt so schnell Freunde geworden?

    Baumgarten: Ich denke, sie sind sicher nicht Freunde geworden. Ich vermute, man versuchte, von beiden Seiten aus, die amerikanische Einladung so positiv wie möglich zu wenden und damit die Skepsis auf beiden Seiten weitgehend aus dem Weg zu räumen, dass wir schlicht vor der Phase einer neuen Verhandlungsrunde sind, aus der am Ende überhaupt nichts kommen wird.

    Müller: Wer hat von beiden, Frau Baumgarten, am meisten zu verlieren?

    Baumgarten: Ich denke, die schwächste Partei ist ganz eindeutig die palästinensische Partei. Mahmud Abbas ist ein Präsident, dessen Präsidentenperiode abgelaufen ist. Die Palästinenser sind geteilt zwischen Westbank und Gazastreifen, enorm schwach, und viele kritisieren, dass sie inzwischen im Westjordanland einen durch die USA finanzierten und ausgebildeten Polizeistaat zumindest in der Entwicklung haben. Viele Palästinenser sprechen Mahmud Abbas selbst die Legitimität ab. Und genau das Gegenteil sehen wir auf der israelischen Seite, wo Netanjahu doch die breite israelische Bevölkerung hinter sich hat, wo sehr viele Kommentatoren argumentieren: Egal ob Netanjahu nach einem Jahr ein Abkommen heimbringt - und hier ist Skepsis angebracht und die meisten Leute erwarten dies nicht -, oder ob er nichts heimbringt, er wird auf jeden Fall der Gewinner sein. Das sieht bei Mahmud Abbas ganz anders aus. Selbst wenn Amerikaner und Israel Mahmud Abbas ein Abkommen aufoktroyieren werden, wird er der Verlierer sein, weil er keine Zustimmung seitens der Palästinenser bekommen wird, wenn nicht die wichtigsten palästinensischen Forderungen durchgesetzt sind, also zumindest Abzug der Siedlungen entlang dieses Planes, was unser Kollege aus Israel skizzierte, durch Nahum Barnea. Das heißt, die Palästinenser sind ganz eindeutig die Verlierer - und ich denke, Mahmud Abbas weiß das -, während Netanjahu große Chancen hat.

    Müller: Frau Baumgarten, ich muss Sie da noch mal unterbrechen. Wir haben auch nicht so viel Zeit. - Sie sagen, die Palästinenser sind jetzt schon die Verlierer. Warum sollen die Palästinenser dann konstruktiv sein?

    Baumgarten: Ich denke, aus dem schlichten Grund, weil sie unter massivem amerikanischen Druck stehen und gar keine Alternativen haben. Man sollte nicht vergessen: Die palästinensische Autorität wird derzeit voll und ganz aus den USA und aus Europa finanziert. Und wenn diesem amerikanischen Druck nicht Folge geleistet wird, dann hat Mahmud Abbas keinerlei Zukunft. Das heißt, er macht jetzt derzeit schlicht gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt natürlich die ganz, ganz, ganz, ganz wenigen, die erwarten, vielleicht kommt doch etwas aus diesen Verhandlungen heraus. Die Chancen, die eigentlich die meisten Spezialisten erwarten, stehen sehr, sehr schlecht, vor allem aus dem schlichten Grund, dass die USA klar formuliert haben, dass sie nicht bereit sind, Druck auf Israel auszuüben.

    Müller: Wenn wir, Frau Baumgarten, über Frieden und Sicherheit, auch über eine wirtschaftliche Perspektive reden, könnte man dann, ohne zynisch zu sein, sagen, dass weniger auch mehr sein könnte für die Palästinenser?

    Baumgarten: Ich denke, es geht hier nicht um wirtschaftliche Aspekte; es geht hier ganz eindeutig und ausschließlich um politische Aspekte. Das heißt, es geht um die Frage, werden die Palästinenser aus diesen Verhandlungen einen lebensfähigen, souveränen palästinensischen Staat heraus bekommen, mit Jerusalem, einem Teil Jerusalems als Hauptstadt der Palästinenser, oder nicht? Ich denke, alles andere wird für jeden Palästinenser das Ende sein.

    Müller: Aber das weiß die andere Seite auch?

    Baumgarten: Das weiß die andere Seite auch. Nur die Israelis können mit dieser Problematik zumindest kurz- oder mittelfristig sehr gut leben. Nur langfristig muss sich jeder israelische Führer auch fragen: Kann man auf Dauer die Realität eines Apartheidstaates, wie er existiert vor Ort, aufrecht erhalten, wird man dafür auf Dauer die Unterstützung der internationalen Gesellschaft behalten oder nicht? Das heißt, Israel steht in gewisser Weise vor der Frage, die letzte Chance für die Durchsetzung einer Zweistaatenlösung, die den Abzug der Siedlungen voraussetzen würde, oder aber langfristig nur die Alternative einer Einstaatenlösung, in der Palästinenser und jüdische Israelis in einem Staat als gleichwertige Bürger zusammenleben. Das ist, denke ich, letztendlich die entscheidende Frage, um die es geht.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk die Politikwissenschaftlerin Helga Baumgarten von der Universität Birzeit bei Ramallah im Westjordanland. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Baumgarten: Auf Wiederhören.