Dienstag, 21. Mai 2024

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Mahnwache in Berlin
"Falsches Islambild ruft Ängste hervor"

Nach 60 Jahren Einwanderung ist es laut Tayfun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrats NRW, selbstverständlich, dass der Islam zu Deutschland gehört. Er verstehe aber, dass Deutsche Ängste vor dieser Religion hätten, sagte er im DLF - und die gelte es, abzubauen.

Tayfun Keltek im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 14.01.2015
    Tayfun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrats NRW
    Tayfun Keltek, Landesintegrationsrat NRW, will mehr Wissen über den Islam in die deutsche Gesellschaft tragen. (Deutschlandradio / Ann-Christin Heidrich)
    Muslime, die in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben, hätten kein anderes Heimatland, sagte Tayfun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrats NRW, im DLF. Daher sei es selbstverständlich, wenn deren Religion zu diesem Land dazugehöre. "Die Wahrnehmung in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist aber eine andere", sagte Keltek. Der Islam werde überwiegend als fremd angesehen.
    Das liege daran, dass die Gläubigen es versäumt haben, Wissen über den Islam in die deutsche Gesellschaft hineinzutragen. Zur Kenntnis werden nur extreme Strömungen der Religion genommen - und dieses falsche Islambild schüre Ängste. Keltek ruft seine Glaubengenossen auf, sich wie Einheimische zu benehmen. "Wir müssen unsere Bedürfnisse artikulieren", so Keltek. Dies baue Misstrauen ab.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Zu einer Mahnwache für ein weltoffenes und tolerantes Deutschland und für Meinungs- und Religionsfreiheit hatten der Zentralrat der Muslime in Deutschland und die türkische Gemeinde gestern Abend vor das Brandenburger Tor in Berlin geladen. 10.000 Menschen sind diesem Aufruf gefolgt. Gekommen ist auch fast die komplette Bundesregierung, Kanzlerin Merkel in der ersten Reihe, der Bundespräsident Joachim Gauck.
    Über diese Kundgebung in Berlin, über die Gefahr des Terrors hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit Tayfun Keltek sprechen können, dem Vorsitzenden des Integrationsrates in Nordrhein-Westfalen, und auch über den Islam in Deutschland.
    Tobias Armbrüster: Herr Keltek, gehört Ihre Religion, gehört der Islam zu Deutschland?
    Tayfun Keltek: Nach 60 Jahren Einwanderung, wenn man noch nicht mal diesen Satz aussprechen darf, und dann anschließend über die Willkommenskultur sich äußern, und dann, dass wir gerne, dass diese Menschen sich hier integrieren, steht ganz im Widerspruch. Die dritte Generation lebt hier mit der islamischen Herkunft. Das, glaube ich, müsste eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch deren Religion zu diesem Land gehört, weil diese zweite, dritte Generation hat kein anderes Heimatland als Deutschland.
    Armbrüster: Haben die Muslime in Deutschland den Eindruck, dass ihre Kultur und ihre Religion hier akzeptiert und zuhause sind?
    Keltek: Nein, da haben sie hier deswegen Probleme. Sie fühlen sich persönlich den Untersuchungen ergeben, auch immer wieder, dass sie sich hier heimisch fühlen, dass sie zu diesem Land loyal sind, aber dass die Wahrnehmung der Mehrheit der Bevölkerung leider in die entgegengesetzte Richtung geht, und dass sie einfach immer noch, die Menschen mit dem muslimischen Glauben, Gefahr laufen, sagen wir mal, als überflüssig angesehen zu werden oder dass man zur Bekämpfung aufruft.
    Armbrüster: Wenn nun der Islam zu Deutschland gehört, wie Sie sagen, gehört dann auch der Islamismus zu Deutschland?
    Keltek: Das könnte man auch gleichzeitig anders herum drehen und dann gibt es auch eine ganze Menge extreme Gruppierungen im Christentum. Aber ich möchte damit nicht anfangen. Selbstverständlich bin ich dagegen, dass die Religion auch instrumentalisiert wird, missbraucht wird, oder in der sehr extremen Form gelebt wird. Das könnte, glaube ich, immer wieder diskutiert werden, das ist auch nicht unser Vorzug. Aber auch der Terrorismus dürfte nicht mit dem Islam in direkten Zusammenhang gebracht werden.
    "Objektive Informationen über den Islam fehlen"
    Armbrüster: Können Sie denn verstehen, dass Menschen in Deutschland Angst vor dem Islam haben?
    Keltek: Kann ich sehr gut verstehen, deswegen gut verstehen, weil über den Islam die Menschen aus islamischen Ländern keine objektiven Informationen an die Bevölkerung hereingetragen werden, dass immer Auffälligkeiten vermittelt werden. Das ist auch ein typisches Beispiel dafür, dass die Ängste in den Städten oder in den Bundesländern, in denen kaum muslimische Menschen leben, umso größer sind, und dann kann man sich auch wirklich vorstellen, es geht hier darum, was für ein Bild, was für eine islamische Religion vermittelt wird in dem öffentlichen Bewusstsein. Das ist, glaube ich, falsch. Diese falschen Informationen verursachen leider auch bei der deutschen Bevölkerung eine gewisse Ablehnung und Distanzierung. In erster Linie rufe ich die Politiker dazu auf: Anstatt immer wieder darüber zu diskutieren, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht zu Deutschland gehört, müssen sie dafür sorgen, dass wirklich einfach ganz normale Informationen, objektive Informationen über die Religion, über diese Menschen in die Öffentlichkeit gebracht werden.
    Armbrüster: Genau das wurde ja auch probiert bei dieser Mahnwache in Berlin. Da wurden auch wieder eine Menge Reden gehalten, die den Islam verteidigen. Aber wenn wir uns das mal alles vor Augen führen, was da in den vergangenen Tagen in Frankreich passiert ist, ist es dann nicht eigentlich unausweichlich, dass auch hier bei uns in Deutschland das Misstrauen gegenüber dem Islam größer wird und dass die Kluft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ebenfalls größer wird?
    Keltek: Das kann ich sehr gut verstehen. Das ist auch die Aufgabe, diese Kluft nicht entstehen zu lassen, wie ich es auch sagte, durch diese objektive Information.
    Armbrüster: Aber genau das ist ja immer leicht gesagt, das nicht entstehen lassen. Was kann man jetzt dagegen tun?
    Keltek: Weiter dagegen arbeiten, dagegen steuern. Ich denke mittlerweile nach diesen schlimmen Geschehnissen, die Haltung der Politiker war wirklich einmalig und sehr gut. Die Bundeskanzlerin hat sich ja sehr, sehr souverän zu diesem Thema verhalten. Das sollte nicht nur in solchen Krisenphasen getan werden, das müsste eine Daueraufgabe sein.
    "Wir müssen uns hier in unserem Land wie Einheimische verhalten"
    Armbrüster: Was ist denn auf muslimischer Seite zu erwarten?
    Keltek: Ich spreche so auch, wenn ich mit denen rede, und dann sage ich, das ist hier unser Land und in unserem Land müssen wir uns auch wie Einheimische verhalten, auch die Verantwortung für dieses Land übernehmen. Weitgehend wird diese Aufgabe auch erfüllt. Das heißt, die identifizieren sich mit diesem Land, übernehmen auch diese Aufgaben. Aber das ist nicht genug, das muss mehr sein. Wir müssen auch wirklich diese extremen Gruppierungen innerhalb unserer Reihen auf jeden Fall nicht hochkommen lassen. Mehr Informationen. Auch vor allem den Jugendlichen müssen wir mehr Chancen einräumen und dann vor allem uns sehr deutlich in der Gesellschaft artikulieren, was wir sind und was wir erwarten. Leider haben die Immigranten in der Vergangenheit, ob sie aus den islamischen Ländern sind oder sonst irgendwo anders her sind, ihre Bedürfnisse noch nicht richtig artikuliert. Wenn wir uns artikulieren, dann, denke ich, werden wir auch von der deutschen Bevölkerung besser verstanden. Das ist auch unsere Aufgabe, dass wir uns hier an den Diskussionen oder an den Äußerungen beteiligen.
    Barenberg: Tayfun Keltek, der Vorsitzende des Landesintegrationsrates in Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.