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Anthony Burgess: "Jetzt ein Tiger“, "Der Feind in der Decke“, "Betten im Orient“
Malaysia sehen und schreiben

Die letzten Tage des alten British Malaya mit seiner multiethnischen Vielfalt und die Gründung des modernen Malaysia aus Sicht eines britischen College-Lehrers. Davon erzählt Anthony Burgess in drei Romanen. Fünf Jahre verbrachte er selbst in Südostasien. Diese Zeit machte ihn zum Schriftsteller.

Von Julia Schröder | 21.08.2022
Anthony Burgess' Malaya-Trilogie: „Jetzt ein Tiger“, „Der Feind in der Decke“, „Betten im Orient“
Anthony Burgess' Malaya-Trilogie erschien noch vor seinem berühmtesten Buch "A Clockwood Orange" (Cover: Elsinor Verlag)
Was gibt mehr Erzählstoff her als ein Weltreich? Ein langsam zerfallendes Weltreich. Größen der britischen Literatur wie Joseph Conrad und Rudyard Kipling, E. M. Forster, William Somerset Maugham und Evelyn Waugh schlugen poetischen Profit aus den morbid-exotischen Reizen des kolonialen Empire in Afrika, der Südsee, in Südostasien und auf dem indischen Subkontinent. So unterschiedlich wie diese Autoren waren ihre Geschichten und Gedichte. Doch ob sie von leiser Tragik oder lauter Komik lebten, grundiert waren von bestürzender Fatalität oder parabelhafter Moral – etwas hatten sie gemeinsam.
Das war die Vorstellung vom Einzelnen und seinem individuellen Schicksal, der sich in einer mehr oder weniger chaotischen Fremde behauptet oder daran scheitert. Und der – oder auch die – Einzelne ist immer weiß, immer westlich, so wie die adressierte Leserschaft. Das Chaos hingegen ist schwarz oder braun – ob die Werke nun „Das Herz der Finsternis“, „White Man’s Burden“ oder „Black Mischief“ im Titel tragen.
An diese Tradition scheint 1954 ein Mann Mitte dreißig anzuknüpfen, der sich von der britischen Kolonialverwaltung als Lehrer an ein College im Nordwesten des heutigen Malaysia schicken lässt. John Anthony Burgess Wilson will einen letzten Blick auf das multiethnische Kolonialgebilde des alten British Malaya werfen, das sich auf die Unabhängigkeit vorbereitet. In den folgenden Jahren erlebt er, wie die Zügel der britischen Verwaltung loser werden. Er beobachtet, wie die Volksgruppen der Malaiien, Chinesen, Sikhs und Tamilen um soziale, ökonomische und politische Vorherrschaft konkurrieren. Er wird Zeuge, wie schließlich der Kampfruf „Merdeka!“, „Freiheit“, zur Losung der jungen parlamentarischen Demokratie Malaysia wird. Und er wird darüber schreiben.

Malay College, das Eton des Orients

Anthony Burgess, wie er sich als Autor nannte, hat Malaysia Anfang der Achtzigerjahre für eine Fernsehdokumentation noch einmal aufgesucht:
„Hier habe ich unterrichtet: am Malay College in Kuala Kangsar. Es wurde 1905 gegründet, als eine Art britische Privatschule für die Söhne malaiischer Sultane und Rajas und Häuptlinge. Es hieß das 'Eton des Orients'. Es wurde bald demokratisiert. Der Sohn eines Pflanzers oder Fischers oder Dorf-Heilers war jetzt willkommen, solange er aufgeweckt und ernsthaft genug war. Das College blüht und gedeiht bis heute, aber die Briten, die es gegründet haben, sind weg. Jetzt unterrichten malaiische Lehrer malaiische Schüler auf Malaiisch, und nicht mehr auf Englisch.“
Die Erfahrungen und Beobachtungen in Kuala Kangsar und später in Kota Bharu im nordwestlichen Sultanat Kelantan hat Anthony Burgess in seiner Malayan Trilogy verarbeitet. Jetzt ist sie erstmals vollständig auf Deutsch zu lesen, übersetzt von Ludger Tolksdorf. Im Original erschienen die Romane „Jetzt ein Tiger“, „Der Feind in der Decke” und „Betten im Orient” zwischen 1956 und 1959. Sie sind also unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebten entstanden.
„Nach der Arbeit für die Schule habe ich immer in 'kediahs', in kleinen Trinkläden wie diesem gesessen und meinen ersten Roman entworfen. Ich nannte ihn 'Time for a Tiger', 'Jetzt ein Tiger'. Dafür habe ich mir den Slogan des Biers geliehen, das ich dazu getrunken habe.“

Immer wieder wird Burgess von dieser Lebensstation erzählen, die seinen Weg als Schriftsteller entscheidend geprägt hat, in Vorträgen, Aufsätzen und Interviews.

„Ich kam als Lehrer hierher, aber ich kehrte als Schriftsteller zurück. Vorher hatte ich überhaupt keine Ambitionen als Schöpfer von Literatur, ich verstand mich eher als Musiker.“

Malaysia als Ende eines Schaffensstaus

Anthony Burgess hat tatsächlich mehr als 300 Musikstücke komponiert. Aber was er 1981 in diese schlagende Formulierung goss, entspricht den Tatsachen nur bedingt. „Jetzt ein Tiger“ war der erste Roman von ihm, der von seinem Verlag herausgebracht wurde. Zuvor waren jedoch Manuskripte abgelehnt worden. Eine Gedichtsammlung fand keine Gnade vor den Augen des Lektors. Das war, nebenbei bemerkt, T. S. Eliot persönlich.
Ein Roman über seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, „A Vision of Battlements“, konnte erst 1965 erscheinen, drei Jahre nach seinem berühmtesten Buch, „A Clockwork Orange“. Weniger romantisch, aber psychologisch glaubwürdiger liest sich, was Burgess über die Bedeutung seiner Zeit in Malaysia 1968 in der Zeitschrift „Punch“ schrieb:  
„Das Erlebnis einer Mischkultur regte meine Fantasie an und beseitigte einen Schaffensstau, der seit Kriegsende angedauert hatte.“

Auf vergleichbare Anregung in British Malaya hofft der Held – oder Anti-Held – in Burgess‘ Romantrilogie. Victor Crabbe, ein Mittdreißiger, kommt als Lehrer an ein fiktives College. Burgess‘ eigene Wirkungsstätten als Kolonialbeamter sind in den Handlungsorten unschwer wiederzuerkennen. Überhaupt scheint es, als teile Crabbe vieles mit seinem Autor. Er ist wohlmeinend, interessiert am Leben in den dörflichen Siedlungen, den „kampongs“, und aufgeschlossen für die Bedürfnisse und Eigenheiten ihrer Bewohner.
Er will er seinen Schülern etwas vermitteln, womit sie die Zukunft ihres Landes gestalten können. Die pädagogische Qualifikation des Geschichtslehrers wird dabei auf harte Proben gestellt. Etwa, als er versucht, der Klasse die Notwendigkeit des technischen Fortschritts nahezubringen. Die jungen Menschen begegnen seinen Argumenten mit unschlagbarer Rabulistik:

„Aber Sir, die Menschen in den kampongs haben keine Maschinen, aber sehr viel Freizeit. Sie sitzen in der Sonne und arbeiten nicht und sind glücklich. Ich verstehe nicht, wie Maschinen Freizeit erzeugen können.“
Victor Crabbe, zu Studienzeiten Kommunist, ist überzeugt vom Wirken einer zwingenden historischen Dialektik. Eine Überzeugung, die zuweilen die Gestalt grimmiger Schicksalsergebenheit annimmt.

„Dass er hier in einem braunen Land lebte und in einem fremden Klassenzimmer vor Hitze zerging, war geschichtlich vorgezeichnet und angeordnet. (…) Also war es richtig so, dass er jetzt hier stand und dem Orient etwas über die industrielle Revolution beibrachte. Es war richtig so, dass auch diese Jungs durch Megafone brüllen, Bombenladungen überprüfen,  (…) fünfstimmigen Kontrapunkt hören und verstehen sollten. Richtig so war aber auch, dass er selber tiefe Atemzüge der Erfrischung aus der Luft des Orients nahm, sogar aus den Schwaden von Knoblauch und Trockenfisch und Kurkuma.“

Natur, Affären und sehr viel Alkohol

Die „tiefen Atemzüge der Erfrischung“ bestehen in sinnlichen Erlebnissen aller Art. Dazu gehören nicht unbedingt die laffen, lauwarmen Mahlzeiten der College-Mensa, dafür grandiose Sonnenaufgänge, üppige Natur, zwei Affären und sehr viel Bier, Gin und Whiskey. Mit diesen Genüssen konkurrieren die kleinen Widrigkeiten des Alltags und die wuchernden Fehlentwicklungen in Victor Crabbes Dasein. Sie werden ihn, so viel sei verraten, noch vor dem Ende des dritten Teils das Leben kosten.
Manche sind Folge von Missverständnissen und Unbedachtheit, andere resultieren aus der selbstzufriedenen Ignoranz seiner Vorgesetzten, der allgegenwärtigen Korruption und den erratischen Verhaltensweisen praktisch aller Vertreter der einheimischen Bevölkerung. Vom transsexuellen diebischen Diener über den chinesischen Koch und heimlichen Unterstützer kommunistischer Terroristen bis zum eigentlichen Herrscher im Sultanat, der sich an Crabbes Ehefrau heranmacht. Immer häufiger gewinnt in ihm ein ortstypischer Fatalismus die Oberhand:
„Tatsache war, dass Victor Crabbe nach nur sechs Monaten (…) jene innere Einstellung entwickelt hatte, welche bei altgedienten Exilanten häufig anzutreffen war – er verstand, dass eine weiße Haut eine Abnormität und die Lebensart des weißen Mannes im Wesentlichen exzentrisch war.“

Kaum keimt Zukunftsoptimismus auf, wird er Lügen gestraft. Victor Crabbes unmittelbare Umgebung fungiert dabei als Spiegel für die Lage des Landes. So, als eine ganze Schulklasse gegen den Verweis eines Mitschülers protestiert:

„Crabbe war gerührt. Die Klasse hatte sich in dieser Sache zu einer festen Einheit verschweißt. Tamilen, Bengalen, der einzelne Sikh, die Malaien, der einzelne Eurasier, die Chinesen, sie hatten zu einer Loyalität gefunden, die ethnische Erwägungen hinter sich ließ. Dann erkannte Crabbe zu seiner Verzweiflung, dass diese Einigkeit nur ein Zusammenschluss gegen britisches Unrecht war.“

Was Edward Said sagte

Der weiße Mann mit der westlichen Aufklärung im Gepäck sieht sich konfrontiert mit den exotischen Mysterien einer fremden, dunkel lockenden Welt. Bevölkert ist sie, so seine Wahrnehmung, von Einheimischen, die einfach keine Lust haben, ihre selbstverschuldete Unmündigkeit abzustreifen.
Damit ist praktisch alles versammelt, was der Literaturtheoretiker Edward Said als „Orientalismus“ identifiziert hat. Dieses Denken, das grundlegende Rahmenwerk von Kolonialismus und Imperialismus, durchzieht Burgess‘ Malaya-Romane. Aber es dominiert sie nicht vollständig. Die Lektüre ruft mehr und anderes hervor als die Bestätigung der Klischees vom Orient und verbreiteter Annahmen über seine Bewohner, und das liegt an Anthony Burgess‘ spezifischen Qualitäten als Autor, die sich bereits in diesem Frühwerk zeigen.
Seine Figuren sind total übertrieben und unvergesslich: der Sikh-Polizist und Nebenerwerbs-Chauffeur, der hoffnungslos verliebte tamilische Tierarzt, der Unmengen Biers vertilgende eurasische Corporal, das chinesische musikalische Wunderkind. Sie sind ebenso detailliert gezeichnet und unverwechselbar wie der bleichwangige Anwalt in Geldnöten, die gelangweilte „Memsahib“ oder der ganz und gar nicht stille Amerikaner, der zum bösen Schluss auch noch auftaucht. In lebendigen Szenen, gut sitzenden Dialogen und pointierten Diskussionen treffen sie aufeinander.
Eine grandios entgleisende Party mit Vertretern aller Volksgruppen wird ebenso geschildert wie der schweißtreibende Fußweg durch die Stadt, mit dem Victor Crabbe, der Verweigerer von Konventionen und Autobesitz, sich bei allen Seiten verdächtig macht. Situationskomik wechselt mit Bildungsanspielung, mit dokumentarischen Einsprengseln und politischen Exkursen. In der Satire erinnern sie an den Ernst der Lage. Schließlich verbirgt sich hinter dem Euphemismus der „Emergency“ ein asymmetrischer Krieg. Den führen die rotchinesischen Terrorkommandos nicht nur gegen die Briten, sondern gegen alle:
„Entscheidungskämpfe aber, echte Siege gibt es nicht. Es geht weiter und weiter, das Schießen aus dem Hinterhalt, das Aufschlitzen von Bäuchen, das Erdrosseln, die dünnen Ströme von Truppen in Dschungelgrün, die kolossale Vergeudung“

„Ich habe ihre Sprache gesprochen“

In dieses Land wollte Burgess eintauchen, sich darauf einlassen und lernen. Er wollte davon anders, kenntnisreicher erzählen als berühmte britische Schriftsteller vor ihm, und er hat sich Jahrzehnte später noch einiges darauf zugutegehalten:
„Woher dieser Drang, über Malaysia zu erzählen? Sicher, William Somerset Maugham hatte das schon gemacht, und ganz ordentlich. Aber bei ihm war es eigentlich die Außenseite von Malaysia, die Plantagenbesitzer und ihre Ehefrauen, Bridge im Club und Ehebruch im Bungalow des District Officer. Die Chinesen und die Inder blieben schattenhaft, und die Malaien waren nicht mehr als ein paar unterwürfige braune Füße auf der Veranda. Wie untauglich meine literarischen Mittel auch sein mögen, wenigstens hatte ich die Leute kennengelernt, und immerhin kannte ich die Malaien besser als Joseph Conrad. Ich habe ihre Söhne unterrichtet. Ich habe ihre Sprache gesprochen!“
Tatsächlich hat Anthony Burgess das Malaiische sprechen und schreiben gelernt.  Malaiische Wörter und Floskeln sprenkeln den Text, das angehängte Glossar verzeichnet zudem Begriffe aus Hindi und Urdu, dem Arabischen, dem Persischen und dem chinesischen Hokkien. Dies unterstreicht die Authentizität der Schilderung. Zusammen mit den diversen Varietäten des Englischen in diesen Romanen weist es zugleich voraus auf den kreativen, überaus bewussten Umgang mit den Möglichkeiten der Sprache in Burgess‘ Gesamtwerk, nicht nur in „A Clockwork Orange“ mit seinem russisch inspirierten Kunstjargon.

Ist Shakespeare ein Angeber?

Der künstlerische Mehrwert, der in der Sprache selbst steckt, hat den notorisch polyglotten Burgess zeitlebens beschäftigt. So wies er 1989, vier Jahre vor seinem Tod, in einem Interview die Frage zurück, ob sprachschöpferische Arbeit nicht irgendwie Angeberei sei:

„Ist Rabelais, ist Shakespeare ein Angeber? Shakespeare führt in einer Tour komische Wörter ein wie 'orgulous'! Und Shakespeare ist derjenige, von dem wir lernen sollten. In jeder Form von Literatur sollten die Worte, sollte die Sprache als eigener Charakter auftreten. Ich sage nicht, dass das, was ich schreibe, besser ist als das, was Frederick Forsyth schreibt. Aber es sind zwei verschiedene Arten des Schreibens. Forsyth gibt dir eine transparente Sprache; du schaust hindurch direkt auf die action. Meine Sprache hingegen ist eher opak. So wie wir es sind.“
Nun wirkt Burgess‘ Stil in den Malaya-Romanen „Jetzt ein Tiger“, „Der Feind in der Decke“ und „Betten im Orient“ keineswegs undurchdringlich. Mit ihrem Plauderton, den souveränen Registerwechseln sind sie Paradebeispiele für die „well made novel“. Dahinter aber verbirgt sich tatsächlich die opake Natur des Menschen im Allgemeinen und des Autors selbst im Besonderen.

Einerseits hat sich Burgess beim Schreiben einigermaßen schamlos bedient bei seinem eigenen Leben. Wie die Lektüre seiner Autobiografie zeigt, hat er nicht einmal die Namen seiner malaiischen Geliebten und ihres Sohnes verfremdet. Bei anderem ändert er immerhin die Vorzeichen. Während Crabbes Schützling, ein musikalischer Wunderknabe, sich weigert, sein ambitioniertes symphonisches Werk durch Einfügung patriotischer „Merdeka!“-Rufe verdaulicher zu machen, hat der Autor selbst genau solch eine Symphonie komponiert.
Andererseits dreht Burgess einiges ins Schmeichelhaftere. Die Gründe von Viktor Crabbes Konflikten mit Kollegen und Vorgesetzten zum Beispiel sind deutlich ehrenwerter, als es, glaubt man Zeugen, die Auslöser der kleinlichen Zankereien und Skandälchen um Burgess und seine Frau Llewela waren. Nicht zuletzt schweres Trinken und schlechtes Betragen in Pubs.

Abgründe und Verdrängung

Llewela porträtierte Burgess in Gestalt von Victor Crabbes Frau Fenella. Das Verhältnis von Vorbild und Abbild ist abgründig. Fenella, unzufrieden mit ihrem Leben in unzuträglichem Klima und an der Seite eines fremdgehenden Jammerlappens, brennt mit ihrem reichen malaiischen Verehrer nach Europa durch. Sie ist Crabbes zweite Ehefrau – eine begehrenswerte goldene Göttin. Aber seine Gefühle für sie reichen nicht an die Liebe zu seiner ersten Ehefrau heran, deren Unfalltod er verschuldet hat. Eine schockierende Offenbarung über diese erste Frau ist es, was letztlich Victor Crabbes Untergang herbeiführt.
Llewela, mit der Burgess seit 1942 verheiratet war, brannte nicht durch. Sie wurde in Malaysia zur Alkoholikerin und starb 1968 an Leberzirrhose. Kurz darauf heiratete er zum zweiten Mal. Im Rückblick wirkt eher das dunkle Schicksal von Crabbes erster Frau als Fenellas blonder Oberflächenglanz wie der Vorschein von Llewelas Geschick. Und nicht zuletzt ist Victor Crabbes Abstieg und Ende auch Ausfluss eines Schuldkomplexes, den der abgefallene Katholik Burgess lebenslang liebevoll kultivierte. Sein Zeitschriftenaufsatz in „Punch“ über die Zeit in Malaya, entstanden in Llewelas Todesjahr 1968, liest sich hingegen wie ein Zeugnis gespenstisch munterer Verdrängung:
„Es gab Zeiten, da konzentrierte sich das Sehnen auf einen frischen Blumenkohl oder ein Glas frische Milch. (…) Träume von Zuhause haben sehr konventionelle Requisiten. (…) Die Emigration erwies sich als bloßes Zwischenspiel, aber sie war kein Traum, an den man sich nur halb erinnert, kein isolierbares Hirngespinst. Für meine Frau und mich würde es nie wieder die alten, bei Cider vom Fass und fünf kleinen Zigaretten pro Tag geäußerten Verdrießlichkeiten geben. Ich hatte mir neue Fertigkeiten angeeignet und würde für ihre Ausübung Geld bekommen.“
So geschah es. Anthony Burgess wurde zu einem der produktivsten Schriftsteller seines Landes und verdiente immerhin so viel Geld, dass er sich auf Malta und in Italien zum Steuerbetrug genötigt sah und schließlich zur Steuerflucht nach Monaco. Dass er schon beim Schreiben seiner Malaya-Trilogie recht genau wusste, von welcher Art kolonialen Erzählens er sich absetzen wollte, zeigt eine Passage im zweiten Roman, „Der Feind in der Decke“. Unvermittelt lässt er da William Somerset Maugham herumgeistern:

„All dies war vor Jahren in den Erzählungen eines Mannes niedergeschrieben worden, an den man sich im Orient noch gut erinnerte. Willie Maugham (…) konnte sich an mich erinnern, hat mich in einem Buch verewigt.“

Geschichten aus Hütten und Palästen

Bezeichnenderweise folgt diese Reminiszenz auf den Auftritt der gelangweilten, unbefriedigten Ehefrau eines englischen Kolonialbeamten. Sie ist die typische Vertreterin der „Memsahib“ in den Geschichten aus den Kolonien, deren Ennui Katastrophen ins Rollen bringt. Eine solche Geschichte erzählt Burgess zwar durchaus, aber er erzählt eben noch eine Fülle anderer Geschichten. Die ereignen sich nicht in Clubs und auf schattigen Veranden, sondern in den Stelzenhäusern, Schattenspieltheatern und Garküchen, in den Hütten und Palästen eines Landes, das für diesen Autor mehr sein sollte als die exotische, chaotische Kulisse weißer Selbstbespiegelung.
Schreibend auf dem schmalen Grat zwischen kultureller Aneignung und der kolonialen Abgrenzung vom Fremden würde Burgess, Kind seiner Zeit, den Ansprüchen postkolonialer Diskurse unserer Tage freilich nicht genügen. Doch seine Malaya-Romane machen sehr anschaulich, warum das auch gar nicht so einfach war und ist.

Anthony Burgess: „Jetzt ein Tiger“
Aus dem Englischen übersetzt von Ludger Tolksdorf
Elsinor Verlag, Coesfeld
232 Seiten, 26 Euro.

Anthony Burgess: „Der Feind in der Decke“
Aus dem Englischen übersetzt von Ludger Tolksdorf
Elsinor Verlag, Coesfeld
220 Seiten, 32 Euro.

Anthony Burgess: „Betten im Orient“
Aus dem Englischen übersetzt von Ludger Tolksdorf
Elsinor Verlag, Coesfeld
244 Seiten, 34 Euro.