"Meine Zeichnungen inspirieren, aber legen sich nicht fest, sie bestimmen nichts. Wie die Musik versetzen sie uns in die vieldeutige Welt des Unbestimmten."
Was Odilon Redon mit der "vieldeutigen Welt des Unbestimmten" meinte, war das Unbewusste, das Irrationale, der geheimnisvolle Urgrund unseres Daseins. Er war ein begeisterter Leser der Werke Edgar Allan Poes, Baudelaires, Flauberts und schrieb selbst Geschichten. Auch die Musik war ihm nahe, er hatte als Junge Geige gespielt, interessierte sich für Wagner, kannte Debussy. Wie alle Symbolisten unterschied er kaum zwischen den Gattungen. Am Ende entschied er sich für die Zeichnung und die Malerei.
"Es gibt eine Art der Zeichnung, die sich um Einzelheiten nicht kümmert und stattdessen auf die freie Darstellung geistig konzipierter Dinge zugeht. Ich habe aus dem Stiel einer Pflanze, aus dem menschlichen Gesicht oder auch aus den Elementen eines Knochengerüsts Phantasien geschaffen, die meiner Ansicht so gezeichnet, konstruiert, gebaut sind, wie sie sein mussten. Sie sind es, weil sie ein Organismus sind."
"Schwarz muss man bewundern. Nichts kann es zu Schanden machen"
Schon sein Vorname machte den Künstler zum Außenseiter. Odilon war abgeleitet von Marie-Odile, dem Namen seiner Mutter. Geboren wurde er 1840 in Bordeaux als Bertrand-Jean Redon, zweiter Sohn eines Weinhändlers. Doch verbannte seine Familie ihn früh aus ihrem Kreis. Weil er an Epilepsie gelitten haben soll, wuchs er bis zu seinem elften Lebensjahr bei seinem Onkel auf dem verlassenen Weingut Peyre-Lebade im Medoc auf. Zurück in Bordeaux, erhielt er Zeichenunterricht: Er sollte Architekt werden. Doch scheiterte Redon an der Aufnahmeprüfung und folgte weiter seinem inneren Kompass. Nach elegischen, an der Malerei Camille Corots orientierten Landschaftsbildern entstanden 1871 seine ersten "Noirs", groteske Kohlezeichnungen, ein Würfel mit Augen, eine Spinne mit menschlichem Gesicht, ein Kaktusmann.
"Schwarz muss man bewundern. Nichts kann es zu Schanden machen. Es ist dem Auge nicht gefällig, erweckt nicht die Sinnlichkeit. Es ist ein Bote des Geistes, mehr als die schönste Farbe auf der Palette oder im Prisma."
Diese Meinung teilten zunächst nur wenige, darunter der Kritiker Joris-Karl Huysmans. In dessen Roman "Gegen den Strich" bewundert der überspannte, den gemeinen Pöbel verachtende Dandy Floressas Des Esseintes die außergewöhnliche Kraft der Werke Odilon Redons. Das Buch erschien 1884, der nun 44-jährige Künstler wurde schlagartig berühmt. Privat hatte sich bereits Jahre zuvor alles zum Besseren gewendet. In einer der jährlichen Salon-Ausstellungen war er der schönen Camille Falte begegnet.
"In meiner Gattin habe ich die Schicksalsgöttin meines Lebens gefunden; sie hat mich vom Tode gerettet und durch die tragischsten und geheimnisvollen Momente meines Familiendramas geleitet."
Bahnbrechende Art der Farbentmaterialisierung
Während ihrer Hochzeitsreise in die Bretagne schuf Redon erste Pastelle. Die Impressionisten inspirierten ihn, sich der Farbe zu bedienen. Er schuf zahlreiche Frauenbildnisse und Blumen-Arrangements, stets in einer zarten Modulation variantenreicher Farbtöne, in denen sich das Dargestellte aufzulösen schien. Auch mit seinen Bildthemen blieb Redon, wie schon bei seinen frühen Kohlezeichnungen, im Ungefähren, verarbeitete Mythologie, Religion und Naturlehre zu sich dem Rationalen verweigernden Bildern. Die Redon-Expertin Margret Stuffmann:
"Das Wichtige dabei ist, dass seine Formen Vokabeln sein können, die Kugel, die immer wieder kommt. Aber die Kugel kann ein Auge sein, sie kann eine Montgolfiere sein, sie kann alles zusammen sein. Und es ist der Betrachter, der den Weg geht, welche Schicht, welche Bedeutungsschicht er selbst für sich adaptiert."
Odilon Redon wurde lange als depressiver Eigenbrötler missverstanden, bis man erkannte, dass er sowohl Darwins Abstammungslehre als auch das Unbewusste, die Lehren Freuds, in seinen Werken anklingen ließ. Auch die Art, wie er seine Motive mithilfe der Farbe entmaterialisierte, gilt heute als bahnbrechend. In seinen letzten Jahren lebte Redon ganz in der Sorge um seinen Sohn Ari, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs zum Militär eingezogen wurde. Um ihn noch einmal zu sehen, reiste der 75-Jährige 1916 im Februar nach Cannes. Wenige Monate später, am 6. Juli, starb Odilon Redon in Paris.