Sonntag, 28. April 2024

True Crime-Podcast "Tatort Kunst"
Zwei Kisten in Prag

Die Unternehmerfamilie Dittmayer wurde vom NS-Regime verfolgt und musste wertvolle Gemälde in Prag zurücklassen. Seit Jahrzehnten bemüht sie sich um die Rückgabe. Zugleich tauchen die Bilder in Museen und bei Auktionen auf – ohne Wissen der Familie.

Von Anne Preger | 07.09.2023
    Eine blonde Frau betrachtet ein Gemälde an der Wand. Das Ölbild zeigt eine blonde Frau im rot-violetten Kleid, rechts hinter ihr ein Mann mit braunen Haaren.
    Für die Familie von Hans Dittmayer war das Ölbild Jahrzehnte lang verschollen. Im März 2023 sollte Oskar Kokoschkas „Frau mit dem Sklaven“ für eine Rekordsumme von mehr als 8,3 Millionen Euro versteigert werden. (IMAGO / CTK Photo / IMAGO / Roman Vondrous)
    Im März 2023 steht in Tschechien eine Rekord-Auktion an: In Prag soll ein Ölbild des österreichischen Malers Oskar Kokoschka für mehr als 8,3 Millionen Euro versteigert werden. Beatrice Kretschmer erfährt nur durch einen Zufall vorab davon. Dabei hat das Bild mit dem Titel „Frau mit dem Sklaven“ einmal ihrer Familie gehört.
    Es war Teil der Kunstsammlung ihrer Großeltern Hans und Stephanie Dittmayer und ist am Ende des Zweiten Weltkriegs in Prag verschollen. Doch weder das Prager Auktionshaus noch der aktuelle Besitzer des Bildes halten es offenbar für notwendig, die Erben der Dittmayers über die Versteigerung zu informieren.

    Familie wurde in der Nazi-Zeit verfolgt

    Für die Familie setzt sich damit ein Unrecht fort, das mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus im Jahr 1933 begonnen hat. Zu dieser Zeit lebten die Dittmayers in Dresden. Die Ehefrau Stephanie galt in der Lesart der Nationalsozialisten als Jüdin, ihre drei Kinder als Halbjuden.
    Schwarzweiß-Foto: Eine Frau im hellen Kleid sitzt draußen auf einem Stuhl und hält ihre kleine Tochter fest, daneben stehen zwei Jungen im Schulalter
    Familienfoto vom Ende der 1920er Jahre: Stephanie Dittmayer mit ihren drei Kindern Wolfram, Klaus und Irene. Während des NS-Regimes erleben alle vier Verfolgung und werden zum Ende des Kriegs zu Zwangsarbeit verpflichtet. (Beatrice Kretschmer)
    Hans Dittmayers Kunstgeschmack stellte ein weiteres Risiko für die Familie dar. Er sammelte mit Vorliebe expressionistische Werke – in den Augen der Nazis „entartete Kunst“. Die Familie hielt die Sammlung deswegen weitestgehend geheim.
    Zu Recht, sagt die Kunsthistorikerin Dr. Barbara Haubold, die die Sammlung und ihre Geschichte bis ins kleinste Detail kennt: „Hans Dittmayer hatte einfach Sorge.“
    Eine Zeit lang schaffte es der nicht-jüdische Reißverschluss-Fabrikant noch, Frau und Kinder wenigstens vor bestimmten Repressalien zu schützen, doch zum Ende des Krieges nicht mehr.

    40 wertvolle expressionistische Bilder verschollen

    Zu der Zeit landete das Herzstück der Sammlung Dittmayer in Prag: Zwei Holzkisten enthielten aufgerollte Leinwände von rund 40 wertvollen Ölgemälden expressionistischer Künstler wie Max Beckmann, Lyonel Feininger oder Otto Dix – darunter auch Kokoschkas „Frau mit dem Sklaven“.
    Die Familie musste die Kisten in Tschechien zurücklassen und kämpfte nach dem Krieg erfolglos bei tschechoslowakischen und deutschen Behörden darum, ihr Eigentum zurückzuerhalten. Doch einige Bilder tauchen im Laufe der Jahre auf dem Kunstmarkt wieder auf. Wenn die Familie davon erfährt, dann meist zu spät.

    Restitution: Suche nach gerechten und fairen Lösungen

    Die Lage für Nachfahren von Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, verbessert sich ab 1998 deutlich: Auf Grundlage der Washingtoner Prinzipien verpflichten sich unter anderem in Deutschland öffentliche Museen und Sammlungen, mit Erben von verfolgten Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern nach „gerechten und fairen“ Lösungen zu suchen und Kunstwerke gegebenenfalls auch zurückzugeben.

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    Daraufhin registriert die Familie die verschollenen Bilder im Lostart-Register, und Sohn Wolfram setzt mit über 80 Jahren alles daran, mit den deutschen Museen Einigungen zu erzielen, in denen Werke aus der Sammlung seiner Eltern hängen.
    Ein Mann mit Brille steht vor einem Gemälde. Es zeigt eine Kirche mit zwei Türmen vor dunklem Nachthimmel.
    „Die Marktkirche bei Nacht“ ist eins der Bilder, die der deutsch-amerikanische Künstler Lyonel Feininger Anfang der 1930er Jahre in Halle an der Saale malte. Es ist eins der Werke aus den beiden Kisten, die Familie Dittmayer in Prag zurücklassen musste. (picture alliance / dpa / Malte Christians)
    Wolfram Dittmayer verhandelt unter anderem auch mit dem Von der Heydt Museum in Wuppertal. Dort hängt Lyonel Feiningers Werk „Marktkirche bei Nacht“, ebenfalls eins der Werke aus den beiden Prager Kisten. Das Museum hat es trotz seiner zweifelhaften Herkunftsgeschichte gekauft und verhält sich lange Zeit wenig kooperativ. „Das hat ihn an seine Grenzen gebracht“, erinnert sich seine Tochter Beatrice Kretschmer.

    Podcast „Tatort Kunst“ liefert Antworten

    Was ist mit dem Kokoschka-Gemälde, das in Prag versteigert werden soll: Schaffen Beatrice Kretschmer und die anderen Erben es, beim Auktionshaus Gehör zu finden und eine Einigung zu erzielen? Das erfahren Sie im Fall 2 des Podcasts „Tatort Kunst“.
    Das „Tatort Kunst“-Team bei diesem Fall
    Hosts
    : Stefan Koldehoff und Rahel Klein
    Recherchen, Skript & Regie: Anne Preger
    Headautor: Sven Preger
    Sounddesign: Timo Ackermann
    Buchtipp:

    "Von Monet bis Mondrian: Meisterwerke der Moderne aus Dresdner Privatsammlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "
    Hrsg.: Heike Biedermann
    Bischoff & Wagner, 2006.